In meiner Funktion als Geschäftsführer des Instituts Für UnternehmerFamilien (IFUF) war ich neulich bei einem Familienunternehmer zum Gespräch. Dabei handelte es sich diesmal jedoch nicht um einen Bestands‑, sondern um einen Neukunden – es war also der erste persönliche Kontakt zwischen uns. Wie gewohnt packte ich nach dem Gespräch also meine Standardfrage aus, die ich neuen Kunden des IFUF immer stelle: „Hätten Sie denn noch etwas Zeit? Ich würde mir gerne einmal Ihren Betrieb anschauen.“ Und wie immer war der Unternehmer sofort begeistert und antwortete mit glänzenden Augen: „Ja klar, sehr gerne!“
Unternehmer von einer anderen Seite erleben
Die Begeisterung dafür, einen Gast durch das eigene Unternehmen zu führen, war meinem Neukunden sichtlich anzumerken. Für mich war das wenig überraschend, denn in all der Zeit, in der ich bereits eng mit Familienunternehmern zusammenarbeite, habe ich immer wieder gemerkt, dass alle (Familien-)Unternehmer dieselben Schwerpunkte legen:
- Am wichtigsten ist das Unternehmen
- Mit großem Abstand gefolgt von der Familie
- Wiederum mit großem Abstand andere Dinge (private Finanzen, Freizeit/Hobbys etc.)
Familienunternehmer sind (mit Recht) stolz auf das Unternehmen, das sie aufgebaut haben. So auch mein Neukunde – er hatte sichtlich Spaß daran, mir die Abläufe und die daraus resultierenden Produkte zu zeigen. Wenn Sie bereits Betriebsbesichtigungen bei einem Unternehmer mitgemacht haben, werden Sie mir sicher zustimmen, wenn ich sage: Hier werden Unternehmer plötzlich richtig gesprächig. Selbst wenn sie bei anderer Gelegenheit kurz angebunden sind und immer den Eindruck erwecken, sie müssten jetzt eigentlich gerade woanders an wichtigen Stellschrauben drehen – sobald es an die Betriebsbesichtigung geht, verlieren sie mitunter jedes Zeitgefühl. Sie berichten darüber, was ihre Mitarbeiter und sie selbst geleistet haben, an welchen Projekten sie beteiligt waren und vieles mehr.
Die Firma ist und bleibt das Herzstück des Unternehmers, und daher möchte ich allen Lesern ans Herz legen: Nehmen Sie sich Zeit für Betriebsbesichtigungen und fragen Sie aktiv danach! Die Begeisterung des Unternehmers für den eigenen Betrieb bietet Ihnen eine ideale Möglichkeit, sehr effektiv auf persönlicher Ebene – von Mensch zu Mensch – ins Gespräch zu kommen. Zudem gibt Ihnen eine Betriebsbesichtigung den nötigen Überblick vor Ort: Wo finden im Unternehmen Innovationen statt, wo stagnieren diese vielleicht und an welcher Stelle ist der Unternehmer besonders gut aufgestellt? Bei einer Besichtigung nehmen Sie aktiv am Unternehmen teil, anstatt die Informationen lediglich nacherzählt zu bekommen.
Die Gedanken des Unternehmers nachvollziehen
Während einer Betriebsbesichtigung werden Sie übrigens bemerken, dass ein Unternehmer sein Produkt immer wieder anfasst, es beinahe schon streichelt und stolz präsentiert wie ein Neugeborenes. Selbst außerhalb von Besichtigungen nehmen viele Unternehmer ihr Produkt gerne in die Hand, benutzen es testweise oder verköstigen es im Falle eines Lebensmittelkonzerns. Für dieses Verhalten gibt es letztlich zwei Gründe:
- Liebe zum eigenen Produkt
- Qualitätskontrolle
Das fiel mir auch bei dem eingangs beschriebenen Neukunden des IFUF wieder auf: Während der Führung trat er an eines seiner Produkte heran und strich mit der Handfläche liebevoll über dessen Oberfläche. Dabei bemerkte er jedoch, dass die Fläche nicht ganz glatt gearbeitet war – und teilte das dem zuständigen Mitarbeiter sofort über einen einzelnen Blick mit. Wenn Mitarbeiter erst mal lange genug dabei sind, können sie diese Blicke auch ohne Worte richtig deuten. Und tatsächlich: Zum Ende unserer gemeinsamen Besichtigung kamen wir (nicht ganz zufällig) noch einmal an den Arbeitsplatz zurück und der Unternehmer kontrollierte erneut die Oberfläche des Produkts, diesmal sichtlich zufriedener mit dem Ergebnis.
