Im Zuge der voran­schrei­tenden Digita­li­sierung wird die Finanz­be­ratung immer stärker von Daten und mathe­ma­ti­schen Modellen unter­stützt. Eines dieser Modelle, das in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen hat, ist das Lebens­zy­klus­modell, nach dem mittler­weile viele Finanz­dienst­leister ihre Kunden clustern. Das hat auch durchaus seinen Sinn, doch an einer Stelle hat das Modell leider oft noch Schwächen. Und zwar immer dann, wenn es um Familien­unternehmer geht. Denn für Unter­nehmer bräuchte man eigentlich zwei unter­schied­liche Modelle.

Lebens­zyklus und Firmenzyklus

Betreuen Sie einen Unter­nehmer als Privat­kunden oder als Firmen­kunden? So oder so werden Sie bereits festge­stellt haben: Das lässt sich bei Famili­en­un­ter­nehmern gar nicht so einfach ausein­an­der­halten. Denn die Firma beein­flusst praktisch zu jedem Zeitpunkt auch das Privat­leben des Unter­nehmers. Oder anders gesagt: Beim Unter­nehmer läuft parallel zum persönlichen/sozialen Lebens­zyklus noch ein Firmen­zyklus mit. Und dieser hat oft nicht nur einen ganz anderen Verlauf, sondern er kann sogar den Lebens­zyklus aus dem Rhythmus werfen. Und dann hilft Ihnen als Berater ein einfaches Lebens­zy­klus­modell allein auch nicht mehr weiter.

Warum der Firmen­zyklus immer mit von der Partie ist

Stellen wir uns der Einfachheit halber mal das Leben eines normalen Angestellten vor: Er macht als junger Mensch seine Ausbildung oder schließt ein Studium ab, findet einen Job, verdient Geld, heiratet und bekommt Kinder, steigt in seinem Job auf, altert und geht irgendwann in Rente. Auf rein privater Seite läuft auch das Leben eines Unter­nehmers in etwa auf dieselbe Weise ab. Was jedoch beim Angestellten selten der Fall sein wird, ist, dass der Unter­nehmer privat den Gürtel enger schnallen muss, da das Privat­ver­mögen gerade zur Unter­stützung der Firma benötigt wird. Oder dass er unver­hofft auf das sprich­wört­liche Gold stößt und sich schon mit Ende 20, Anfang 30 ein eigenes Haus finan­zieren kann. Private Ausgaben sind für Unter­nehmer immer an den Firmen­zyklus gebunden, ganz anders als beim Angestellten, und in der Gründungs­phase sowie in den letzten Jahren als aktiver Unter­nehmer handeln sie ohnehin völlig anders als ein Angestellter im gleichen Alter.

Derartige „Knicke“ im Lebens­zyklus entstehen durch den Einfluss des Firmen­zyklus. Und genau aus diesem Grund behalten Sie als Finanz­be­rater am besten immer beide Zyklen im Auge. Das macht die Clusterung selbst­ver­ständlich schwie­riger – aber eben auch deutlich präziser und nützlicher für eine einfühlsame, zielsi­chere Beratung.

Der private Lebens­zyklus des Unternehmers

Selbst wenn wir plötz­liche Verän­de­rungen im Firmen­zyklus mal außen vor lassen, unter­scheidet sich der Lebens­zyklus eines Unter­nehmers an einigen entschei­denden Stellen vom Lebens­zyklus eines Angestellten:

  • Wenn sich junge Unter­nehmer verlieben, verloben und verhei­raten, dann läuft das meist genauso ab wie bei Angestellten. Bei mir persönlich glich das damals einem „Friendly Takeover“ durch meine Frau, die als erste Amtshandlung zum Einzug in die erste gemeinsame Wohnung gleich den Großteil meiner Jungge­sellen-Einrichtung entsorgte.
  • Kommen dann irgendwann Kinder dazu, muss das Eheleben oft ganz neu erfunden werden. Bei Unter­nehmern stellt sich dann jedoch die Frage: Wann arbeite ich wieder in der Firma? Unter­neh­me­rinnen sitzen oft deutlich schneller wieder am Schreib­tisch, während Unter­nehmer früh der Ehefrau die Kinder überlassen. Die sich wandelnden Rollen­bilder könnten das in Zukunft noch ändern, aber aktuell ist es wirklich so: Unter­nehmer und Unter­neh­me­rinnen wollen so schnell wie möglich wieder die Hebel in die Hand nehmen. 
  • Wenn die Kinder dann in den Kinder­garten, die Grund­schule, die weiter­füh­rende Schule, ans Gymnasium oder an die Uni kommen, richtet man sich wiederum darauf ein.
  • Danach gehen die Kinder selbst arbeiten oder studieren und sind bald aus dem Haus. Das ist der Beginn der Empty-Nest-Phase, die wiederum eine Neuerfindung der Ehe erfordert. In dieser Phase treten leider auch Ehepro­bleme statis­tisch am häufigsten auf, da plötzlich viel private Zeit frei wird und man eventuell feststellt, dass man gar nicht mehr so richtig zusam­men­passt, jetzt wo die Kinder als Binde­glied fehlen. Unter­nehmer bekommen das meist noch stärker zu spüren als Angestellte, da sie zeitlich so stark einge­bunden sind. 
  • Zu guter Letzt kommt noch eine Phase, die quasi einzig­artig für Unter­nehmer im Vergleich zu Angestellten ist: die Empty-Desk-Phase (meist 10 bis 20 Jahre nach der Empty-Nest-Phase). Diese Phase tritt ein, wenn der Unter­nehmer schließlich alters­be­dingt aus seiner Firma ausscheidet. Dann bekommt man es als Ehepartner mit einem „Power-Rentner“ zu tun, der es gewohnt ist, im Jahr 5.000 Arbeits­stunden zu leisten, jetzt aber ständig zu Hause ist und nicht abschalten kann.

