Die Digita­li­sierung ist aus unserem Leben nicht mehr wegzu­denken. Ob Sie morgens auf dem Tablet die Nachrichten verfolgen, Ihren Wagen mit Naviga­ti­ons­gerät und Einpark­hilfe auf den Firmen­park­platz manövrieren oder beim Kunden­ge­spräch von Computern durch-optimierte Finanz­pro­dukte verkaufen: Das Digitale hat im Wettstreit mit dem Analogen längst die Überhand gewonnen. Doch gleich­zeitig hat insbe­sondere in der Finanz­wirt­schaft eine inter­es­sante Entwicklung einge­setzt: Je mehr die Prozesse digita­li­siert und standar­di­siert werden, desto klarer wird es, dass sich die Arbeit, die Berater leisten – die wertvollen Gespräche von Mensch zu Mensch – nicht so einfach wegra­tio­na­li­sieren lassen. Denn je mehr sich die Finanzwelt digita­li­siert, umso mehr brauchen (Familien-)Unternehmer auch in Zukunft die persön­liche Beratung mit subjek­tivem Wohlfühlfaktor.

Warum die Zukunft den Beratern gehört

Überlegen Sie mal, was „digital“ eigentlich für den Vertrieb in Ihrem Finanz­in­stitut bedeutet. Geht es dabei nur darum, dass man mit Unter­neh­mer­kunden vermehrt digital kommu­ni­ziert, über Video­kon­fe­renzen oder Chats zum Beispiel? Geht es darum, dass man als Berater die Möglichkeit hat, mit dem Kunden im Gespräch direkt am Tablet verschiedene Szenarien durch­zu­rechnen? Nein, all diese Aspekte sind vielleicht ein (in der Praxis durchaus nützlicher) Teil der Digita­li­sierung, doch es geht hier noch um viel mehr. Es geht darum, dass alles, was standar­di­sierbar ist, auch standar­di­siert werden wird. Und es geht darum, dass alles, was im Institut digita­li­sierbar ist, auch digita­li­siert werden wird. Und zwar schon in naher Zukunft.

Wenn Sie als Berater einen guten Draht zu Ihren Unter­neh­mer­kunden haben, dann werden Ihnen jedoch sofort dutzende Beratungs­si­tua­tionen einfallen, die sich nicht standar­di­sieren oder digita­li­sieren lassen. Ein typisches Beispiel: Der Familien­unternehmer hat eines seiner Kinder dazu auser­koren, in die Firma einzu­steigen. Doch der Nachfolger in spe möchte einfach nicht. Und dann gibt es vielleicht noch ein anderes Kind, das gerne möchte, aber nicht darf. Für die Maschine ist diese Situation ein unlös­bares Paradox, für den Menschen eine durchaus komplexe, aber emotional nachvoll­ziehbare zwischen­mensch­liche Situation. Der Mensch versteht, dass er hier mit viel Feingefühl vermitteln muss – vielleicht auch nur indirekt, um niemandem auf die Füße zu treten. Zumindest nach dem aktuellen Stand der Technik ist kein Computer der Welt dazu in der Lage, in einer solchen Situation eine für alle Betei­ligten gütliche und emotional sinnvolle Lösung zu finden. Geschweige denn, einen Standard­prozess anzuwenden.

Auch in Zukunft gilt: Hinter den Unter­nehmen und selbst hinter den Computern stehen immer noch Menschen. Und Menschen sind komplexe Wesen, die auch nicht immer strikt rational handeln. Für Bank, Sparkasse, Volksbank und weitere Berater wie Vermö­gens­be­rater, Family Offices, aber auch Versi­che­rungen und Steuer­be­rater gilt es also, sich bei der Arbeit mit Top-Unter­nehmern nicht zu stark auf standar­di­sierte und digita­li­sierte Prozesse zu verlassen. Warum sitzen wohl selbst in den großen Fintech-Unter­nehmen noch immer Menschen an den wichtigen Schalt­hebeln? Weil diese Unter­nehmen, die die Techno­logie besser als kaum jemand anderes kennen, verstanden haben, wo deren Grenzen liegen!

Wie Berater sich trotz Digita­li­sierung hervortun können

Wir sehen also: Sich vollständig auf die Digita­li­sierung zu verlassen, ist nicht die optimale Lösung für alle Eventua­li­täten. Deshalb schlage ich vor, in Zukunft zweigleisig zu fahren:

  1. Alles, was tatsächlich standardisierbar/digitalisierbar ist, muss im Sinne des Effizi­enz­ge­dankens standardisiert/digitalisiert werden (insbe­sondere Massen­ge­schäft). Und auswertbar sein. Ein einfaches Scannen von Infor­ma­tionen, wie z.B. Bilanzen oder private Vermö­gens­auf­stel­lungen, als Bild reicht nicht aus.
  2. Alles, was indivi­duelle, maßge­schnei­derte Lösungen erfordert, also insbe­sondere das Geschäft von Mensch zu Mensch, muss von mensch­lichen Beratern durch­ge­führt werden. 

