Vor einer Woche waren wir mit dabei, als David Wagner sich daran zurück­er­in­nerte, wie er sich damals, vor 40 Jahren, den Traum von der eigenen Firma erfüllte (hier geht es zu Teil 1). Und wir waren mit dabei, als er sich an den Moment erinnerte, in dem er mit einer unange­nehmen Wahrheit konfron­tiert worden war: Dass in seinem Unter­nehmen nicht alles so glatt lief, wie er sich das erhofft hatte. Vielleicht wäre damals sogar der ganze Traum kaputt­ge­gangen, wenn da nicht dieses Telefonat gewesen wäre.

Eine schwierige Entscheidung

David nimmt einen weiteren Schluck aus seinem Glas, atmet das markante Aroma des dunklen Weins ein und lässt seinen Blick über den Garten schweifen. Er erinnert sich noch gut an den aufge­wühlten Zustand, in dem er damals nach Hause gekommen war. Und an seine Wut auf die Banker, die ihn wohl für unfähig hielten, seine eigene Firma zu leiten. Wie instinktiv griff er damals zum Hörer und rief Rudolf Seiler an – er hatte David damals den entschei­denden Anstoß zur Gründung der eigenen Firma gegeben und sicher würde er auch jetzt einen Ausweg wissen. 

Rudolfs Rat war überra­schend: „Zwei Dinge sollten Sie sich merken. Erstens: Gute und erfolg­reiche Unter­nehmer arbeiten AN der Firma und nicht IN der Firma. Zweitens: Kredit­geber sind die letzten, die ein Interesse am Untergang einer Firma haben. Sie wollen Geld verdienen. Und mit insol­venten Firmen verdienen sie nun mal nichts.“ 

David hatte eigentlich gehofft, dass Rudolf ihm recht geben, ihn in Schutz nehmen würde. Doch sein alter Vertriebs- und Führungs­trainer hatte ins Schwarze getroffen: Hatten die Banker nicht genau das gesagt? An insol­venten Firmen sind sie nicht inter­es­siert. Er ging in sich: Hatte er den Satz in der Hitze des Gefechts falsch verstanden? Wenn Rudolf das sagte, klang es so einleuchtend. Nicht mehr wie eine Drohung, sondern wie ein einfacher Fakt. 

Vier geschlagene Wochen brütete David über diesem Gedanken. Vier Wochen, in denen sich sein Arbeits­pensum überschlug, in denen er stundenlang mit seiner Frau und seinem Mentor Rudolf disku­tierte. Vier Wochen, in denen er immer wieder die Statistik abwägte, die er in einem Vortrag zum Thema „Unter­neh­mens­nach­folge“ gelernt hatte: 20 von 100 Gründern überstehen die ersten 5 Jahre, 4 von 100 die ersten 10. Und zuletzt: Nur 1 von 500 überschreitet die 20-Jahres-Marke. 

David würde nicht auf der falschen Seite der Statistik stehen! Mehr AM Unter­nehmen arbeiten als IM Unter­nehmen. Immer und immer wieder überdachte er die Idee, verwan­delte sie schritt­weise in einen Plan und lud schließlich sein gesamtes Kernteam zu einer Strate­gie­be­spre­chung. Wie sie so alle im Kreis in seinem Büro saßen, war ihm plötzlich klar geworden, dass er sich nicht erinnern konnte, wann sie das zum letzten Mal getan hatten. Wann sie zum letzten Mal Klartext gesprochen hatten. Das waren schließlich seine Leute, denen er vertraute, die teilweise seit Tag 1 dabei waren und die wiederum auf ihn bauten. David nahm den Mut zusammen, sprach das Problem offen an und legte seinen Lösungs­vor­schlag dar. 

Alle standen auch weiterhin hinter ihm. Sie waren sich einig: Ohne David geht es nicht. Aber es war Zeit für Erneuerung. So muss sich das für seinen früheren Arbeit­geber angefühlt haben, dachte sich David damals. Nur, dass er und sein Team sich nicht gegen die Verän­derung stellen würden! Eine neue Organi­sa­ti­ons­struktur musste her: David gab Verant­wortung und Kompe­tenzen ab, würde mehr AN der Firma arbeiten, natürlich mit einem Vetorecht in allen Fragen. Seine Vertrauten würden das Geschäft IN der Firma lenken. Mit dem neuen Plan ging David zu seinen Banken und stieß auch dort auf breite Zustimmung. Spätestens jetzt war ihm klar, dass er sie tatsächlich missver­standen hatte: Die Banken hatten kein Interesse an insol­venten Kunden – und deshalb wollten sie ihm helfen, genau dieses Schicksal zu vermeiden.

