Die Krawatte gehörte mal zum Gesamtbild der deutschen Führungskraft wie die Krone auf den königlichen Kopf. Seit etwa 5 Jahren bemerke ich jedoch einen ganz anderen Trend: In den unterschiedlichen Branchen, mit denen ich beruflich zu tun habe, geht die Entwicklung auf allen Führungsebenen weg von der Krawatte. Ein Zeichen verrohender Bekleidungskultur? Nein, das ganz bestimmt nicht. Denn zur gleichen Zeit legen immer mehr Männer immer größeren Wert auf stilvolle Kleidung am Arbeitsplatz. Also doch eher: ein gesellschaftlicher Wandel im Business-Dresscode, der auch für Mitarbeiter und externe Berater eine immer wichtigere Rolle spielt.
Jan Schaumann
In der zwischenmenschlichen Kommunikation macht ihm keiner etwas vor: Jan Schaumann ist während seiner über 30-jährigen Karriere schon überall zu Wort gekommen – ob beim Organisieren der internen Kommunikation internationaler Unternehmen oder in professionellen PR- und Marketing-Positionen. Seit 16 Jahren vermittelt er sein Wissen darüber hinaus in Seminaren und Vorträgen, erarbeitet ausgefeilte Kommunikationskonzepte für Global Player und pflegt als Autor sowie Ghostwriter zusätzlich die Kunst der nonverbalen Kommunikation. Und im Sat.1‑Frühstücksfernsehen, im ZDF und auf vielen anderen Sendern kennt man ihn vor allem für seine ungezwungene Art, Business-Etikette und ‑Kleiderordnung an die Zuschauer weiterzugeben – als Jan Schaumann, der Stiltrainer. Wir vom Versteher-Magazin freuen uns über seinen nachfolgenden Gastbeitrag!
Der Mann von heute
Weißes Hemd, Sakko und Anzughose, geschmackvolle Lederschuhe und dazu ein passender Schlips. Diesen Archetyp sieht man heute immer weniger. Quer durch alle Branchen. Doch der Verzicht auf die Krawatte ist kein Ausdruck von Stillosigkeit oder geringem Aufwand bei der Bekleidungswahl.
Im Gegenteil: Männer legen in diesem Bereich heute deutlich mehr Qualitätsbewusstsein an den Tag als noch vor einigen Jahren. Nehmen Sie die Manschette als Beispiel: Vor 10 Jahren dominierten noch Ärmel mit aufgenähten Knöpfen das Bild. Heute trägt bestimmt ein Viertel bis ein Drittel der Herren wieder Umschlagmanschetten mit Manschettenknöpfen. Auch die Qualität der Stoffe und Schnitte hat merklich zugenommen. Der Mann von heute hat unter Umständen insgesamt weniger Anzüge im Kleiderschrank. Doch er wählt jeden von ihnen mit höheren Ansprüchen und geschulteren Augen.
Dieser Trend zieht sich bis in die Führungsetagen. Kaum eine Woche vergeht, in der nicht irgendein Vorstandsvorsitzender verkündet, fortan keine Krawatte mehr zu tragen. Selbst viele eher traditionsbewusste Unternehmer gehen den neuen Trend mit. Auch wenn niemand wirklich danach gefragt hat, was der Chef denn in Zukunft tragen möchte. Die Mitarbeiter nehmen das Signal gerne auf und sehen es als die neue Kleidungsordnung im Unternehmen.
Wie trägt man das Hemd ohne Krawatte?
Für mich ist klar: Die Qualität des Business-Dress sinkt nicht. Es ändert sich lediglich die Auswahl der Accessoires. Damit ändern sich auch die Prioritäten: Wer heute sein Hemd ohne Krawatte trägt, verletzt damit unter Umständen nicht mehr den Dresscode seines Unternehmens. Doch das rückt den Hemdkragen ins Zentrum der Aufmerksamkeit: Eine innen wie außen perfekte Passform und eine unbeschädigte Oberfläche sind Pflicht, denn ohne Schlips lässt sich hier nichts mehr kaschieren. Und auch das Aufknöpfen will durchdacht sein. Ich empfehle ein Maximum von ein bis zwei offenen Knöpfen: modern und professionell.
Wer die Krawatte als Farbtupfer im Outfit vermisst, findet mit dem Einstecktuch einen adäquaten Ersatz. Wie beim Schlips sind hier alle geschmackvollen Farben und Muster erlaubt. Toben Sie sich also richtig aus. Und vergessen Sie nicht: Die Art, wie Herren ihre Einstecktücher tragen, sagt viel über ihren Charakter aus: geometrisch akkurat, locker gebauscht oder in ausgefallenen Faltungen? Hier bietet sich sogar mehr Entfaltungsspielraum als vorher.
Finanzdienstleister ohne Krawatte – geht das?
