Vermutlich seit ich denken kann – und mit Sicherheit seit meinem Einstieg in die Bankenbranche vor ein paar Jahrzehnten – definieren sich Banken, Sparkassen und Volksbanken immer wieder über ihren Marktanteil. Erst kürzlich hörte ich wieder auf der Veranstaltung eines Instituts, dass man X % Marktanteil im Firmenkundenbereich, aber nur Y % im Private Banking habe – und daran wolle man nun mit einer neuen Initiative arbeiten.
Was danach geschah, hat sich auch seit jeher genau so zugetragen: Die Zentralstellen oder Verbände legen auf Basis diverser Analysen große Projekte an, errechnen zukünftige Deckungsbeiträge, passen die Strukturen an, indem Mitarbeiterkapazitäten im IST- und SOLL-Zustand verglichen werden… und wenn das Ganze dann umgesetzt werden soll, stellt sich doch nur wieder heraus, dass die erwarteten Potenziale aus ganz handfesten Gründen doch nicht ausgeschöpft werden können. Warum ist das so?
Der Marktanteil ist im Detail kaum aussagekräftig
Der Marktanteil hat sicherlich seine Berechtigung – allerdings vor allem im überregionalen Bereich. Beispielsweise kann man mithilfe von Bundesbank-Statistiken feststellen, dass es in Deutschland ein betreutes Depotvolumen von 100 Einheiten gibt. Wenn dann ein Verband ermittelt, dass über alle seine Mitgliedsinstitute hinweg X % dieses Volumens betreut werden, dann lässt sich daraus der gesamte Marktanteil des Verbands ableiten. Dieselbe Vorgehensweise lässt sich auch auf andere Segmente anwenden, beispielsweise den Zahlungsverkehr im Firmenkundengeschäft oder den Immobilienbereich. In diesen Situationen kann der Marktanteil ein wichtiger KPI für den Verband sein.
Der Key Performance Indicator (KPI) ist eine Kennzahl, die herangezogen wird, um den Erfolg von Geschäftsprozessen zu messen und darstellbar zu machen. Möchte also zum Beispiel ein produzierendes Unternehmen wissen, wie erfolgreich es ist, kann es die Menge der verkauften Produkte oder den Gesamt-Umsatz pro Monat als Kennzahl für den Erfolg definieren.
Doch je weiter man die Betrachtung regional eingrenzt, desto ungenauer wird der Marktanteil – und meiner Ansicht nach ist er desto unsinniger als Messlatte für das einzelne Institut. Denken Sie mal als Beispiel an eine Bank, die davon ausgeht, einen Marktanteil von 35 % im Firmenkundengeschäft zu haben, weil sie 35 % aller Firmenkunden-Girokonten in ihrer Region führt. Was aber, wenn derselbe Unternehmer bei drei Banken Zahlungsverkehrskonten unterhält? Dann rechnen sich alle drei Banken diesen Kunden selbst zu. Und das verzerrt automatisch den KPI Marktanteil.
Lassen Sie uns noch ein Beispiel betrachten – diesmal im Private-Banking-Bereich, denn dort wird es mitunter noch komplizierter. Stellen wir uns vor, ein Unternehmer besitzt eine Firma, die ihren Zahlungsverkehr auf zwei Konten bei zwei unterschiedlichen Banken aufteilt, und außerdem über Mietobjekte verfügt, die mit unterschiedlichen Beträgen bei beiden Banken finanziert sind. Dazu kommen noch Wertpapierdepots bei beiden Banken sowie noch einer dritten Bank. Die Verteilung sieht dann so aus:
- Bank A: Wertpapierdepot 0,5 Mio. Euro, Immobilien 8 Mio. Euro, Konto 50 % d. Zahlungsverkehrsumsätze
- Bank B: Wertpapierdepot 1,5 Mio. Euro, Immobilien 2 Mio. Euro, Konto 50 % d. Zahlungsverkehrsumsätze
- Bank C: Wertpapierdepot 3,0 Mio. Euro
Mit Blick auf die Wertpapierdepots könnte Bank A nun auf die Idee kommen, sie verfüge nur über 10 % des Marktanteils im Private-Banking-Bereich, während Bank C über 60 % Marktanteil verfügt. Doch tatsächlich handelt es sich hier lediglich um den Depotanteil. Zusammen mit den Immobilien und dem Konto stünde Bank A deutlich besser dar. Hier zeigt sich, wie ungenau der Marktanteil ist, wenn er auf kleinen, regionalen Ebenen für individuelle Teilaspekte des Gesamt-Engagements eingesetzt wird. Beim separaten Blick auf den Depotanteil ist diese Berechnung richtig und sinnvoll. Da wir ja seit Jahren allesamt diskutieren und uns weitgehend einig sind, dass Private Banking deutlich mehr ist als Wertpapierberatung, gehört zumindest das Immobilienvermögen des Unternehmers mit in die Betrachtung (unabhängig davon, wer im Institut dazu berät und/oder die Kredite betreut).