Das heißt: Digita­li­sierung und Standar­di­sierung nur dort, wo es Sinn macht – und den Beratern vielleicht sogar mehr Zeit für die persön­liche Beratung einräumt. Dabei ist zwischen Daten­er­hebung, Daten­ver­ar­beitung, Daten­aus­wertung, Bewertung und Verwertung zu unter­scheiden – denn nicht jede dieser Arbeiten kann vollständig digita­li­siert werden. Einige machen immer noch eine führende mensch­liche Hand notwendig: Die Daten­er­hebung beispiels­weise wird heute nicht mehr von Hand auf Papier, sondern automa­ti­siert am PC durch­ge­führt. Doch für die Vernetzung dieser Daten werden immer noch Menschen benötigt. Das hat vor allem emotionale Gründe, denn nur wir Menschen emotio­na­li­sieren Finanz­pro­dukte (Traum vom Eigenheim / Zukunfts­vision des Unter­nehmers) und nur Menschen können diesen emotio­nalen Aspekt bei der Auswertung von maschinell gesam­melten Daten angemessen nachvoll­ziehen und berücksichtigen.

Beratern schlage ich derweil vor, sich noch stärker auf dieje­nigen Handwerks­zeuge zu konzen­trieren, die die persön­liche Beratung von Mensch zu Mensch effektiv machen. Denn hierin wird in Zukunft ihr Kern-Aufga­ben­be­reich bestehen. Das bedeutet:

  • Gutes Zeitma­nagement, intern wie auch extern 
  • Erfolgs­formel zu Qualität und Frequenz der Beratung kennen und leben: Anzahl x Inten­sität x Qualität x Begeis­terung x Zeitraum = Ergebnis 
  • Digita­li­sierung bei adminis­tra­tiven Aufgaben nutzen, um mehr Zeit für die eigent­liche Beratung zu erhalten 
  • Die Qualität in der Beratung von Mensch zu Mensch erhöhen 
  • Top-Vorbe­reitung vor jedem Kunden­kontakt (Geschäfts­modell, Wertschöp­fungs­kette, Umfeld, Typologie, Vermögen, Einkommen und Nachfolge) 

All das ist auf Dauer nicht wegra­tio­na­li­sierbar, wird jedoch insbe­sondere im Konkur­renz­kampf um die Unter­neh­mer­kunden mit den besten Deckungs­bei­trägen wichtiger und wichtiger werden. Denn nicht nur das Produkt­sor­timent der Institute wird durch die fortschrei­tende Optimierung immer weiter reduziert werden und auch werden müssen. Ähnlich wie in einem Produk­ti­ons­be­trieb werden Finanz­dienst­leister deutlich stärker schauen, welche Produkte in welchem Maße wirklich genutzt werden. Und dieje­nigen Produkte, die eine geringe Nutzerzahl haben (und dennoch Kosten verur­sachen und Eigen­ka­pital binden), werden einge­stellt. Was dann aber auf Dauer die Produkt­auswahl sehr einschränkt und somit erneut noch austausch­barer machen wird. Ein Teufels­kreis. Auch die Anzahl der Kunden, die jeder Berater persönlich betreut, wird sinken. Bis nur noch dieje­nigen übrig sind, die so komplex und gleich­zeitig so wichtig sind, dass sie unter keinen Umständen mehr nur durch standar­di­sierte Prozesse bedient werden können. Das bedeutet: weniger Quantität und deutlich mehr Qualität im Kundenstamm.

Der Blick­winkel der Unternehmer

Auch in Zukunft werden sich Berater darauf besinnen müssen, dass die Unter­neh­mer­kunden Finanz­pro­dukte auf jeden Fall kaufen werden. Die wichtige Frage ist jedoch: Bei wem werden sie die Produkte kaufen? Darüber entscheidet in naher Zukunft einzig der subjektive Wohlfühl­faktor. Denn sobald die Produkte selbst so weit optimiert sind, dass sie sich von Institut zu Institut praktisch nur noch durch den Namen unter­scheiden, werden die Unter­nehmer sich an dieje­nigen Berater wenden, zu denen sie wirkliches Vertrauen haben. An dieje­nigen, mit denen sie wirklich gewinn­brin­gende Gespräche führen. Das gilt im Übrigen auch für den digitalen Kauf im Premium-Markt, bei dem typischer­weise stark unter­schätzt wird, wie sehr Emotionen und indivi­duelle Mehrwerte hineinspielen.

Bedenken Sie auch, dass Unter­nehmer in Zukunft genauso wenig Zeit wie jetzt dafür haben werden, sich durch Unmengen von gleich­ar­tigen Produkten zu wühlen. Was diese Menschen wirklich suchen, sind hervor­ra­gende Zuarbeiter sowie Experten auf ihrem Fachgebiet, und für diese zahlen sie dann auch gerne die markt­üb­lichen Preise. Übrigens sollten wir uns auch von der Idee befreien, Unter­nehmer wollten immer von Grund auf indivi­dua­li­sierte Finanz­pro­dukte haben. Ist eine indivi­duelle Beratung gegeben, sind sie tatsächlich sehr zufrieden damit, standar­di­sierte Produkte in einer indivi­du­ellen Zusam­men­stellung zu bekommen. Solange die Institute ihre Produkt­pa­lette also standar­di­sieren und einschränken, aber dabei nicht so weit gehen, diese indivi­duelle Zusam­men­stellung unmöglich zu machen, findet sich für jeden Unter­nehmer eine passende Produkt-Konstel­lation – sofern sie mit einer vollständig indivi­dua­li­sierten Beratung einhergeht.