Über den eigenen Schatten gesprungen

Der anfäng­lichen Euphorie folgte jedoch erst einmal Ernüch­terung: Ganze 3 Jahre sollte es noch dauern, bis der neue Weg merkliche Verbes­se­rungen für das Betriebs­klima und die Bilanz des Unter­nehmens brachte. 3 Jahre, in denen sich an Davids persön­licher Situation kaum etwas änderte: Er arbeitete immer noch viele Nächte durch, hatte kaum Zeit für seine Familie. Er fühlte sich mit einem Mal in die Zeit der Firmen­gründung zurück­ver­setzt: Stamm­kunden kauften plötzlich nichts mehr, Zusagen wurden zurück­ge­nommen. An anderen Tagen kamen überra­schend lukrative Aufträge rein, die sein Team in Rekordzeit abwickeln konnte. Zuver­sicht und Zweifel wechselten sich fast täglich ab. 

Dann, irgendwann, ging es auf einmal langsam wieder mehr bergauf. Die Kunden waren jetzt teilweise andere und die neuen Mitar­beiter in der Firma waren motivierter und identi­fi­zierten sich voll und ganz mit dem Unter­nehmen – bei ihrer Auswahl wurde jetzt von Davids Vertrauten genauer hinge­schaut. Als Chef überließ David die minutiöse Organi­sation der Firma nun verstärkt seinen Mitar­beitern, arbeitete selbst mehr AN der Firma – das heißt, er kümmerte sich verstärkt um die Strategie und die Zukunft, und stand seinen Mitar­beitern mit Rat zur Seite. Schon bald lief alles wie geschmiert und David konnte endlich wieder unein­ge­schränkt stolz auf seine Firma, seine Mitar­beiter und sich selbst sein. Das lag auch daran, dass er nun öfter als früher Zeit zuhause verbringen konnte: Die Kinder waren zwar schon erwachsen und studierten, doch mit seiner Frau Marlies konnte er nun endlich ausge­dehnte Urlaube machen und gemeinsame Hobbys verfolgen. Und das alles, obwohl er eigentlich immer noch 12-Stunden-Tage in der Firma hatte.

Ein neuer Anfang

Das Unter­nehmen schaffte den Sprung über die 20-Jahres-Marke! Das musste natürlich gebührend gefeiert werden. Mitar­beiter aller Positionen, treue Kunden wie Willi Meier, Geschäfts­partner und Bankbe­rater versam­melten sich zu einem Fest, das alles in den Schatten stellte, was man im Betrieb je erlebt hatte. 

Auch Rudolf Seiler war selbst­ver­ständlich mit dabei – er hatte schließlich auf seine eigene Weise zum Erfolg der Firma beigetragen. Und er nahm David auch diesmal, kurz nach Mitter­nacht, wieder beiseite und stellte ihm eine Frage: „Und jetzt? Wie soll es weiter­gehen?“ David war zunächst verwirrt: „Na, so wie jetzt, oder nicht?“ Doch so leicht ließ sich Rudolf nicht abwimmeln: „Anders gefragt: Was wollen Sie am Ende übergeben? Und an wen?“ Zunächst war David nur verwundert über die plötz­liche Frage: Nachfol­ge­re­gelung mit 50? Wozu jetzt schon? Und dann fiel ihm wieder dieser Satz ein: „Erfolg­reiche Unter­nehmer arbeiten AM Unter­nehmen, nicht IM Unter­nehmen.“ 

David verstand, dass er nicht bis zum letzten Augen­blick warten konnte. Also fragte er sich zunächst, was er denn eigentlich übergeben wollte. Das war einfach: Er wollte nicht nur die Firma, die Vermö­gens­werte und den Kunden­stamm vererben, sondern mehr: eine Unter­neh­mens­kultur, das Mitein­ander zwischen Unter­neh­mens­führung, Geschäfts­partnern, Mitar­beitern und Kunden. Er wollte, dass seine Firma auch nach seinem Ausscheiden noch denje­nigen Werten verpflichtet war, die er und seine Teammit­glieder sich damals als Vorbild genommen hatten, als sie an dem kleinen Grill­abend handschriftlich die groben Ideen des gemein­samen Unter­nehmens nieder­legten. 