Klar, das geht! Aber Fingerspitzengefühl ist gefragt. Denn der Dresscode der Finanzbranche gilt nicht umsonst als eher konservativ. Schließlich transportieren sich Seriosität, Vertrauen und Werteverbundenheit bereits mit dem allerersten Eindruck. Eine gute Kleidungswahl ist also für Finanzberater sowie für ihre Kunden wichtig. Denn beide Seiten möchten ihrem Gegenüber mit Anstand und Respekt begegnen. Die Zusammenarbeit soll vertrauensvoll, effizient und zeitsparend sein und ein angemessenes Auftreten macht es leichter, in all diesen Aspekten zusammenzufinden.
Über die Krawatte hinaus
Professionalität und Seriosität können jedoch nicht alleine durch Kleidung, also äußere Symbolik, transportiert werden. Die menschliche Ebene ist mindestens genauso wichtig. Und um dafür eine ideales Fundament zu legen, ist eine entsprechende Vorbereitung entscheidend. Fragen Sie sich deshalb immer:
- Wer sind die Menschen, mit denen ich sprechen werde? Wie kleiden sie sich? Wie verhalten sie sich (auch privat) und für welche Werte stehen sie ein? Google ist Ihr Freund, denn eine ausführliche Recherche fördert die Antworten zu diesen Fragen zutage. Und lassen sich absolut keine Informationen finden, könnte dies Ihr Anhaltspunkt sein, dass unter Umständen etwas mit dem Kunden nicht stimmt.
- Welche Themen sollen besprochen werden? Auf welchem inhaltlichen Stand sind die Beteiligten? Und kennt man sich bereits, durch telefonische Vorgespräche oder vorherige Treffen?
Machen Sie sich ein Bild von den Personen, mit denen Sie kommunizieren werden. Dieses Bild gibt Ihnen wichtige Hinweise darauf, ob Ihr Gesprächspartner die Krawatte als altmodisch empfindet. Oder ihr Fehlen als respektlos.
Diese Regel gilt auch, wenn die Karten anders gemischt sind. Wenn Sie nicht einem Kunden ein Finanzprodukt verkaufen möchten, sondern etwa ein Angebot von einem externen Partner in Empfang nehmen. Hier mache ich oft die Beobachtung, dass diese Personen, die keine Kunden, sondern Dienstleister sind, mit weniger Bedacht und Umsicht behandelt werden. Ein Fehler, denn die Regeln des Anstands gelten gegenüber allen Gesprächspartnern und der Respekt, den Sie diesen Menschen durch Ihre bedachte Kleidungsauswahl und individuelle Vorbereitung entgegenbringen, zahlt sich ebenso langfristig aus. Denn man trifft sich im Leben immer zweimal. Unter Umständen sind Sie beim nächsten Mal in der Position, etwas von Ihrem Partner zu wollen.
Wie wichtig die Vorbereitung auf das Gegenüber in jeder Art zwischenmenschlicher Kommunikation ist, wird klar, wenn man den Blick noch weiter schweifen lässt: Laden Sie einen Kunden zu einem Gespräch ein, dann kümmern Sie sich selbstverständlich auch um die Wahl des Raums. Seine rechtzeitige Belüftung, Beheizung und Beleuchtung. Sie kümmern sich darum, dass Getränke vorhanden sind oder bei größeren Gesprächen regelmäßige Pausen mit Snacks eingeplant sind. Sie kümmern sich darum, dass das WLAN funktioniert und Schreibutensilien (möglichst mit dem eigenen Firmenlogo) vorhanden sind. Eine willkommene Aufmerksamkeit, falls Ihre Gäste nicht daran gedacht haben, eigene Utensilien mitzubringen. In meinen Verhandlungsworkshops plane ich allein für die Vorbereitung von Verhandlungen und wichtigen Besprechungen einen halben Workshoptag ein. Das sollte Ihnen verdeutlichen, wie wichtig dieser Aspekt in jeder zwischenmenschlichen Kommunikation ist.
Der Dresscode – am Kunden orientieren
Was ist für Sie als Finanzdienstleister der bestmögliche Ausgang jeglichen beruflichen Gesprächs? Dass Ihr Gegenüber nach dem Gespräch begeistert in die Hände klatscht. Dass er seinem Führungsteam, Kollegen oder Partnern davon erzählt, wie toll und angenehm das Gespräch war. Ihr Auftreten und Ihr Ausdruck, zusammen mit einer ehrlichen Vorbereitung auf die jeweilige Person, sind entscheidend dafür, dass genau diese Situation eintritt.
Entspricht der interne Dresscode in Ihrem Institut also nicht mehr dem Schlipsträger-Klischee? Dann haben Sie keine Hemmungen, den Binder zu ignorieren und dafür beispielsweise die Freude an hochwertigen Einstecktüchern zu entdecken. Doch verbannen Sie noch nicht alle Krawatten vollends aus Ihrem Kleiderschrank. Denn um Ihren sehr traditionell gekleideten Kunden mit Respekt zu begegnen, benötigen Sie unter Umständen doch noch einige gut sitzende Stücke.
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Dirk Wiebusch
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