Es ist Februar, der erste Monat des neuen Jahres ist rum, und wir alle fragen uns: Kommt die Rezession noch oder nicht? Und was ist mit der Energiekrise? Nach aktuellem Stand ist noch keines der dunklen Schreckens-Szenarien eingetroffen – zumindest nicht so drastisch wie befürchtet. Doch insbesondere im Zuge des Zinsanstiegs zeigt sich schon jetzt, dass 2023 die Spreu vom Weizen trennen wird. Warum das so ist, erfahren Sie in diesem Artikel.
Was wird jetzt aus dem Immobilienmarkt?
Alles in allem kommen die meisten Unternehmen Anfang 2023 noch ganz gut zurecht. Das sieht man daran, dass die Abteilungen in den Finanzinstituten, die für Abschreibungen, Sanierungen und Insolvenzen verantwortlich sind, aktuell nicht im übertriebenen Maße in Anspruch genommen werden – weder rückwirkend für 2022 noch für 2023. Das bedeutet natürlich nicht, dass es den Unternehmen langfristig gut geht, aber sie kommen aktuell noch zurecht.
Doch schon zeichnet sich eine neue Herausforderung für das laufende Jahr ab: das Immobiliengeschäft. Der Firmenkundenbereich in Banken, Volksbanken und Sparkassen ist seit einigen Jahren stark vom Immobiliengeschäft abhängig. Und nun ist die Nachfrage nach Neubauten dramatisch gesunken. In einigen Fällen sogar auf null. Finanzdienstleister, die sich zu einseitig aufgestellt haben, gehen jetzt das Risiko ein, „nackt in der Brandung“ zu stehen. Man hat sich zu lange zu stark auf Immobilienkredite konzentriert und nun, wo die Nachfrage einbricht, weiß man nicht mehr, woher die Deckungsbeiträge kommen sollen. Auf eine solche Entwicklung habe ich vor einiger Zeit in einem Artikel im Versteher-Magazin hingewiesen.
Vertane Chancen bei der breiteren Aufstellung?
Jetzt, da sich die „Flut“ der Immobiliengeschäfte langsam in eine „Ebbe“ verwandelt und immer mehr Institute nackt in der Brandung stehen, zeigt sich auch so mancher Makel, der sonst unter der Wasseroberfläche verborgen geblieben wäre. Insbesondere zeigt sich, dass die Finanzdienstleister im Firmenkundengeschäft zwar regen Kontakt mit den wertvollen Familienunternehmern hatten. Jedoch in vielen Fällen nicht in der notwendigen Form und in der Tiefe, um sich auf die „Ebbe“ vorzubereiten. Klar, das war bislang auch nicht unbedingt nötig. Spätestens jetzt ist es das aber.
Warum war es bislang eigentlich nicht nötig, allzu tief in die Beziehung mit dem Unternehmer zu gehen? Na ja, stellen wir uns mal einen Firmenkundenberater vor, der Mitte 2022 sein Jahresgespräch beim Unternehmer hat. Was erfährt er da wohl vom Unternehmer? In den meisten Fällen wahrscheinlich, dass es der Firma gut geht, man aber noch viel mehr machen könnte, wenn es denn nur genug Fachkräfte gäbe. Der Firmenkundenberater fragt natürlich auch nach, ob der Unternehmer denn irgendwelche Kredite bräuchte. Die Antwort: Nein, aktuell nicht. Es läuft ja, und bevor man Verwahrentgelt zahlt, würde man Investitionen nicht per Kredit, sondern in Cash tätigen – so oder so: Die Firma ist liquide genug, um Investitionen selbst zu stemmen.
Das ist natürlich schade für unseren Berater, also fragt er noch nach, ob man denn sonst noch etwas für den Unternehmer tun könnte. Und wenn er schon so fragt, dann kommt der Unternehmer natürlich auf sein Lieblingsthema zu sprechen: Immobilieninvestitionen. Da gibt es noch Finanzierungsbedarf. Und natürlich auch staatlich geförderte alternative Energiemöglichkeiten werden gern vom Unternehmer genommen und vom Firmenkundenberater gern über Kredite veredelt.
Der Berater hat an dieser Stelle eigentlich alles richtig gemacht: Jahres-/Strategiegespräch geführt, nach Geschäftspotenzial in der Firma gefragt, Cross-Selling ins Gespräch gebracht und mit den Immobilien auch gleich noch ein Geschäft akquiriert. Natürlich hat sich der Berater dann nicht noch weiter um andere Optionen gekümmert – man möchte ja dem Kunden gegenüber nicht aufdringlich wirken. Eine Betriebsbesichtigung wurde auch nicht in Betracht gezogen, denn es lief ja nach Aussage des Unternehmers alles gut. Er war zwar in der Firma, aber nicht im Betrieb. Ein kleiner, aber feiner Unterschied.
