Leider etwas spät, aber rückblickend gerade noch rechtzeitig realisierte ich um den 20. Februar herum das Coronavirus als ernsthafte Gefahr für Firmen und Anleger hierzulande. Denn in den darauffolgenden Wochen gab es an den Aktien- und Rentenmärkten kein Halten mehr, aus Sorge vor der Pandemie wurde praktisch alles verkauft, was liquidierbar war. Inzwischen haben sich die Märkte wieder spürbar beruhigt. Nun stehen wir kurz vor der Erstverteilung eines Impfstoffs und die Situation kann sich erneut schlagartig ändern. Höchste Zeit für einige Investmenttipps vom erfahrenen Börsenmann für die Corona- und Nach-Corona-Zeit!
Nachdem sich der gelernte Betriebswirt Roland Idecke Mitte der 90er-Jahre seine Sporen als Wertpapiersachbearbeiter bzw. ‑berater in der Sparkasse Dachau verdient hatte, zeichnete er dort in den folgenden 12 Jahren in leitenden Positionen für die Bereiche Wertpapiere und Vermögensanlagen verantwortlich. 2009 wechselte er als Investment Consultant zur Credit Suisse Deutschland AG, arbeitete ab 2011 als Senior Portfoliomanager bei der Berenberg Bank und seit 2013 als Leiter Investmentstrategie beim Family Office Novethos Financial Partners GmbH. Mit dieser umfassenden Erfahrung aus dem Investmentbereich leitet er seit 2016 wieder in seiner Heimatsparkasse die Bereiche Wertpapierinvestments und Private Banking, wo er aktuell daran arbeitet, für die Sparkassenkunden die Chancen der Coronakrise nutzbar zu machen.
„Fallen Angels“ identifizieren und differenzieren
Aktuell gibt es auf dem Markt immer noch eine ganze Reihe von „gefallenen Engeln“. Also von Firmen, die in der Krise stark an Wert einbüßten und von den Ratingagenturen manchmal sogar auf Ramschniveau gedrückt wurden. Die aus dem Rentenbereich stammende Begrifflichkeit wird nun immer wieder im Zusammenhang mit Aktien verwendet, wobei diese nicht zwingend analog anzuwenden ist. An den Aktienmärkten finden wir es passender, von Pandemie-Gewinnern bzw. ‑Verlierern zu sprechen. Noch besser gefällt uns der Gedanke, Unternehmen in „direkt“ (wie z. B. aus der Tourismusbranche) oder „indirekt“ (wie z. B. aus der Automobilbranche) betroffene bzw. in Mitleidenschaft gezogene Unternehmen zu unterteilen.
Für Investoren ist diese Unterscheidung während Corona und in der unmittelbaren Zeit danach wichtig: Nicht jeder sogenannte Fallen Angel im Sinne eines „aussichtsreichen Nachzüglers“ ist jetzt ein Glücksgriff. Sie sind Chance und Risiko zugleich. Denn den vielen Firmen, die es schaffen werden, den widrigen Bedingungen zu trotzen und sich entsprechend umzustellen, werden eine ganze Reihe von Firmen gegenüberstehen, deren Geschäftsmodelle sich als nicht zukunftsfähig erweisen.
Auf der Suche nach den Pandemie-Verlierern mit einem vermeintlich interessanten Erholungspotenzial streift man zwangsläufig eine Vielzahl unterschiedlicher Branchen:
- Tourismusbranche
- Veranstaltungsbranche
- Gastronomie
- Luftverkehr
- Luxusgüterindustrie
- Energieversorgung
- Automobilindustrie
- Gesundheitswesen
- Privater Konsum
Der Profi sieht: Schon in dieser Liste muss eine weitere Differenzierung stattfinden. Denn es gibt in dieser Auflistung Branchen, die tatsächlich ums Überleben kämpfen. Es gibt aber auch solche, bei denen die Krise eher ein Teil des konjunkturellen Zyklus ist. Diese zyklischen, „indirekt“ in Mitleidenschaft gezogenen Industriezweige (z. B. Autoindustrie und privater Konsum) werden sich mit großer Sicherheit schnell wieder erholen. In vielen Fällen ist das bereits in der geschäftlichen Entwicklung ablesbar und spiegelt sich in den Aktienkursen wieder.
Deutlich schwieriger ist das Bild in den „direkt“ betroffenen Industriezweigen, in denen es für viele Unternehmen ums Überleben geht. Zu diesen zählen wir vor allem Unternehmen aus den Bereichen:
- Tourismus inkl. Luftverkehr
- Gastronomie
- Veranstaltung
Der Investor muss in diesen Bereichen noch stärker differenzieren: Im Reisegewerbe werden wir beispielsweise sehen, dass sich vor allem die Privatreisen schnell erholen werden. Das Ausmaß der Pendelflüge und Geschäftsreisen wird hingegen nur langsam wieder anwachsen. In der Gastronomie können wohl vor allem die großen Ketten wie beispielsweise McDonald’s, Wendy’s oder Starbucks überleben und profitieren, viele kleinere Gastro-Unternehmen werden hingegen aufgeben müssen. Hier kann einfach nicht branchenübergreifend unterstellt werden, dass sich alle Unternehmen erholen werden.