Die Empty-Desk-Phase ist auch der Grund, aus dem Sie als Berater am besten frühzeitig mit Ihren Kunden über die Zeit im Ruhestand sprechen. Fragen Sie Ihre Kunden gerne schon mal einige Jahre vor der Rente, wie sie sich das vorstellen. Und fragen Sie den Ehepartner gerne mal, was er oder sie dann mit dem Power-Rentner in der Ehe machen möchte.

Für Unter­nehmer und ihre Ehepartner ist es wichtig, sich frühzeitig auf das Leben als Power-Rentner vorzu­be­reiten. Vor allem sollten sie sich vorzeitig darin üben, vom Unter­nehmen loszu­lassen. Denn ihre Erfahrung und ihr über viele Jahrzehnte aufge­bautes Netzwerk sind natürlich immer noch gefragt. Doch wenn man sich zu stark auf eigenen Antrieb einbringt, dann entwi­ckelt man sich schnell vom VIP zum PIP – zur „Previously Important Person“. Wer sich als Rentner auf keinen Fall einfach auf die faule Haut legen will, kann beispiels­weise auch abseits des ehemals eigenen Unter­nehmens sein Exper­ten­wissen in unter­schied­lichsten kleineren Jobs noch gut anbringen. Wundern Sie sich aber nicht, wenn frisch­ge­ba­ckene Unter­nehmer-Rentner zwischen­zeitlich ziellos wirken. Das folgt alles dem Rentner-Phasenmodell:

Unter­schätzen Sie bitte auch niemals, wie schwer es für einen Unter­nehmer sein kann, sich nach der aktiven Zeit neu zu erfinden. Ich kenne einen Unter­nehmer, der hat mit 40 Jahren seine Firma verkauft und dafür 300 Millionen Euro netto bekommen. Was für viele Menschen wie ein Traum klingt (40 Jahre jung, reich und ohne Arbeits­stress), kann für Menschen mit Unter­neh­mer­geist zum handfesten Problem werden.

Der Unter­nehmer aus diesem Beispiel hatte sich nie gefragt, was er mit seiner Zeit machen würde. Er stellte bald fest, dass er, wie viele Unter­nehmer, kaum private Freunde hatte, mit denen er sich beschäf­tigen konnte. Und die paar, die er hatte, waren alle noch fest im Arbeits­leben invol­viert, hatten also auch kaum Zeit. Mit 42 hatte dieser Unter­nehmer dann „gelernt“, die Leere in seinem Leben mit Alkohol zu füllen. Ich möchte Ihnen an dieser Stelle also eindringlich ans Herz legen: Unter­schätzen Sie nicht die negativen Auswir­kungen, die ein unvor­be­rei­teter Ruhestand auf das Leben eines Menschen haben kann. Und unter­schätzen Sie genauso wenig den positiven Einfluss, den Sie auf rein mensch­licher Ebene haben können, wenn Sie Ihren Kunden, dessen Partner und Familie frühzeitig für die Zeit danach sensibilisieren.

Wie geht man als Berater mit Power-Rentnern um?

Wir sehen also deutlich: Es ist ratsam, den Unter­nehmer bereits vor der Rente darauf anzusprechen, was er mit seiner Zeit anfangen wird. So wie ein Unter­nehmen einen Business-Plan benötigt, braucht ein Unter­nehmer im Ruhestand einen Plan dafür, was er mit all der frei gewor­denen Zeit macht.