Solche Situationen geben Ihnen viel Einblick in die Gedankenwelt des Unternehmers, in dessen Werte, Ziele und Wünsche. Vor kurzer Zeit meinte ein Leiter des Private Banking in einem bekannten Finanzinstitut zu mir: „Es muss uns, den Private-Bankern, aber natürlich auch den Firmenkundenberatern gelingen, im Kopf des Unternehmers spazieren zu gehen.“ Das hat er klasse formuliert und auf den Punkt gebracht! Und ich bin überzeugt: Der erste Schritt dazu ist ein „Spaziergang“ durch das Unternehmen, das zum unteilbaren Aspekt der Gedankenwelt des Unternehmers geworden ist. Eine Betriebsbesichtigung ist daher nicht nur ein spezielles Privileg für Sie als Finanzdienstleister, sondern erlaubt Ihnen auch, den subjektiven Wohlfühlfaktor aufzubauen, der heutzutage für die Verbindung zwischen Institut und Familienunternehmen von zentraler Bedeutung ist.
Betriebsbesichtigungen sollten daher für alle Finanzberater, die mit Unternehmern zu tun haben, eine spannende Zeit sein. Egal ob Firmenkundenberater, Private-Banking-Berater/ Vermögensberater oder Mitarbeiter aus den Bereichen Marktfolge, Versicherung, Payment/Zahlungsverkehr und Auslandsgeschäft: Tauchen Sie in die Welt der Unternehmer ein und lernen Sie, in ihren Köpfen spazieren zu gehen!
Seien Sie Ihrer Zeit voraus
Erfahren Sie bei der Betriebsbesichtigung außerdem, wie die Produkte der Zukunft aussehen: Wie funktioniert der Schließmechanismus der Autotüren von morgen, wie wird Fensterglas wetterbeständig hergestellt und beschichtet? Setzen Sie sich mit den Produkten Ihrer Kunden auseinander. Das ist keine lästige Pflicht, sondern ein Privileg, denn es eröffnet Ihnen auch den Blick auf die gesamte Industrie, auf aktuelle Standards und künftige Innovationen. Es hilft Ihnen, Unternehmen über deren Arbeitsabläufe und Produkte besser zu verstehen. Genießen Sie Betriebsbesichtigungen. Wer aus Ihrem Bekannten- und Freundeskreis, wenn er nicht einen ähnlichen Job hat wie Sie, kann so tief in unsere Welt eintauchen? Sie dürfen die Welt sehen, wie Sie erschaffen wird. Andere dürfen diese – wenn überhaupt – nur nutzen.
Einmal im Jahr, am besten in Zusammenhang mit dem Jahresgespräch, lohnt sich eine solche Betriebsbesichtigung also allemal – insbesondere im Rahmen von Überleitungsgesprächen, wenn man beispielsweise einen neuen Kollegen vorstellt. In Zeiten von Smartphone und Tablet kann man den Unternehmer bei der Gelegenheit außerdem fragen, ob man ein Foto oder Video von Produkten und Produktionsabläufen aufnehmen darf, um es zur Akte hinzuzufügen und den Kollegen sowie Entscheidern so bestimmte Dinge zu visualisieren.
Betriebsbesichtigungen sind letztlich eine Mischung aus „Sendung mit der Maus“, „Sesamstraße“ und „Löwenzahn“ für Erwachsene – nirgendwo bekommt man so tolle und exklusive Einblicke, sowohl in die Arbeitspraxis als auch in die Gedankenwelt des Unternehmers. Fragen Sie also aktiv danach und Sie werden sehen: Der Unternehmer wird Sie mit großer Freude durch den Betrieb führen. Und sollte die Zeit gerade doch einmal nicht passen, dann werden Sie in den meisten Fällen sogar noch einen extra Zusatz-Termin für die Führung bekommen.
Kontakt
Dirk Wiebusch
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