Ob bei Familienunternehmen oder in Finanzinstituten – wenn ich mir heutzutage ein Stimmungsbild von den Menschen mache, mit denen ich in meiner Eigenschaft als Geschäftsführer des Instituts Für UnternehmerFamilien (IFUF) tagtäglich zu tun habe, dann fällt mir immer wieder eines auf: Von den Trainees, Azubis und Mitarbeitern aus anderen Abteilungen will heute kaum einer in den Vertrieb – und wer schon im Vertrieb sitzt, der ist dort in vielen Fällen nicht wirklich glücklich. „Kein Wunder“, will man meinen, „Vertrieb ist schließlich nur was für diejenigen, die damit leben können, heute einen super Tag zu haben und morgen plötzlich das Ende der Welt zu erleben.“
Doch dies ist ein Trugschluss, der meist dadurch entsteht, dass die falschen Leute in den Vertrieb gesetzt und den falschen Kunden zugewiesen werden. Oder dadurch, dass sich die Rahmenbedingungen geändert haben: Was früher zielführend war in Bezug auf zum Beispiel Vorgehensweisen, Ansprachen und Arbeitsabläufen, passt heute nicht mehr. Doch abgesehen davon, steht nach wie vor eines fest: Für den Vertrieb muss man geboren sein. Man muss mit Menschen umgehen können und muss diese Interaktion lieben können. Dann kann aus dem vermeintlich so stressigen Job eine hochspannende und zutiefst befriedigende Beschäftigung werden.
Die wichtigste Frage: Wer passt überhaupt in den Vertrieb?
Selbst Kollegen, die ihre Arbeit im Vertrieb lieben, würden sicherlich zugeben, dass es ein permanenter Kampf ist, bei dem man außerdem noch durchgehend gemessen wird. Nicht jedem liegen diese aktuellen Arbeitsbedingungen, weshalb schlaue Vorgesetzte die Mitarbeiter für den Vertrieb idealerweise mit einem Blick auf die entsprechenden psychologischen und fachlichen Voraussetzungen aussuchen. Doch mindestens genauso wichtig ist es, die Vertriebsmitarbeiter nach Persönlichkeitsstruktur und Denkmustern den richtigen Kunden zuzuteilen.
Groß- oder Kleinkunde – ein überraschend großer Unterschied
Beispielsweise kannte ich mal einen Vertriebler, der vor allem aus Ego-Gründen stets daran festgehalten hat, Großkunden zu betreuen. Allerdings hatte er dabei nichts als Ärger, vom Einholen von Unterlagen beim Kunden bis zur Koordination mit der Marktfolge. Kurzum: Das Koordinieren groß angelegter, komplexer Aufgaben lag ihm einfach nicht. Und natürlich dämpfte das die Stimmung, sowohl beim Vertriebler selbst als auch in seinem firmeninternen Umfeld. Irgendwann wurde dann mit ihm gemeinsam entschieden, dass der Berater fortan kleinere, weniger komplexe Kunden betreuen wird. Und siehe da: Plötzlich entdeckte er seine echte Begabung für das vertriebliche Tagesgeschäft sowie für die direktere Kommunikation und Abwicklung, welche die Zusammenarbeit mit kleineren Unternehmerkunden prägt.
Das Ergebnis: Berater und seine neuen Kunden sind äußerst zufrieden mit der Zusammenarbeit. Der Berater kann nun mit seinen Kunden sehr viel in Eigeninitiative entscheiden, während er bei Großkunden immer langwierig auf Entscheidungen warten musste. Und auch für das Ego des Beraters sowie seines Umfelds ist die neue Konstellation besser, denn die Kunden sind zwar nicht mehr so riesig wie früher, doch der Erfolg und seine eigene Entscheidungskompetenz sind dabei umso größer.
Die Beratung der Großkunden übernimmt mittlerweile ein anderer Kollege, der sich besser in hochkomplexe Sachverhalte einfinden kann – denn das ist bei Großkunden entscheidend: Je größer der Kunde, desto mehr müssen weitere Personen wie beispielsweise der kaufmännische Leiter bedacht werden, die hier ebenfalls eine Rolle spielen. Und auch im eigenen Institut werden tendenziell mehr Personen benötigt, die gegebenenfalls mit dem Kunden vernetzt werden müssen. All das erfordert einen Beratertypus, der analytisch und komplex denken kann und dabei auch Spaß hat.
Woher kommt die Abneigung gegen den Vertrieb?
Gerade, wenn man mal eine wirklich nicht zueinander passende Kombination aus Kundenportfolio und Berater aufgestellt hat, erkennt man schnell den Frust, der daraus entstehen kann: Als Berater merkt man, dass die Arbeit nicht vorankommt, während gleichzeitig scheinbar von allen Seiten an einem gezerrt wird. Und der gesamte Erfolgsdruck der Arbeit lastet auf den eigenen Schultern – schließlich wird man durchgehend gemessen.
Wer das einmal am eigenen Leib erlebt hat, der denkt sich auch irgendwann: Warum nur bin ich überhaupt in den Vertrieb gegangen? Selbstverständlich sprechen diese Vertriebler dann auch mit Kollegen und dem persönlichen Umfeld in genau dieser Weise von der Arbeit im Vertrieb. Und sobald die ersten Horror-Geschichten an die Ohren von potenziellen Kandidaten und Mitarbeitern gelangen, haben diese ihre Karriereplanung ebenfalls schnell angepasst: Vertrieb, nein danke!