Ganz wichtig: Zielkarte erfüllt. Läuft!
Die Entwicklung mit dem Zinsanstieg
Die geschilderte Situation entspricht also in etwa dem Stand bis Mitte 2022: Die Berater boten an, was sie konnten, der Unternehmer biss vor allem bei Immobilien an. Wenn wir ehrlich sind, geht das ja schon seit Jahren so. Immerhin hat die EZB im März 2016 den Leitzins auf 0 % gesenkt. Die dadurch angeregte Kreditnachfrage begann zu galoppieren. Und infolgedessen entwickelte sich das Firmenkundengeschäft schleichend hin zu einer Abhängigkeit vom Immobilienmarkt. Danach passierte jedoch Folgendes: ein Zinsanstieg – im Juli 2022, also 6 Jahre und 3 Monate nach der „0“, nun wieder ein Leitzins von 0,5 %, der bis Dezember 2022 auf 2,5 % und seit dem 8. Februar 2023 bei 3 % liegt ‒, wer hätte damit noch gerechnet, dass es überhaupt mal wieder Zinsen gibt und vor allem in dieser kurzen Zeit so stark im Anstieg? Wohl eher die wenigsten Marktakteure.
Das Verhalten der Kunden ändert sich plötzlich, und auch die Banken fallen durch die steigenden Zinsen in alte Verhaltensmuster zurück. Die Quote der Eigenheim-Besitzer (EFH/ETW) war im europäischen Vergleich ohnehin schon nicht besonders gut (mit 49,5 % Platz 33 von 34 Ländern https://de.statista.com/statistik/daten/studie/155734/umfrage/wohneigentumsquoten-in-europa/). Doch nun stockt es noch stärker. Beim Bau und Kauf von Eigenheimen wird plötzlich viel gestoppt oder sogar rückabgewickelt, dadurch gibt es wieder deutlich mehr Mieter. Das treibt die Mieten in die Höhe (mehr Nachfrage) und sorgt für Probleme bei der Immobilienbranche. Dort gibt es plötzlich deutlich weniger Neubauten, also auch weniger Bedarf an Handwerkern. Auch die hohen Materialpreise können nicht weitergegeben werden (die Preise für viele Baustoffe sind bereits gefallen, was aber nicht an die Kunden weitergegeben wird).
Auch außerhalb der Immobilienbranche sorgt der Zinsanstieg für Veränderungen. So sind beispielsweise die Aktienquoten, die in den letzten Jahren durch Niedrigzins und Verwahrentgelt deutlich angestiegen waren, wieder rückläufig. Tagesgelder, Zinsangebote und Anleihen waren bis vor Kurzem wenig attraktiv, doch jetzt, wo die Zinsen wieder steigen, wird auch wieder mehr Geld „geparkt“. Diese Entwicklung wird zusätzlich durch Kursverluste in den Aktiendepots befeuert. Fondsgesellschaften verzeichnen aktuell unter anderem durch die Inflation und aufgrund steigender Energiekosten die höchsten Quoten im Bereich der Sparpläne-Stopps bei Privatpersonen. Und gleichzeitig gibt es einen dramatischen Rückgang bei den Neuanlagen. Das alles kann übrigens auch langfristig für die Altersvorsorge fatal werden.
Wie die Institute auf den Zinsanstieg reagieren
Die Finanzinstitute zögern noch bei der Weitergabe der gestiegenen Zinsen – nur bei Unternehmen und Großkunden wird schon gezahlt, beim kleinteiligen Privatkundengeschäft jedoch noch nicht. Druck kommt erst auf, wenn digitale Direktbanken das bessere Angebot machen. Dann wird aufseiten der Banken oft schnell und teilweise fast panisch gehandelt, weil sonst Gelder mit einem einzigen Klick weg sind. Ich kann die Vorstände und Entscheider verstehen. 1 Mrd. Euro bei Privatkunden unverzinst, das Geld bei der EZB mit 2 % p.a. verzinst – so kann man die Ertragsrückgänge in den Immobilienbereichen und im generellen Provisionsgeschäft gut auffangen. Schön zu wissen für die Entscheider: Die große Masse der Privatkunden ist „träge“. Ein Konto einrichten bei einem Fintech, das Geld überweisen … das geht zwar schnell, aber für 150 € Bruttozinsen pro Jahr, also knapp 10 € pro Monat … was solls. Lasse ich es halt bei der aktuellen Bank. Potenzielle Gefahr: Das kann aber auch an der einen oder anderen Stelle im eigenen Institut (wieder) bequem werden lassen.
