Als Finanz­be­rater ist man es gewohnt, von Unter­nehmern manchmal wie Beiwerk behandelt zu werden – nützlich, aber nicht wirklich notwendig für den Erfolg der Firma. Doch aus meiner Erfahrung in über 25 Jahren Beratung von Familien­unternehmen und Unternehmer­familien, schätzen selbst erfolg­reiche Unter­nehmer oft falsch ein, wie dringend sie Finanz­dienst­leister im 21. Jahrhundert tatsächlich benötigen: Die Komple­xität von Abläufen, Produkten und Markt­ent­wick­lungen im eigenen Indus­trie­zweig lässt kaum noch Zeit für eine detail­lierte Ausein­an­der­setzung mit den finan­zi­ellen Aspekten der Geschäfts­führung. Und genau aufgrund dieser steigenden Komple­xi­täten und mangelnder Zeit brauchen vor allem die Unter­nehmer, die sich damit konfron­tiert sehen, mehr denn je Finanz­ex­perten denen sie vollständig vertrauen können. 

Umbrüche in den Geschäfts­be­reichen erfordern neue strate­gische Ausrichtungen

Die Rolle des Finanz­dienst­leisters bei der Inter­aktion mit Unter­nehmern hat sich in den vergan­genen Jahrzehnten drastisch gewandelt. Die Digita­li­sierung, die damit einher­ge­hende Anglei­chung von Finanz­dienst­leis­tungen der unter­schied­lichen Anbieter, konjunk­tu­relle Verän­de­rungen sowie die wachsende Verfüg­barkeit von eigen­mächtig zu bedie­nenden Tools und kosten­loser Beratungs­an­gebote hat dazu geführt, dass sich die Bereiche Firmen­kun­den­ge­schäft, Privat­kun­den­ge­schäft, Versi­cherung sowie Steuer- und Rechts­be­ratung heute bei Famili­en­un­ter­nehmern anderen Heraus­for­de­rungen stellen müssen als noch vor dreißig Jahren. 

Für moderne Finanz­dienst­leister ist es also wichtig, diese Entwick­lungen nachvoll­ziehen zu können – und aus ihnen die richtigen Schlüsse für das effektive Beraten im 21. Jahrhundert zu ziehen. Denn nur wer den Kontext versteht, ist auch zu einer effek­tiven persön­lichen Beratung von Mensch zu Mensch und auf Basis der aktuellen Markt­si­tuation fähig.

Das Firmen­kun­den­ge­schäft

In wenigen Bereichen hat sich in den letzten Jahrzehnten das Verhältnis von Kunde zu Berater so stark gewandelt wie im Firmen­kun­den­ge­schäft. Noch vor 30 Jahren kamen die Kunden meist von selbst in die Bank und beantragten einen Kredit, den sie im Vorfeld aus einer überschau­baren Menge an Finanz­pro­dukten aussuchen konnten. So ließen sich verhält­nis­mäßig bequem lukrative Geschäfte abschließen. Doch mit der in den Folge­jahren immer größer werdenden Auswahl an Finan­zie­rungs­wegen und Dienst­leis­tungs­an­ge­boten – und der in einigen Bereichen durch die gute Konjunktur gesun­kenen Nachfrage nach bestimmten Finanz­pro­dukten – stiegen auch die Anfor­derung an die Berater. 

Heute müssen sich Firmen­kun­den­be­rater wesentlich stärker anstrengen, um lukrative Aufträge an Bord zu ziehen – denn Kunden kommen nicht mehr zwangs­läufig aus eigenem Antrieb, sie wählen aus der großen Menge an Finanz­pro­dukten der unter­schied­lichsten Institute und die Aufträge werden insgesamt weniger umfang­reich. Zumal finanz­starke Unter­nehmen Inves­ti­tionen immer häufiger aus dem eigenen Cashflow tätigen. 

Um auf dem aktuellen Finanz­markt die lukra­tivsten Kunden zu akqui­rieren oder bestehende Kunden weiterhin an das eigene Institut zu binden, müssen sich Berater im Firmen­kun­den­be­reich als komplex denkende Projekt­ma­nager etablieren, die passgenaue Lösungen für den Bedarf des Kunden entwi­ckeln. Und das in einer zunehmend standar­di­sierten Umgebung (Abläufe, Anwei­sungen, EDV-Systeme, etc.). Dementspre­chend sollten Firmen­kun­den­be­rater heute abschluss­ori­en­tiertes Verkaufen, strate­gi­sches Beraten, typolo­gie­ge­rechtes Kommu­ni­zieren und internes sowie externes Koordi­nieren in gleichem Maße beherr­schen. Diese Fähig­keiten machen den Berater zu einem echten Mehrwert im Reper­toire des Unternehmers.