Mein Tipp ist deshalb: Beschäftigen Sie sich nicht mit Hörensagen, sondern sehen Sie sich die eigenen Fähigkeiten und Vorlieben genau an. Denn wer Lust auf den Kontakt mit außergewöhnlichen Menschen hat, Stolz aus dem gemeinsamen Erfolg ziehen kann und Empathie, Gestaltungswillen sowie eine Neugierde auf Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsketten mitbringt – der ist nicht nur ein Geschenk für den Vertrieb, sondern findet dort einen Arbeitsbereich, in dem er wirklich glücklich wird.
Frontschweine und Menschenfreunde – ab in den Vertrieb!
Wer von seinen Interessen und seiner Psychologie her in den Vertrieb passt, der wird ihn nicht mehr missen wollen. Denn die Neugierde auf Einblicke in die unterschiedlichsten Betriebe (Betriebsbesichtigungen bei Glasbläsern, Grill-Herstellern etc.) und die Lust darauf, eng mit wirklich interessanten Menschen, wie sie vor allem im Unternehmerkundenbereich vielzählig zu finden sind, zusammenzuarbeiten, lassen sich im Vertrieb immer noch am besten befriedigen.
Als Vertriebler liegt es allerdings auch an Ihnen festzustellen, ob Sie (noch) für den Vertrieb geschaffen sind. Während eines Workshops habe ich mal einen Großkundenberater getroffen, der in seiner Bank nicht mehr wirklich zufrieden war. In einer Pause kam er zu mir und erwähnte, dass heutzutage bei ihm im Vertrieb alles einfach zu statisch, festgefahren und bürokratisch war. Doch als ich ihn fragte, ob das denn früher wirklich anders war, musste er sich eingestehen: Nein, war es nicht. Manche Vorgänge waren sogar mangels technischen Fortschritts wesentlich unbequemer: Manch erfahrener Vertriebler kann sich vielleicht noch erinnern, dass man teilweise selbst Verträge umständlich in die Schreibmaschine „hacken” musste.
Wir stimmten schnell darin überein, dass dieser Zustand bei anderen Banken oder sogar in der Industrie (möchte man dort Top-Kunden betreuen) auch nicht anders sein wird. Der Berater musste sich dann der Frage stellen: Wenn sich der Vertrieb nicht geändert hat, war er dann überhaupt jemals zufrieden in seiner Position? Und wäre er vielleicht in einem Bereich mit anderem Anforderungsprofil wesentlich glücklicher?
Diese Selbstreflexion möchte ich jedem ans Herz legen, der mit dem Gedanken spielt, in den Vertrieb zu gehen, aktuell im Vertrieb arbeitet und dort unglücklich ist, oder sich als Trainee oder Azubi überhaupt nicht vorstellen kann, den Vertrieb als Karrierepfad einzuschlagen. Denn die Arbeit in dieser Position kann für die passende Persönlichkeit zutiefst erfüllend sein und mit der richtigen Einstellung ist man dort schnell sehr erfolgreich. Und wer sich erst einmal im Vertrieb verdient gemacht hat, der ist praktisch unentbehrlich geworden, denn hier wird von Mensch zu Mensch gearbeitet, um einen subjektiven Wohlfühlfaktor beim Kunden zu etablieren – das lässt sich nicht durch standardisierte oder digitale Prozesse wegrationalisieren. Insbesondere bei den Zielkunden Familienunternehmen und Unternehmerfamilien. Hier kann sich die ständige Messung Ihrer Arbeit sogar als Vorteil herausstellen, denn sie zeigt Ihnen jeden Tag schwarz auf weiß, wie wichtig Sie und Ihre Kollegen wirklich für das Institut sind.
Die wichtigsten Tipps für Vorgesetzte und Vertriebler
Als Vorgesetzter lässt sich die positive Arbeitsatmosphäre im Vertrieb dadurch unterstützen, dass man Vertriebler, die sich in dem Bereich nicht mehr wohl fühlen, einfach mal darauf anspricht und Alternativen anbietet. Immer mit dem großen Ganzen im Blick: Denn unzufriedene Berater strahlen dies auch aus, intern wie extern. Das demotiviert wiederum andere Kollegen, die eigentlich richtig Lust auf Vertrieb haben. Wiederholen sich diese Effekte, kann sich dies schnell zu regelrechten Mantras und einer negativen Unternehmenskultur entwickeln.
Daher bietet es sich an, stattdessen eine Erfolgskultur zu etablieren, in der Erfolge jeweils den richtigen Mitarbeitern tatsächlich zugeschrieben werden – und auch mal gefeiert werden. Da reicht schon ein gemeinsames Mittagessen, bei dem die Rechnung von der Bank übernommen wird. Die hierdurch ausgedrückte Wertschätzung hat schon so manchem Vertriebler samt aller zuarbeitenden Vertriebs- und Backoffice-Kollegen signalisiert: Das war den Aufwand wert!
An die Vertriebler geht wiederum meine Empfehlung: Gehen Sie in sich, fragen Sie sich, ob der heutige Vertrieb wirklich (noch) zu Ihnen passt. Sagen Sie danach: „Ja, das ist genau das, was ich machen möchte“, dann kommen Sie jetzt nach dem Urlaub gut erholt in Ihr Institut zurück, lassen Sie sich von der Lust auf den Kunden lenken und genießen Sie die einzigartigen Erfahrungen und Erlebnisse, die Ihnen die Arbeit im Vertrieb beschert. Denn diese lassen sich in keinem anderen Bereich Ihres Instituts im gleichen Maße erleben. Vor allem, wenn Sie mit Familienunternehmen und Unternehmerfamilien zusammenarbeiten – und zwar unabhängig von der Größe der Firmen und Vermögen.
Kontakt
Dirk Wiebusch
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