Intern werden dennoch weiterhin die Kosten gedrückt. Noch Anfang 2022 hieß es „Keine Erträge – keine Fort-/Weiterbildungen“. Heute heißt es „Wir warten grundsätzlich erst mal ab und sparen unser Geld für den Fall, dass die Situation noch schlechter wird“. Meine Prognose für die Zukunft ist: Wenn es dann irgendwann gut anläuft, dann heißt es vermutlich „Für Fort- und Weiterbildungen haben wir jetzt keine Zeit, es ist zu viel zu tun!“. Hier nur ein Zitat von Laotse zum Nachdenken: „Lernen ist wie Rudern gegen den Strom. Hört man damit auf, treibt man zurück.“
Wie der Bund reagiert
Die Bundesregierung freut sich übrigens trotz des Zinsanstiegs weiterhin über gute Finanzen. Durch die Niedrigzins/Negativ-Zins-Politik wurden bislang zwar keine Zinslasten aufgebaut, aber die Nachfrage nach Anleihen war vormals eben „nur o.k.“. Durch die nun höheren Zinsen entsteht jetzt zwar ein höherer Bundesaufwand, aber gleichzeitig ist die Nachfrage nach Bundesanleihen deutlich gestiegen. Der Bund kann somit alles refinanzieren und Geld aufnehmen, wie er will.
Das schlägt sich natürlich in der Tatsache nieder, dass der Bund nun mit seinem/unserem Geld prassen kann, wie er möchte. Warum denn schon sparen, wenn durch die Zinsen die Bundesanleihen reißenden Absatz finden? Zumal die nächsten Wahlen vor der Tür stehen …
Zwischenfazit: Wie hat sich das auf die Entwicklung niedergeschlagen?
In Deutschland hatten wir einen Transformationsprozess, der in den letzten Jahren – wenn auch gezwungenermaßen – noch zugenommen hat: Die Eigenheimquote stieg, die Aktienquote stieg, die Finanzdienstleister mussten näher an den Kunden gehen, die Regierung musste vorsichtiger mit neuen Schulden umgehen und so weiter.
Diese eigentlich positive Entwicklung für den Wohlstand unseres Landes wird nun leider wieder ausgebremst. Sie stockt oder geht in einigen Fällen sogar wieder deutlich zurück. Denn leider scheint noch immer die Mentalität zu bestehen: Warum anstrengen und tief sitzende Probleme lösen, wenn man sie einfach mit Geld zudecken kann?
Finanzdienstleister zwischen Netflix-Problem und Sirtaki-Falle
Konkret bringt die aktuelle Situation für die Finanzdienstleister zwei Herausforderungen mit sich. Die eine lässt sich sehr gut analog mit dem Streaming-Service Netflix erklären. Die andere habe ich auf den Namen des „Sirtaki“-Restaurants bei uns in Sprockhövel getauft, das ich Ihnen übrigens nur wärmstens empfehlen kann, wenn Sie mal in der Gegend sind. Setzen Sie gerne den Namen eines beliebigen Restaurants in Ihrem Wohnort ein, denn ich denke, dass ein Großteil der Restaurants in Deutschland ähnlich agiert hat.
Das Netflix-Problem
Kommen wir aber zunächst zum Netflix-Problem. Den Streaming-Dienst kennen Sie alle, und Sie alle werden wissen: Seine Abonnenten wollen regelmäßig neue Serien und Filme schauen. Doch was, wenn einfach keine neuen gedreht werden? Das haben wir während Corona gesehen: Aufgrund der Hygienevorschriften gab es kaum neue Produktionen. Das ging etwa zwei Jahre so. Und da viele aktuelle Filme und Serien viel Post-Production-Aufwand erfordern, werden die jetzt wieder gedrehten neuen Streaming-Angebote wahrscheinlich erst im Laufe dieses Jahres oder sogar erst 2024 wieder im gewohnten Volumen auf die Plattform kommen. Das hat natürlich dafür gesorgt, dass einige Kunden abgesprungen sind. Warum auch für einen Service bezahlen, der mindestens zwei Jahre lang wenig Neues gezeigt hat? Netflix musste daraufhin das Gebührenmodell anpassen und das Account-Sharing einschränken.
