Dieser Artikel ist erstmalig am 14.03.2019 als Gastbeitrag auf XING Klartext erschienen.

Früh morgens schlurft der Bäcker­meister gemütlich in die Backstube und überschlägt Pi mal Daumen, wie viel Teig er für den Tag wohl kneten sollte. So oder so ähnlich sieht das Bild aus, das wir uns heute noch im Geiste vom deutschen Mittel­stand zeichnen, wenn wir beim Brötchen­holen in der Schlange stehen. Denn Big Data – die compu­ter­ge­stützte Erhebung und Verar­beitung großer Mengen detail­lierter Infor­ma­tionen zur Optimierung von Produktion und Verkauf – ist schließlich das Metier inter­na­tio­naler Pharma­kon­zerne und US-ameri­ka­ni­scher Wahlkampf­stra­tegen. Der deutsche Mittel­stand, so wird häufig postu­liert, verschlafe die Chancen von Big Data.

Für mich als Geschäfts­führer des Instituts für Unternehmer­familien wirkt dieses Bild seit jeher stark verzerrt. Es deckt sich nicht mit meiner jahrzehn­te­langen Erfahrung als Berater von Famili­en­un­ter­nehmern in über 20 Branchen, unter anderen im Textil‑, Logistik‑, Automobil- und Lebens­mit­tel­be­reich. Denn in vielen Fällen hat sich der Mittel­stand schon mit Big Data beschäftigt, bevor der Begriff überhaupt salon­fähig wurde.

Ein diffe­ren­zierter Blick auf das Thema muss her

Im Bereich der Produk­ti­ons­pro­zesse kann heute mancher Großkonzern vom Mittel­stand lernen. Ob bei unserem Bäcker um die Ecke oder bei der Produktion von Teiglingen für die gesamte Region: Schon vor 20 Jahren wurden auf dem Klemm­brett große Daten­mengen erhoben und ausge­wertet, um Arbeits­ab­läufe zu optimieren. Der Umstieg auf Compu­ter­tech­no­logie war da kein großer Sprung mehr. Lediglich der nächste logische Schritt zur vollen Entfaltung des Poten­zials von Big Data muss noch gemacht werden: die Anwendung künst­licher Intel­ligenz (KI) zur Automa­ti­sierung von Produk­ti­ons­pro­zessen, die Kreati­vität und Urteils­ver­mögen erfordern. So könnte unser Bäcker beispiels­weise die Zusam­men­setzung seines Teiges automa­ti­siert auf die perfekte Mischung aus Knetbarkeit und verkaufs­för­derndem Geschmacks­er­lebnis optimieren.

Anders verhält es sich im Bereich Vertrieb und Marketing. Hier erhebt der Mittel­stand noch viel zu selten sinnvolle Daten – oder setzt sie zumindest nicht effizient und zielge­richtet ein. Kunden­ver­halten und ‑inter­essen analy­sieren und ans Marketing weiter­geben? Davon sind viele Mittel­stands­un­ter­nehmen noch weit entfernt.

Doch auch hier lohnt sich ein erneuter diffe­ren­zierter Blick auf die Heraus­for­derung. Das Potenzial der Infor­ma­ti­ons­ver­netzung wird nämlich durchaus erkannt – was fehlt, sind vielmehr die Kapazi­täten, diese Erkenntnis in Taten umzuwandeln. Dazu benötigen mittel­stän­dische Unter­nehmer eine neue Ressource im Kreis der Vertrauten. Jemanden, der ihre Visionen und Ideen versteht und umsetzt – unter Einbezug aller verfüg­baren Poten­ziale und innerhalb der Richt­linien zum Datenschutz.

Jemanden mit einem ganz neuen Anfor­de­rungs­profil, das sich inter­dis­zi­plinär über Kernbe­reiche wie Techno­logie, Marketing, Design, Projekt­ma­nagement, Kommu­ni­kation sowie neue Geschäfts- und Vertriebs­mo­delle erstreckt. Ob intern aufgebaut oder extern einge­kauft, hängt dabei vom jewei­ligen Einzelfall ab. Das bietet übrigens auch Beratern inter­es­sante und relevante Möglich­keiten, um auf Unter­nehmer zuzugehen.

Platz nach oben ist noch da – man muss nur wissen, wo

Die umfas­sendere Nutzung von Big Data in mittel­stän­di­schen Unter­nehmen stellt ein großes Potenzial dar – weniger im Bereich der Produk­ti­ons­pro­zesse, wo mitunter nur noch KI einen Fortschritt darstellen kann, sondern vor allem im Vertrieb und Marketing. Soll dieses Ungleich­ge­wicht behoben werden, brauchen Unter­nehmer zusätz­liche Manpower mit einer einzig­ar­tigen Zusam­men­setzung von verschie­denen Fähig­keiten. Denn den meisten Mittel­ständlern fehlt es nicht am Verständnis für Big Data, sondern an den perma­nenten Kapazi­täten, sich intensiv damit ausein­an­der­zu­setzen, um dessen Potenzial vollum­fänglich zu nutzen – da das Tages­ge­schäft dies schon rein zeitlich selten bis gar nicht zulässt.

Und so ist das vermeintlich so technisch gelagerte Thema Big Data für Unter­nehmen in erster Linie ein zwischen­mensch­liches: Abseits des eigenen Exper­ten­wissens um Daten­analyse und künst­liche Intel­ligenz müssen Mittel­ständler sich die Zeit dafür nehmen, poten­zielle Kandi­daten, unabhängig ob eigene Mitar­beiter oder externe Dienst­leister, zu identi­fi­zieren – und dann erkennen, inwiefern sich diejenige Person tatsächlich als Vertrauter eignet. Denn von diesem Vertrau­ens­ver­hältnis könnte die Zukunft ihres Unter­nehmens abhängen – im Guten wie im Schlechten.

Kontakt

Dirk Wiebusch
info@ifuf.de

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