Eine offene Produkt­ar­chi­tektur ist von vielen Unter­nehmern gar nicht als unbedingte Notwen­digkeit angesehen. Sind Ihre eigenen Produkte gut, gilt es, diese entspre­chend anzubieten. Zum einen verstehen gerade Unter­nehmer es, wenn man seine eigene Produkte anbietet. Das erwarten sie von ihren eigenen Vertrieblern genauso. Und zum anderen bekommen Sie bei BMW ja auch keinen Mercedes angeboten.

Die strate­gische Zukunft im Zuge der Digitalisierung

Wir sehen also: Die voran­schrei­tende Digita­li­sierung und Standar­di­sierung ist weder von Grund auf schlecht, noch ein umfas­sendes Allheil­mittel. Sie muss dort angewendet werden, wo sie eine tatsäch­liche Effizi­enz­stei­gerung bewirkt, während sie bei der eigent­lichen Beratung nur unter­stützend einge­setzt wird. Denn die Nähe zwischen Berater und Kunden wird in naher Zukunft für viele Institute überle­bens­wichtig werden. Berater müssen sich noch stärker mit den ertrag­reichen Zielkunden beschäf­tigen, und zwar in der Sprache der Unternehmer.

In der jüngsten Vergan­genheit haben wir gesehen, dass manchen Insti­tuten immer mal wieder kleine Umsatz-Prozent­punkte an unter­schied­lichen Stellen wegge­brochen sind. Das summiert sich jetzt auf: Das Depot-A-Geschäft ist vielfach nicht mehr so ertrag­reich wie früher, das Privat­kun­den­ge­schäft steht vor einem kompletten Umbruch und das Kredit­ge­schäft mit Firmen­kunden wird immer anspruchs­voller mit weiterhin schnell sinkenden Margen. In dieser Situation auch noch den mensch­lichen Aspekt in der Beratung der Top-Kunden heraus­zu­nehmen, würde nicht die erhoffte Effizi­enz­stei­gerung bringen, sondern nur den eigent­lichen Mehrwert schmälern, den sich Unter­nehmer von Ihrem Institut unbedingt erwarten.

Und auch Cross Selling, das in der Vergan­genheit typischer­weise als „nice to have“, aber nicht als zentraler Ertrags­motor bei Unter­neh­mer­kunden gesehen wurde, wird immer wichtiger, um zusätz­liche Erträge zu erwirt­schaften. Es ist nun ein absolutes „Must-have“! Wer es jetzt versteht, bei Unter­nehmern einen subjek­tiven Wohlfühl­faktor zu etablieren und die komplexen Abläufe im Unter­nehmen und im Privat­ver­mögen sowie z.B. die daraus resul­tie­renden Zusam­men­hänge im Genera­tio­nen­ma­nagement nachzu­voll­ziehen, hat auch eine Chance, sich mit effizi­entem Cross Selling weit vorne zu platzieren. Und damit den unschönen Preis­kampf um die günstigsten und schnellsten Digital­pro­zesse der Konkurrenz zu überlassen.

Keine persön­liche Finanz­be­ratung ohne Berater

Denken Sie immer daran: Berater werden für Unter­neh­mer­kunden in naher Zukunft noch unent­behr­licher werden, als sie es ohnehin schon sind. Digitale Prozesse können ihnen zur Unter­stützung dienen, aber sie nicht ersetzen. Wie ein Tablet, das der techno­lo­gie­affine Berater zur Visua­li­sierung komplexer Sachver­halte im Kunden­ge­spräch einsetzen kann – das jedoch ohne den Berater nur ein lebloses Stück Technik ist, von dem allein sich kein Familien­unternehmer überzeugen lassen wird.

Ich gehe davon aus, dass die meisten Institute dies in naher Zukunft erkennen und neben ihren Produkten und Kunden auch ihre Berater stärkeren Auswahl­pro­zessen unter­werfen werden: Wer kann die komplexen Struk­turen bei den Top-Kunden wirklich nachvoll­ziehen? Wer kann dieses Wissen mit einer Beratung von Mensch zu Mensch verknüpfen? Und wer schafft es, nachhaltig einen subjek­tiven Wohlfühl­faktor zu etablieren, der die wichtigen Familien­unternehmen und Unternehmer­familien langfristig emotional an das Institut bindet? Solche Berater werden in Zukunft nicht nur für die Unter­nehmer, sondern auch für die Finanz­in­stitute unent­behrlich sein. Und das in einer der spannendsten und heraus­for­derndsten Zeiten die es jemals für Familien­unternehmen, Unternehmer­familien und Finanz­dienst­leister gab.

Kontakt

Dirk Wiebusch
info@ifuf.de

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