Privat­kun­den­ge­schäft (Privates Vermögen der Unter­nehmer/-familie)

Vor einigen Jahrzehnten war das Privat­kun­den­ge­schäft noch klar struk­tu­riert: Spar- sowie Fonds­ver­träge waren an der Tages­ordnung, während das eigent­liche Depot­ge­schäft von der Wertpa­pier­ab­teilung übernommen wurde. Vermö­gens­ma­nagement und Private Banking für Unter­nehmer war anfangs nur selten relevant und Familien­unternehmer wandten sich erfah­rungs­gemäß für sämtliche Themen immer zunächst an den Firmenkundenberater. 

Letzteren ist es heute nach aktuellen internen wie externen Vorgaben meist nicht mehr gestattet, das Privat­ver­mögen von Firmen­kunden zu betreuen. Familien­unternehmer brauchen heutzutage also die Hilfe und Expertise von Private Banking Beratern, die ihr persön­liches Vermögen vollum­fänglich handhaben können. Zumal die aktuelle und zukünftige Ausrichtung der Firma mitunter starke Auswir­kungen auf das Famili­en­ver­mögen hat – und umgekehrt. Die Segment­reinheit – also die Trennung von Private Banking für Privat­kunden und Private Banking für Unter­neh­mer­kunden – kann dabei gleich­zeitig sicher­stellen, dass die Beson­der­heiten von Unter­nehmern als Privat­kunden jederzeit im Fokus stehen und der hier aufkom­mende Bedarf maßge­schneidert gedeckt wird. Dies ist insbe­sondere bei komple­xeren Firmen­ver­mögen entscheidend, da hier das ideale Zusam­men­spiel mit dem Privat­ver­mögen immer schwerer wird und eine indivi­duelle Behandlung gefragt ist.

Versi­che­rungs­ge­schäft

Im Bereich der Versi­che­rungen waren früher Koope­ra­tionen das üblichste Modell: Lokale Vertreter großer Versi­che­rungen bekamen durch die Banken direkten Kontakt zu Unter­neh­mer­kunden. Mit der Zeit kamen viele Banken jedoch auf den Gedanken: Warum das Versi­che­rungs­ge­schäft nicht einfach intern abwickeln? In der Folge wurde immer mehr Direkt­be­ra­tungs­kom­petenz aufgebaut, die Vernet­zungen innerhalb der Banken und mit Versi­che­rungs­agen­turen wurden immer ausge­prägter, bis hin zu eigenen internen Versi­che­rungs­agen­turen, die im direkten Wettbewerb mit freien Beratern und Agenturen standen. 

Die Position der Banken in diesem Wettbewerb ist heute alles andere als schlecht – denn sie haben den großen Vorteil, dass sie typischer­weise Zugriff auf besonders wertvolle Kunden­daten haben. Der Nachteil: Banken können sich nicht so präzise und tief auf das Versi­che­rungs­ge­schäft fokus­sieren wie dedizierte Agenturen. Heutzutage arbeiten viele Banken deshalb im Versi­che­rungs­be­reich nach dem System der Mehrfach­agen­turen. Das bedeutet, dass Firmen­kun­den­be­rater die Beratung des Unter­nehmers in diesem Bereich nicht mehr selbst abwickeln und auch eine gewisse inhalt­liche Tiefe bei Spezi­al­themen nicht selbst erbringen müssen (z.B. bei Versi­che­rungen im Bereich Sachver­si­che­rungen, BaV oder Cyber­ab­si­che­rungen)  – sie vermitteln jedoch am Bedarf des Unter­nehmers orien­tiert den passenden Versi­che­rungs­be­rater und koordi­nieren die Kommu­ni­kation. Das hat den Vorteil, dass sie Bedürf­nisse direkt bedienen und dennoch die wertvollen Kunden­daten nicht an die Versi­che­rungs­kon­zerne verlieren. 

Versi­che­rungs­be­rater, die in diesem Umfeld tätig sind, müssen ein Anfor­de­rungs­profil analog zum Firmen­kunden- und Private-Banking-Berater erfüllen, das es ihnen erlaubt, Bedürf­nisse zu erkennen und anhand dieser wiederum die eigenen Fachspe­zia­listen zu koordi­nieren. Denn auch Versi­che­rungs­be­rater können nicht jedes Produkt in der für den jewei­ligen Kunden nötigen Detail­tiefe kennen. In diesem beschrie­benen Zusam­men­spiel mit den spezia­li­sierten Experten im Versi­che­rungs­be­reich lassen sich bei Unter­neh­mer­kunden mit komplexen Ansprüchen aktuell und zukünftig große Poten­ziale erschließen – und eine hoch-indivi­dua­li­sierte Beratung etablieren.

Steuer- und Rechtsberatung

Ähnlich wie im Firmen­kun­den­ge­schäft kamen Unter­neh­mer­kunden für geschäft­liche sowie private Steuer- und Rechts­fragen den Kanzleien meist sprich­wörtlich zugelaufen. Kein Wunder, sind doch beide Aspekte für Unter­nehmer und Unter­nehmen von zentraler Bedeutung und gleich­zeitig so komplex, dass sie ohne Hilfe nicht zu handhaben waren. Immer wieder waren Steuer- und Rechts­be­rater deshalb überwiegend ausführend tätig, statt beratend. Später entwi­ckelten sich auf dieser Basis viele kleinere Steuer- und Anwalts­kanz­leien, die sich überwiegend auf kleinere Aufträge mit vergleichs­weise niedriger Komple­xität konzentrierten. 

