Wie in Teil 1 dieser Artikel­serie beschrieben, bringt das Jahr 2019 viele politische, gesell­schaft­liche sowie wirtschaft­liche Umbrüche mit sich. Dieses Geschäfts­klima hat Auswir­kungen – nicht nur auf die Dienst­leis­tungen der Finanz­in­stitute, sondern auch auf das Privat­ver­mögen von Familienunternehmern.

Wer in diesem Jahr eine effektive Private Banking Beratung von Mensch zu Mensch durch­führen möchte, sollte sich deshalb mit den Reali­täten des Vermö­gens­aufbaus aus dem Blick­winkel des Famili­en­un­ter­nehmers vertraut machen. Denn die Annahme, jeder Unter­nehmer verfüge über ein umfang­reiches und schnell verfüg­bares Privat­ver­mögen, stellt sich nach einge­hender Betrachtung schnell als Mythos heraus.

Geld ist immer da – oder…?

Familien­unternehmer werden 2019 noch stärker verun­si­chert und auf die Probe gestellt als noch in den Jahren zuvor: Neue Geschäfts­mo­delle werden benötigt und ganze Unter­nehmen müssen sich umstruk­tu­rieren, um nicht von der Konkurrenz überholt zu werden. Da ist es verständlich, dass so mancher Familien­unternehmer hinter­fragt, wofür er beispiels­weise mit seinem Privat­ver­mögen haften muss und ob es überhaupt als Sicherheit ausreicht, falls die neuen Heraus­for­de­rungen nicht problemlos gemeistert werden können. Vor allem wenn man bedenkt, dass Unter­nehmer verstärkt Inves­ti­tionen tätigen müssen, die zunächst keine origi­nären Sicher­heiten produ­zieren, wie z. B. der Aufbau eines Online-Geschäfts oder eines effek­tiven Online-Marketings.

Um als Berater diese Ausgangs­si­tuation verstehen zu können, kann zunächst ein Blick auf die Wechsel­wir­kungen zwischen geschäft­licher und privater Bilanz nützlich sein:

Dadurch wird klar, welche Vermö­gens­ge­gen­stände und welches Kapital überhaupt in den Bereich des Privat­ver­mögens fallen. Diese Betrachtung sollte auch als erster Anhalts­punkt für den Mythos Privat­ver­mögen dienen.

Das vermeint­liche Füllhorn des Unternehmervermögens

In meiner über 25-jährigen Erfahrung in der Beratung von Familien­unternehmen und Unternehmer­familien einer­seits sowie Finanz­dienst­leistern aus dem Firmen­kunden- und Private Banking Bereich anderer­seits habe ich immer wieder festge­stellt, dass Finanz­be­rater drei Aspekte des unter­neh­me­ri­schen Privat­ver­mögens leicht überschätzen:

  • Die Summe des liquiden Privatvermögens
  • Den Aufwand bei der Vermögensbildung
  • Die Zeit, die zur Vermö­gens­bildung nötig ist

Kein Wunder: Als Finanz­be­rater ist man durch­gehend mit großen Firmen­ge­bäuden, High-Tech-Produk­ti­ons­ma­schinen und großen Kunden­namen konfron­tiert. Auf subjek­tiver Ebene entsteht also der Eindruck, man habe es mit privat sehr wohlha­benden Unter­nehmern zu tun. In der Realität sind viele Familien­unternehmer jedoch wesentlich weniger (netto-)vermögend– insbe­sondere, wenn man speziell das liquide Vermögen betrachtet.

Ein beispiel­hafter Vermögensaufbau

Um zu veran­schau­lichen, wie gemächlich und in welch überschau­barem Umfang der Vermö­gens­aufbau in der Realität statt­findet, sei an dieser Stelle ein stark verein­fachtes Rechen­bei­spiel erwähnt. In der Praxis ist die jeweilige private und wirtschaft­liche Situation des Famili­en­un­ter­nehmers natürlich wesentlich komplexer. Diese Berechnung soll deshalb nur dazu dienen, den Mythos des unter­neh­me­ri­schen Privat­ver­mögens zu illustrieren:

Nehmen wir einen Beispiel-Unter­nehmer – und allei­nigen Gesell­schafter – in erster Generation, dessen Unter­nehmen sich nachhaltig am Markt etablieren kann. Bei der Berechnung des Vermögens müssen wir zunächst einige finan­zielle Aspekte bedenken, die in der Regel in ähnlicher Form auf alle Unter­neh­mens­gründer zutreffen:

  • In der Gründungs­phase fließt fast das gesamte Vermögen in den Betrieb, auf Kosten des privaten Vermögensaufbaus.
  • Erst nach etwa 5 Jahren, wenn das Geschäft angelaufen ist, kann Kapital zum Vermö­gens­aufbau oder für weitere Inves­ti­tionen zurück­gelegt werden.
  • Sobald das Unter­nehmen gut läuft und wächst, finan­zieren sich die meisten Familien­unternehmer ein Eigenheim, nach meiner Erfahrung mit etwa 35–45 Jahren.
  • Danach wird häufig in weitere Immobilien inves­tiert, aus deren Vermietung sich der Unter­nehmer zusätz­liche finan­zielle Sicherheit verspricht.
  • Erst danach wird weiteres Kapital in der Regel in Aktien und ähnlichen Inves­ti­tionen angelegt.