  • Fragen Sie gerne nach, was der Unter­nehmer und sein Ehepartner sich vorstellen. Und fragen sie auch nach, ob diese Vorstel­lungen wohl realis­tisch sind. Wer beispiels­weise plant, viel Zeit mit den Enkeln zu verbringen, obwohl die Enkel dann bereits zur Schule gehen werden, der wird vielleicht am Ende doch noch viel zu viel unver­plante Zeit haben. Und eine ausge­dehnte Reise nach Australien ist mit 75 vielleicht auch rein körperlich nicht mehr zu machen. 
  • Raten Sie Ihren Kunden, für die Rente neue Spiel­regeln in der Ehe zu erstellen, um zu verhindern, dass man sich ständig gegen­seitig auf die Füße tritt. Wie viel Zeit allein man sich gegen­seitig einräumen sollte, können Unter­nehmer schon vor dem Ruhestand testen, beispiels­weise auf einer zweiwö­chigen Kreuz­fahrt zusammen in einer Doppelkabine. 
  • Viele Unter­nehmer tun sich schwer damit, vom Unter­nehmen loszu­lassen. Raten Sie Ihren Kunden deshalb, sich schon in den Jahren vor dem Ruhestand ab und zu mal einige Zeit vom Unter­nehmen fernzu­halten, um das zu üben. Vielleicht nutzt man die Zeit ja besser, indem man sich die bereits angespro­chene Australien-Reise gönnt – die man in jungen Jahren auch deutlich besser verkraftet. 

Ich rate Ihnen außerdem, den Unter­nehmer nicht nur „nebenbei mal“ auf dieses Thema anzusprechen. Es sollte schon einen eigenen Gesprächs­termin wert sein. Das signa­li­siert dem Unter­nehmer nicht nur, wie wichtig das Thema ist, sondern man kann sich außerdem hervor­ragend von Mensch zu Mensch bei ihm positio­nieren. Denn nicht jedes Institut räumt dem Thema einen eigenen Termin ein – obwohl das den subjek­tiven Wohlfühl­faktor erheblich stärken kann.

Da es sich beim Ruhestand um ein sehr menschlich-emotio­nales Thema handelt, kann man den Unter­nehmer hier übrigens auch gerne entspre­chend emotional ansprechen, wenn man in der Berater-Kunde-Beziehung schon so firm ist. Ich durfte mal erleben, wie ein älterer Berater, der einen Kunden an eine jüngere Kollegin abgab, im Rahmen der Übergabe mit dem Unter­nehmer darüber sprach, wie er das Loslassen als Berater empfand. Gleich­zeitig unter­hielt sich seine Kollegin mit dem Nachfolge-Kandi­daten des Unter­nehmers, der zu diesem Zeitpunkt bereits feststand, darüber, wie er die Zukunft des Unter­nehmens sieht.

Nicht vergessen: In den Unter­nehmer hineinversetzen

Ich erwähne immer wieder, wie wichtig es ist, die Sicht­weise des Unter­nehmers anzunehmen, und auch bei diesem Thema ist das nicht anders. Deshalb möchte ich Sie an dieser Stelle daran erinnern: Auch Sie werden irgendwann in den Ruhestand gehen. Dann haben Sie vielleicht keine 5.000 Stunden mehr Zeit im Jahr so wie ein Unter­nehmer, aber auch bei einem Finanz­be­rater können es bereits um die 2.000 Stunden sein. Haben Sie denn schon eine Idee, was Sie mit 2.000 zusätz­lichen Stunden Freizeit im Jahr anstellen möchten? Und das für 20 Jahre oder mehr?

Ein Unter­nehmer-Leben ist etwas Besonderes

Wie bereits eingangs erwähnt, passen die wenigsten Unter­nehmer in Lebens­zy­klus­mo­delle, sofern diese nicht auch den Lebens­zyklus der Firma berück­sich­tigen. Und was auf den Unter­nehmer im Ruhestand zukommt, haben Sie nun ebenfalls miterlebt. Dabei haben Sie sicher erkannt: Der Ruhestand, die Neuori­en­tierung in der Ehe und das Loslassen vom Unter­nehmen, das das bisherige Leben über Jahrzehnte geprägt hat, das sind alles sehr emotionale Themen.

Da muss es nicht immer mit Tränen zugehen, versteht sich. In meinen Vorträgen für Unter­nehmer zum Thema „Unter­neh­mens­nach­folge: Alles außer Steuern und Recht“ sorgt es beispiels­weise immer für viel Gelächter, wenn ich den Unter­nehmern und ihren Ehepartnern erzähle, wie das so werden wird, wenn man plötzlich mit über 5.000 Freistunden zu Hause sitzt. Sprechen Sie das Thema also nicht immer nur als „Warnung“ an, sondern als Chance, die nächsten Lebens­jahre aktiv zu gestalten. Denn auch, wenn man den Ruhestand mit einem gewissen Augen­zwinkern anspricht: Das Gespräch sensi­bi­li­siert auf jeden Fall und sorgt dafür, dass die Unter­nehmer sich doch noch recht­zeitig mit der Frage ausein­an­der­setzen: Was mache ich eigentlich mit meinem Leben, wenn ich aus der Firma raus bin?

Kontakt

Dirk Wiebusch
info@ifuf.de

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