Dieses Geschäfts­modell ist jedoch in Gefahr: Techno­logien wie eBilanz, Datev-Online oder eine Fülle an Online-Rechts-Tools erlauben es poten­ti­ellen Kunden heute, weniger komplexe Aufgaben selbst zu übernehmen und sich nur noch bei komplexen Themen aktiv an Experten zu wenden – das Massen­ge­schäft bricht also weg. Berater in dem Gebiet sollten sich deshalb mit Experten für komplexe (steuer)rechtliche Belange vernetzen und sich auf ihre effektive Koordi­nierung konzen­trieren. Nur so lassen sich die noch verblei­benden, wesentlich komple­xeren Aufträge ideal betreuen – Klasse statt Masse. Echte Mehrwerte lassen sich von Alles­könner-Beratern heute kaum noch liefern, wohl aber von Beratern mit Koordi­nie­rungs­fä­higkeit und Zugriff auf Exper­ten­wissen für komplexe Thema­tiken – und genau nach diesen haben Unter­nehmer aktuell und zukünftig einen immer weiter steigenden Bedarf.

Neuaus­richtung in allen Bereichen

Auch wenn sich die Verän­de­rungen der letzten Jahrzehnte je nach Geschäfts­be­reich auf unter­schied­liche Art und Weise bemerkbar gemacht haben – ihre Auswir­kungen waren immer drama­tisch. Und in allen Fällen gilt: Die Umbrüche der letzten Jahre erfordern eine strate­gische Neuaus­richtung, um den aktuellen Bedürf­nissen der Unter­nehmer maßge­schnei­derte Lösungen entge­gen­setzen zu können. 

Denn die letzten Jahrzehnte haben auch bei den Unter­nehmern große Umbrüche, verschobene Priori­täten und neue recht­liche Notwen­dig­keiten mit sich gebracht. Sowohl Berater als auch Unter­nehmer müssen sich also anders positio­nieren – eine Situation, die auf beiden Seiten Basis für ein neues Vertrau­ens­ver­hältnis sein kann. 

Ebenfalls auf beiden Seiten ist das Thema „Standar­di­sierung versus Indivi­dua­li­sierung“ immer größer geworden. Denn das zuneh­mende Erstellen und Prozes­sieren von Finanz­pro­dukten durch Algorithmen trägt immer die Gefahr mit sich, nicht ausrei­chend auf die spezi­fi­schen Voraus­set­zungen des Kunden einzu­gehen. Ob maßge­schnei­derte Premium-Lösungen, Mischungen zwischen indivi­du­ellen und standar­di­sierten Lösungen oder vollständig standar­di­sierte Massenware – Finanz­in­stitute müssen ihre eigenen Marken und Angebote noch viel diffe­ren­zierter und schärfer positionieren. 

Eines ist jedoch klar: Bei all den Verän­de­rungen ist in sämtlichen Teilbe­reichen des Finanz­ge­schäfts die Bedeutung der Berater für den Erfolg des Unter­nehmers nur noch größer geworden: Berater werden heute als interne und externe Koordi­na­toren, als Ideen- und Infor­ma­ti­ons­be­schaffer für finan­zielle Angele­gen­heiten sowie als intel­lek­tuelle Sparrings­partner gebraucht. Emotionale Intel­ligenz und typolo­gie­ge­rechte Beratung sind dabei ein Muss, zusätzlich zu den bereits genannten Voraussetzungen. 

Im Idealfall gehen alle vier Bereiche im Sinne des Unter­nehmers Hand in Hand. Damit dies geschehen kann, ist eine entspre­chende gesamt­heit­liche Steuerung erfor­derlich. In großen Unter­nehmen ist dies im Regelfall die Aufgabe der kaufmän­ni­schen Abteilung, angeführt von ihrem Leiter. In kleineren Familien­unternehmen fehlt es jedoch oft an dieser überge­ord­neten Koordi­nation – hier ergibt sich eine weitere große Chance, für eine Persona der vier beschrie­benen Bereiche, diese Lücke zu füllen, gesamt­heitlich das Ruder in die Hand zu nehmen und den Unter­nehmer nachhaltig als loyalen Kunden an sich zu binden. 

Wer sich diese neuen Anfor­de­rungen bewusst macht und die verän­derte Situation der Unter­nehmer und seines Marktes erkennt, der schafft echte Mehrwerte für seinen Kunden und stellt langfristige Kunden­bin­dungen her. Aus dieser Position lassen sich auch weitere Entwick­lungen in naher und ferner Zukunft meistern. Denn die Unter­nehmer dieser Welt brauchen ihre Finanz­dienst­leister mehr denn je in diesen Zeiten des Umbruchs! 

Kontakt

Dirk Wiebusch
info@ifuf.de

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