Selbst innerhalb der Marktsegmente ist detailliertes Wissen für eine solche Einschätzung nötig. Ein Beispiel: Pepsi und Coca Cola stellen beide Softdrinks her. Doch Coca Cola ist in der Gastronomie, in Hotels, in Getränkeautomaten oder unter den Bordangeboten von Fluglinien weiter verbreitet, während Pepsi deutlich mehr im privaten Bereich konsumiert wird. Beide Firmen werden sich von der Coronazeit erholen können. Aber Coca Cola wird es dabei etwas schwerer haben, wieder an das Vor-Pandemie-Umsatzniveau anzuknüpfen als der Konkurrent. Teilen Sie solches Hintergrundwissen mit Unternehmern und Sie werden sehen, dass auch diese dann gerne bereit sind, in ausgewählte Einzelaktien zu investieren –und sich dabei sogar noch etwas Verwahrentgelt zu sparen.
Denn vor allem Unternehmer sind in der Regel offen für nachweislich robuste Unternehmen. Das heißt, sie wollen die Geschäftsmodelle von Firmen, in welche sie investieren sollen, verstehen. Als weiteres Beispiel: In vielen privaten Kliniken müssen aktuell Operationen verschoben werden, was sich ungünstig auf die geschäftliche Entwicklung und somit deren Aktienkurs auswirkt. Doch: Diese OPs sind lediglich verschoben und werden mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit direkt nachgeholt, sobald sich die Situation rund um den Virus wieder etwas beruhigt hat. Das heißt, Umsatzrückgänge können hier schnell wieder aufgeholt werden. Mit solch einer Argumentation können Sie Unternehmer überzeugen und zu Investitionen motivieren.
Das bedeutet auch, dass bei den Firmen, die sich erholen werden, immer geprüft werden sollte, ob sie wieder dieselbe Bedeutung erlangen wie vor der Covid-19-Pandemie. Das trifft weniger auf die erwähnten Soft-Drink-Hersteller oder Kliniken zu, doch in anderen Branchen wurden die Marktanteile einiger Firmen von Neuankömmlingen übernommen, die sie nicht so leicht wieder hergeben werden. Gleichzeitig sind jetzt schon klare Pandemie-Gewinner identifizierbar: die digitalen Zahlungsdienstleister, Hersteller der Corona-Impfstoffe, Videokonferenz-Softwareentwickler und die meisten gut funktionierenden digitalen Geschäftsmodelle.
Wie können Investoren vorgehen?
Die genaue Identifizierung der vermeintlichen Fallen Angels und die Differenzierung innerhalb der Branchen ist schwer. Noch schwerer ist es einzuschätzen: Werden Firmen, die abgestürzt sind, sich wieder fangen? Werden sie wieder auf denselben Level kommen wie vor Corona? Und wann wird das geschehen?
Ich rate deshalb dazu, bei der Investitionsstrategie ab sofort noch mehr zu streuen, um sich vor Ausfällen zu sichern:
- Nicht nur auf Fallen-Angels-Aktien setzen, denn ob, wann und wie stark ein Comeback möglich sein wird, hängt von sehr vielen unterschiedlichen Faktoren ab.
- In der Erwartung einer konjunkturellen Erholung sollte auch in indirekt betroffene zyklische Unternehmen investiert werden, die vor allem durch die konjunkturelle Eintrübung belastet sind.
- Im Bereich der direkt betroffenen Branchen wie der Gastronomie, der Tourismus- oder Veranstaltungsbranche sollte man über Unternehmen nachdenken, die über einen langen Atem verfügen. Große Konzerne mit einem etablierten Geschäftsmodell wie beispielsweise McDonald’s, Walt Disney, Yum! Brands, Starbucks, Accor, Sodexo oder Coca Cola etc. dürften wohl genug Ausdauer und Kapitalkraft haben, um sich zu erholen und langfristig umstellen zu können
- Auch wenn die Kurse der offensichtlichen Pandemie-Gewinner schon deutlich angestiegen sind, bedeutet dies nicht zwangsläufig eine Ende der positiven Entwicklung. Für viele Technologien war die Pandemie „nur“ der Startschuss für einen langfristigen Wachstumsschub.
Zu guter Letzt sollte man davon absehen, einfach alles aufzukaufen, was nach Fallen Angel aussieht. Gerade jetzt, wo ein Impfstoff am Horizont erkennbar ist, gilt es darüber nachzudenken, welche Veränderungen sich daraus ergeben werden. Wird sich das Konsumverhalten der Menschen wie erwartet verändern oder doch anders entwickeln? Diese Entwicklung ist bereits in vollem Gange und der Markt hat ein gutes Gespür für Firmen, die überleben oder nicht überleben werden. Bei solchen, die aktuell noch immer deutlich hinter den Höchstkursen hinterherhinken, ist die Frage opportun, ob vielleicht mehr im Argen liegt als „nur“ der Corona-Knick.
Kontakt
Dirk Wiebusch
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