Der Weg bis zum erfolg­reichen Vermö­gens­aufbau ist also lang und insbe­sondere in den ersten Jahren des Bestehens findet praktisch kein Vermö­gens­aufbau statt. Die meisten Unter­nehmer stehen dann nach 20 bis 25 Jahren vor der Heraus­for­derung, dass neue Entwick­lungen sie vom Markt zu verdrängen drohen – so, wie es 2019 für viele Familien­unternehmen der Fall ist. Davor bewahren können sie ihre Unter­nehmen nur durch Inves­ti­tionen in Neuori­en­tierung und Umstruk­tu­rierung – und an dieser Stelle kommt die Sorge über die Höhe des Privat­ver­mögens ins Spiel.

Beispiel­haftes Privat­ver­mögen nach 20 bis 25 Jahren Unternehmertum

Stellen wir uns vor, dass unser Beispiel-Unter­nehmer sein Unter­nehmen mit einem überschau­baren Kapital (und im Falle eines Produk­ti­ons­un­ter­nehmens von Anfang an mit Kredit­vo­lumina) im Alter von 30 Jahren gegründet und zum jetzigen Zeitpunkt 23 Jahre lang geleitet hat. Seit 15 Jahren verdient er gut, die Jahre davor wurden zum Durch­setzen und Etablieren auf dem Markt benötigt.

Für sein Privat­ver­mögen hat ein solcher Familien­unternehmer zwei Haupt-Einnahmegrößen:

  • Sein Gehalt (Abzüglich Steuern und Sozialabgaben)
  • Gewinn­ent­nahmen (Unter Mitsprache von beispiels­weise Kredit­gebern, Stichwort: Kredit Covenants)

Hat unser Beispiel-Unter­nehmer ein Brutto-Jahres­gehalt von 240.000 €, bleiben davon bei einem beispiel­haften Einkom­men­steu­ersatz von 50 % noch etwa 120.000 € netto. Mindestens 60.000 € davon werden wiederum für Lebens­hal­tungs­kosten und andere Privat­aus­gaben verwendet. Im besten Fall bleiben vom Gehalt also etwa 60.000 € zum Vermö­gens­aufbau. Nach 15 Jahren entspricht dies einem Privat­ver­mögen von 900.000 €.

Das ist ein durchaus ansehn­liches Privat­ver­mögen, doch wie die Rechnung gezeigt hat, erfordert dies einiges an Aufwand, wirtschaft­lichen Erfolg, ideal gestaltete Entnah­me­be­din­gungen (oft wird das eigene Gehalt eher so gestaltet, dass es zwar den Lebens­un­terhalt abdeckt, aber nicht zur zusätz­lichen Vermö­gens­bildung genutzt werden kann) und eine kosten­ef­fi­ziente Lebens­ge­staltung. Und vor allem erfordert es Zeit.

Der Zusam­menhang von Gewinn und Privatvermögen

Wer nach 15 Jahren Unter­neh­mertum ein Privat­ver­mögen von fast 1.000.000 € angehäuft hat, hat sich dadurch ein prakti­sches Polster und Liqui­dität für private Inves­ti­tionen aufgebaut. Doch um auch den vorsich­tigsten Unter­nehmer zum Inves­tieren zu bewegen, wäre ein Polster von 5.000.000 € noch vorteil­hafter. Wir gehen dabei weiterhin davon aus, dass sein Gehalt, wie in der Praxis oft üblich, so bemessen ist, dass es zur Vermö­gens­bildung nicht ausreicht – und ignorieren der Einfachheit halber die Effekte von Inflation und eventu­ellen Wertsteigerungen.