Danach widmete er sich der Frage, wer denn all das bekommen sollte. Seine Kinder entschieden sich schnell dagegen. Das war David eigentlich schon vorher klar gewesen. Doch der Gedanke, die Firma an einen Fremden abzugeben, gefiel ihm nicht. 20 Jahre Schweiß und Tränen für die Familie – und jetzt wollten beide Kinder den Betrieb nicht übernehmen. In die Enttäu­schung mischte sich jedoch auch ein gewisser Stolz. Klar und fokus­siert den eigenen Weg zu gehen – war es nicht letztlich das, was ihn auch immer angetrieben hatte? War es nicht das, was das Unter­nehmen überhaupt erst ins Leben gerufen hatte? 

David wurde klar, dass er für eine vertretbare Nachfol­ge­re­gelung also nicht nur eine Firma schaffen musste, die er ruhigen Gewissens übergeben könnte. Er musste auch jemanden finden, dem er das Unter­nehmen anver­trauen konnte.

Spreu und Weizen

David musste sich die kommenden Jahre genau im Unter­nehmen umschauen: Seine alten Wegge­fährten würden ja zu ganz ähnlichen Zeitpunkten in Rente gehen, wie er – die kamen für die Übergabe also nicht in Frage. Für wen endete der Weg vielleicht schon heute? Wer waren die Leute, die in einigen Jahren bereit waren, die Firma zu übernehmen? Und wen von den Jüngeren würden diese Leute wiederum brauchen, um auch nach der Übernahme noch auf Top-Mitar­beiter und Vertraute zurück­greifen zu können? Ähnlich dachte David über die Kunden, Geschäfts­partner und Banken nach, die ihn auf seinem Weg begleitet hatten: Wer würde vielleicht in Zukunft nicht mehr zum Unter­nehmen passen, wer würde den nachfol­genden Leuten das Leben schwer machen und wer würde sich auch nach der Übernahme noch als treuer Wegbe­gleiter erweisen? 

Das alles war überhaupt nicht leicht. Nicht nur, weil es schwer war, fundierte Entschei­dungen über die Zukunft zu treffen, sondern auch, weil David Loyalität immer wichtig gewesen war. Insbe­sondere die Loyalität zu seinen Mitar­beitern. Nun musste David wegwei­sende, aber oft auch harte Entschei­dungen treffen, die in vielen Fällen darin mündeten, dass ungeeignete Mitar­beiter freige­setzt oder Mitar­beiter mit einem festen Platz in der Zukunft des Unter­nehmens bevorzugt wurden. Dabei ging es nicht immer sachlich zu, denn selbst­ver­ständlich gab es auch Wider­stand. Doch David wusste, dass die Zukunft des Unter­nehmens wichtiger war als alle Bedenken.

Der Aufschwung

In den kommenden Jahren half es David zu sehen, dass sich die Firma und sein Privat­leben immer weiter zum Besseren entwi­ckelten: Nach den ersten Schmerzen der Neustruk­tu­rierung sahen die Zahlen mittler­weile blendend aus und auch das Betriebs­klima war exzellent: Die Mitar­beiter waren hochmo­ti­viert und einge­spielt, wie ein gut geöltes Uhrwerk. 

Davids Kinder waren nun endgültig flügge geworden und überließen ihm und seiner Frau Marlies ein Leben, wie sie es noch von der Zeit vor der Famili­en­gründung kannten. Liebevoll einander zugewandt, aber mit einer viel tieferen Verbindung als früher. Endlich war Zeit und Geld da, um all das zu unter­nehmen, was sie sich immer ausgemalt hatten: Sie lachten, sie tanzten – zuhause und im Verein. Und sie hatten endlich die Freiheit, in langen Reisen einige der spannendsten Gegenden der Welt auszu­kund­schaften. Sie waren endlich zusammen, zuhause, zufrieden.

Rochade

David wiegt sich im Sommerwind auf seinem Garten­stuhl: Gerade mal 4 Jahre ist es jetzt her, dass er beschloss, das Unter­nehmen zu verkaufen. Das war hart. Denn damals konnte er sich nicht sicher sein, was damit geschehen würde: Was würden die neuen Eigen­tümer mit SEINEM Unter­nehmen machen? Was würde aus SEINEN Mitar­beitern, die ihm all die Jahre die Treue gehalten hatten und die er nun – so kam es ihm damals vor – verkaufen und verraten wollte. Das war schwie­riger als das Impro­vi­sieren zur Gründungszeit, die Heraus­for­de­rungen und die Probleme nach den ersten 15 Jahren zusammen. 