Weg vom Marktanteil – hin zum Kundenanteil
Um einen für den regionalen Bereich sinnvollen KPI zu finden, halte ich es für nötig, sich nicht mehr ausschließlich auf den Marktanteil zu fokussieren, sondern auch die internen Strukturen und Kapazitäten der Mitarbeiter in den Blick zu nehmen. Dazu gibt es verschiedene Vorschläge. Den Begriff „Share of Wallet“ haben Sie sicher schon gehört – er beschreibt in der Finanzbranche den Anteil einer Bank speziell am ausgabefähigen Vermögen eines Kunden.
In unserem regionalen Kontext greift jedoch auch der Share of Wallet noch zu kurz. Präziser ginge es mit der Einführung der „Private Wealth Coverage Ratio“ (PWCR). Dieser KPI beschreibt das von einer Bank verwaltete Privatvermögen im Verhältnis zum gesamten Privatvermögen des Kunden. Und er berücksichtigt dazu alle Vermögenswerte, die nicht explizit der Firma gehören, also auch Immobilien (Miethäuser, Ferienhäuser etc.), Wertpapierdepots und weitere Vermögenswerte (Bargeld, Versicherungen etc.).
Wenn wir uns unter diesem Gesichtspunkt das oben genannte Beispiel nochmal in Erinnerung rufen, entsteht ein ganz anderes Bild:
- Bank A betreut insgesamt 8,5 Mio. Euro – 56,7 %
- Bank B betreut insgesamt 3,5 Mio. Euro – 23,3 %
- Bank C betreut insgesamt 3,0 Mio. Euro – 20,0 %
Und da diese Werte unter Berücksichtigung aller vorhandener Vermögenswerte in Relation zueinander entstehen, sind sie letztlich nachvollziehbarer, präziser und deutlich aussagekräftiger als eine isolierte Betrachtung des Marktanteils.
Nehmen wir an, der Kunde hat bei Ihnen auch noch Lebensversicherungen abgeschlossen. Diese sind nicht direkt bei Ihnen, aber Ihrem Verbundpartner abgeschlossen und betreut. Dann kann man die PWCR auch noch ergänzen. Das Bild wird dadurch noch klarer.
Mitarbeiterkapazitäten
Private Banking sollte mehr sein als reine Wertpapierbetreuung. Daher ist es essenziell, passende Mitarbeiterkapazitäten auf Basis einer detaillierten Bedarfsanalyse zu entwickeln. Ich empfehle den Instituten deshalb, sich ernsthaft mit dem Thema „Private Unternehmerimmobilien“ zu befassen. Und damit meine ich explizit nicht Firmenimmobilien oder private Eigenheime, sondern Immobilien zur Kapitalanlage. Hier zeigt sich immer wieder, dass eine pauschale Marktpotenzialanalyse nicht ausreicht.