Das bedeutet, dass unser Beispiel-Unter­nehmer in einem Zeitraum von 15 Jahren in jedem Jahr 660.000 € entnehmen muss, von denen nach unserem beispiel­haften Steuersatz von 50 % noch knapp 330.000 € netto übrig bleiben (aus Verein­fa­chungs­gründen lassen wir unter­schied­liche Rechts­kon­struk­tionen und die daraus folgenden unter­schied­lichen Steuer­an­sätze außen vor). Um diese Entnahmen zu tätigen, müsste das Unter­nehmen einen EBIT von 1,1 Millionen € (bei 39 % Steuersatz) aufweisen – und zwar durch­gehend über die gesamten 15 Jahre. Der Umsatz (operative Marge von 10 %) müsste etwa 10 Millionen € betragen – ebenfalls durch­gehend über 15 Jahre.

Nur unter Idealbedingungen

Wer sich ein bisschen mit Familien­unternehmen auskennt, wird schnell merken, dass die Beispiel­rech­nungen, die wir soeben aufge­stellt haben, eigentlich nur unter Ideal­be­din­gungen realis­tisch sind. Wir gehen davon aus, dass:

  • kein Teil des Gewinns in das Eigen­ka­pital fließt.
  • der Unter­nehmer allei­niger Gesell­schafter ist.
  • über 15 Jahre ein konstant hoher Gewinn erwirt­schaftet wird.
  • alle unter­neh­mens­in­ternen Optimie­rungen vom Cash-Flow abgefangen werden.

Reduzieren wir die Ausschüttung auf realis­ti­schere 50 % der genannten Werte (die andere Hälfte fließt ins Eigen­ka­pital), müsste das Unter­nehmen bereits 20 Millionen € Umsatz machen (EBIT von ca. 2 Millionen €) um in 15 Jahren 5 Millionen € Privat­ver­mögen zu erwirt­schaften (weiterhin ohne Berück­sich­tigung von eventu­ellem Wertzu­wachs der bishe­rigen Inves­ti­tionen und ohne Inflation). Bei einem zusätz­lichen Gesell­schafter steigt der nötige Umsatz bereits auf 40 Millionen €.

Die finan­zielle Situation der eigenen Kunden verstehen

Finanz­dienst­leister müssen sich dieser Tatsache bewusst sein, um eine effektive Beratung durch­führen zu können: Das Privat­ver­mögen wächst selbst bei erfolg­reichen Unter­nehmern nicht so schnell und in so großem Maße an, wie es manchmal den Eindruck macht. Das indivi­duelle Geschäfts­modell und die Wertschöp­fungs­kette sollten also vor jeder Beratung genau­estens betrachtet und verin­ner­licht werden, wie ich es bereits in meinen Artikeln zum neuen Anfor­de­rungs­profil für Firmen­kunden- und Private-Banking-Berater dargelegt habe.

Das ist vor allem deshalb wichtig, weil unsere Berech­nungs­bei­spiele, wie erwähnt, stark verein­facht sind. In reellen Unter­nehmen sind die Berech­nungs­grund­lagen komplexer und die Handlungs­emp­feh­lungen müssen indivi­du­eller auf jeden Einzelfall angepasst werden, wie ich es im Rahmen meiner Seminare und Realfall­coa­chings sowohl im Private-Banking- als auch im Firmen­kunden-Bereich exempla­risch vornehme. Dort zeige ich auch, wie auf Basis realer und indivi­du­eller Unter­neh­mens­si­tua­tionen spezi­fische Handlungs­emp­feh­lungen erarbeitet werden können.

Wer die Situation kennt, berät kompetent

Das Jahr 2019 wird durch eine Umbruch­stimmung dominiert, die gerade von mittel­stän­di­schen Famili­en­un­ter­nehmern mit großer Unsicherheit, jedoch auch mit Mut und einem gewissen Augenmaß aufge­nommen wird. Und nach diesem Blick auf den Aspekt des Privat­ver­mögens von Unter­nehmern sollte auch klar sein, warum: Familien­unternehmer wissen, dass der Vermö­gens­aufbau Zeit und Arbeit erfordert – falsche oder zu riskante Inves­ti­tionen im Privat­ver­mögen oder unüber­legte Änderungen am Geschäfts­modell lassen sich nicht so einfach wieder ausbügeln.

Berater tun gut daran, diese Tatsache in der Gesprächs­planung zu beachten. Doch auch die richtigen Struk­turen auf Seiten der Finanz­dienst­leister müssen geschaffen werden, um vor dem Hinter­grund der geänderten wirtschaft­lichen Voraus­set­zungen im Familien­unternehmen und des Risikos für das persön­liche Vermögen der Unternehmer­familie eine effektive Beratung von Mensch zu Mensch gewähr­leisten zu können. Im kommenden Artikel dieser Serie wird Finanz­dienst­leistern deshalb dargelegt, welche Struk­turen dies sind und wie sie diese herstellen können.

Kontakt

Dirk Wiebusch
info@ifuf.de

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