Die schlaf­losen Nächte kamen wieder und David brütete beim Licht seiner Tisch­lampe über mögliche Inter­es­senten und Angebote. Immer mit dem Gedanken im Hinterkopf: Wenn deine treuen Wegge­fährten in der Firma in einigen Jahren über dich sprechen – was werden sie über dich und die Art und Weise, wie du ausge­stiegen bist, sagen? David stellte Infor­ma­tionen zusammen, las sich in hochkom­pli­zierte Verträge ein und bestritt erste Verhand­lungen mit poten­zi­ellen Käufern. Und von alledem durfte niemand etwas mitbe­kommen. 

Die Kaufan­gebote waren zu diesem Zeitpunkt ernüch­ternd, denn so mancher versuchte, den Kaufpreis mit an den Haaren herbei­ge­zo­genen Argumenten zu drücken. David war mittler­weile geschäftlich versiert genug, um zu erkennen, dass er jemandem, der so verhan­delte, unmöglich sein Unter­nehmen anver­trauen konnte. Zwei Jahre ließ er sich Zeit, um alles zu sondieren. Doch er war jetzt 68. Und bei manchen Angeboten wäre er fast schwach geworden, wenn seine Familie nicht schon wohlhabend gewesen wäre. 

Wenn sich David heute an diese Zeit zurück­er­innert, fühlt sich das fast an wie damals in der Anfangszeit: Unzählige Überstunden, in denen er hochkom­plexe wirtschaft­liche und recht­liche Sachver­halte abwägen musste, immer mit der Verant­wortung gegenüber den eigenen Leuten und deren Familien in der einen Waagschale sowie dem Willen zur Profit­ma­xi­mierung in der anderen. 

Ein wirklich gutes Angebot kam erst spät in der Entschei­dungs­findung: Ein befreun­deter Unter­nehmer hatte plötzlich Interesse daran, Davids Firma zu kaufen. Das überraschte David, denn das Unter­nehmen seines Bekannten hatte eine völlig andere Ausrichtung und stellte Produkte her, die mit seinen eigenen nichts zu tun hatten. 

Am Telefon wurde das Rätsel gelöst: „Herr Wagner“, fing der befreundete Unter­nehmer an, „ich stehe an einer ähnlichen Stelle wie Sie, aber bei mir wollen beide Söhne die Firma weiter­führen. Und ich denke, dass die Jungs dann meine ambitio­nierten Führungs­kräfte ausblocken werden. Vor allem meine kaufmän­nische Leiterin hat riesiges Potenzial, das dann einfach verschenkt wäre. Meine Idee ist nun, ihre Firma zu kaufen – Sie bleiben als Elder-Statesman an Bord, ihre Führungs­mann­schaft macht weiter wie bisher, meine kaufmän­nische Leiterin wird Sprecherin der Geschäfts­führung und übernimmt den Verwal­tungs­be­reich bei Ihnen.“ 

David wurde es warm und kalt zugleich: Alles bleibt erhalten, seine Leute machen weiter – und er kann sich sogar weiterhin mit der Firma befassen. Das klang alles zu gut, um wahr zu sein. Spätestens beim Handschlag einige Tage später wurde sich David bewusst, was für einen Glücks­treffer er gelandet hatte. Ab dann war das Unter­nehmen in trockenen Tüchern und David musste sich nicht mehr um die Zukunft sorgen – er hatte genug geleistet.

Ein Leben für die Firma

Heute sitzt David auf seinem Garten­stuhl, nippt an seinem Wein und genießt den geruh­samen Sonntag, auf den er ein ganzes Leben lang hinge­ar­beitet hat. Wie so viele Familien­unternehmer hat er Jahre der Entbehrung, der Begeis­terung, der Aufop­ferung und des Erfolgs mitge­macht. Wie so viele hat er harte Entschei­dungen treffen und dabei so manchem Freund und Wegge­fährten vor den Kopf stoßen müssen. Doch der Blick zurück sagt David: Das war es wert gewesen. 

Ich hoffe, Sie konnten anhand von Davids Biografie einen Einblick erhalten, welche Wünsche und Nöte, Stärken und Schwächen ein Familien­unternehmer mit sich bringen kann. Und welche Erleb­nisse es sind, die seinen Charakter geformt haben. Denn das Leben im Dienste der Firma bringt diesen beson­deren Menschen­schlag hervor, mit dem Sie und Ihre Mitar­beiter täglich zu tun haben.  

Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei Ihrer eigenen Reise mit Familien­unternehmen und Unternehmer­familien. Werden Sie zum Unter­nehmer-Versteher und ein Teil dieser faszi­nie­renden Welt.

Kontakt

Dirk Wiebusch
info@ifuf.de

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