Nehmen wir als Beispiel einen Unternehmer, der sein gesamtes privates Immobilienportfolio bei Bank A finanziert, dort aber nur 1 Mio. Euro in Wertpapieren anlegt – eine weitere Million betreut Bank B. Die klassische Marktpotenzialanalyse würde suggerieren, dass für Bank A ein Potenzial von 1 Million Euro besteht. Auf Basis dieser Analyse würde Bank A also Kräfte zur Akquise binden – ohne dabei zu beachten, dass der Berater von Bank B ein enger persönlicher Freund des Unternehmers ist, den er unter keinen Umständen vor den Kopf stoßen würde. Oder vielleicht hat der Unternehmer ein Depot von 1 Mio. Euro bei Bank B, weil es dort als Sicherheit für einen Kredit hinterlegt ist? Ich erlebe immer wieder, dass solche Vermögenswerte auf den internen Ziel-Akquiselisten stehen. Durch Nachfrage beim Firmenkundenberater erfährt man dann aber, dass sowohl dieser als auch sein Kollege der anderen Bank sich mit zwei Kreditgeberbanken sehr wohl fühlt. Es besteht somit keine/kaum eine Chance, das Depot zu übertragen, da es ja mit dem Kredit „verbunden“ ist.
Hier ist es nötig, den Marktanteil als übergreifende Messzahl außer Acht zu lassen und einen individuellen Ansatz zu verfolgen – die detaillierte Analyse jeder einzelnen Kundenbeziehung. Financial Planning und Estate Planning in Kombination mit immer stärker und besser werdenden Planning Tools können dabei helfen, indem sie Transparenz schaffen und Optimierungspotenziale identifizieren. Das ist ein aufwendiger Ansatz, aber eben auch ein deutlich sinnvollerer auf regionaler Ebene. Eine daraus entstehende integrierte Vermögensübersicht bietet Ihnen zahlreiche Vorteile:
- Transparenz über das gesamte Kundenvermögen
- Identifikation von Optimierungspotenzialen
- Verbesserte gezielte Betreuung
- Höhere Effizienz in der Kundenbeziehung
Ein solcher Ansatz hilft darüber hinaus dabei, die Mitarbeiterkapazitäten – insbesondere im Private Banking – effizienter zu gestalten.
Der Marktanteil ist keine Pauschallösung
Auf übergeordneter Ebene hat der Marktanteil immer noch seine Existenzberechtigung, wenn es etwa um die allgemeinere strategische Ausrichtung geht. Doch bereits auf Bundesland- und Verbandsebene wird das Konzept (zu) ungenau – und auf regionaler Ebene bzw. auf Personalplanungsebene verzerrt es die Messzahlen schon merklich.
Die individuelle Kundenanalyse liefert gerade auf regionaler Ebene deutlich aussagekräftigere Zahlen. Ein Unternehmer kann zum Beispiel im Firmenkundengeschäft interessant sein, aber kein privates Potenzial mitbringen. Pauschale Kundenzuweisungen aus dem Firmenkundenbereich ins Private Banking sind daher nicht zielführend, nur um dort den Marktanteil zu erhöhen. Die ganzheitliche Betrachtung des Kundenvermögens unter Einbeziehung der PWCR ist die bessere Alternative!
Und ja, ich sehe auch, dass dieses Vorgehen mitunter deutlich aufwendiger als eine pauschale Marktanteilsanalyse ist. Doch um es mit Lessing zu halten: „Beide schaden sich selbst: der zu viel verspricht, und der zu viel erwartet.“
Der Umschwung vom Marktanteil zur integrierten Vermögensübersicht wird sicher nicht von heute auf morgen geschehen (können). Doch er ist langfristig notwendig. Und Sie können schon heute damit beginnen. Ein erster Schritt kann zum Beispiel sein, Besprechungen zwischen Firmenkundenberater und Private Banking Berater zu etablieren, in denen Vermögensaufstellungen der jeweiligen Unternehmerkunden durchgearbeitet werden. Damit bricht man schon mal die übergeordneten und oft unpräzisen Einschätzungen des KPI Marktanteil auf, entdeckt individuelle Komplexitäten und bekommt gute Informationen zum Share of Wallet. Trauen Sie sich, den Einzelkunden in den Fokus zu nehmen!
Kontakt
Dirk Wiebusch
info@ifuf.de