Das Netflix-Problem gibt es nun auch in der Finanzbranche: Wenn es keine Neubauprojekte gibt, dann können die Finanzdienstleister diese auch nicht finanzieren. Und selbst wenn es nicht zu einer Rezession kommt und bald wieder Neubauprojekte in größerem Maß geplant werden, wird es erst mal dauern, bis alles wieder anläuft. Es gibt Regionen in Deutschland, in denen die Genehmigung von Bauplänen bis zu 2 Jahre dauert. Das bedeutet, wer heute im Februar 2023 den Antrag stellt, erhält Ende 2024 die Genehmigung. Baubeginn ist 2025. Kreditauslegung ab 2025. Schließlich braucht man die Finanzierung nicht schon in der ersten Planungsphase. Und selbst, wenn es schneller geht, werden viele Institute vermutlich bis Ende 2023 oder sogar bis Mitte 2024 mit geringerer Nachfrage an Immobilienkrediten rechnen müssen. Das heißt: Die Immobilienerträge liegen erst mal brach. Wie abhängig das Firmenkundengeschäft noch von Immobilienerträgen ist, das haben wir zu Beginn dieses Artikels ja schon ausführlich besprochen.
Die Sirtaki-Falle
Wie erwähnt, habe ich diese Herausforderung nach dem Restaurant „Sirtaki“ in meinem Heimatort benannt. Denn dort hatte ich die Gelegenheit, während des ersten Lockdowns im März 2020 mal den Inhaber zu fragen, wie er sein Geschäft eigentlich während Corona am Leben erhalten konnte. Er erklärte mir dann, dass es Aktionen zum Bestellen und Abholen gab. Es werde also weiter gekocht, nur gegessen haben die Menschen dann bei sich zu Hause. Keine ungewöhnliche Strategie für ein Restaurant während der Pandemie.
Ich fragte jedoch noch genauer nach und wollte wissen, ob es denn auch Maßnahmen gäbe, die die Kunden zusätzlich ans Restaurant binden. Zum Beispiel einen Newsletter oder Videos/Promo auf Facebook, Instagram und TikTok. Denn das reine Bestellen und Abholen mag ja praktisch für den Kunden sein, aber Loyalität baut es nicht auf. Er meinte dann, dass das nicht nötig gewesen sei, denn sein Restaurant war ja bislang auch immer voll – und wenn die Pandemie erst mal vorbei wäre, würden die Kunden von alleine wiederkommen.
Es kam, entgegen meiner Vermutung, dann doch so, wie es der Inhaber vorhergesagt hatte: Kaum durfte er wieder öffnen, strömten die Menschen wieder in sein Lokal. Und heute, 3 Jahre nach dem ersten Lockdown, ist das Restaurant wie vor März 2020 immer proppenvoll.
Inflation und steigende Energiekosten nagen vermutlich an den Gewinnen des energieintensiven Restaurants und die Menschen überlegen sich mitunter genau, ob und wo sie noch essen gehen. Der Abend im Restaurant ist in diesen Zeiten für viele längst keine Selbstverständlichkeit mehr – denn das Geld sitzt nicht mehr so locker und der „Luxus“ eines Restaurant-Besuchs ist mitunter das Erste, woran man sparen kann.
Doch was wäre, wenn es nicht so gekommen wäre? Wenn die Gäste nicht wieder so zahlreich gekommen wären? Klar: hätte, hätte, Fahrradkette. Aus meiner Erfahrung machen (zu) viele Unternehmen in der Boom-Phase den Fehler, kein Zielkundenportfolio aufzubauen. Muss man ja nicht. Hat man ja auch keine Zeit dazu.
Wenn ich mit Finanzberatern, deren Chefs und Vorständen spreche, habe ich den Eindruck, dass sie wie „Sirtaki“ davon ausgehen: „Wenn es doch keine Rezession gibt, wird alles wieder wie vorher und gut is‘.“ Man geht davon aus, dass die Kunden schon wiederkommen werden. Doch was, wenn sich die Zinslage oder eine beliebige andere Rahmenbedingung ändert – und die Kunden eben doch nicht wiederkommen, weil man die ganze Zeit keine zusätzlichen Maßnahmen unternommen hat, um Loyalität aufzubauen? Das ist die Sirtaki-Falle, in die die Institute in der aktuellen Situation tappen könnten.
Was manche Finanzdienstleister von Grillfluencern und Fitnessstudios lernen können
Kennen Sie „Klaus grillt“? Das ist ein Youtube-Kanal, den ich mir immer wieder mal gerne anschaue, ein sogenannter „Grillfluencer“, der in seinen Videos alles rund ums Grillen thematisiert. Da wurde nun angekündigt, dass Klaus jetzt vom reinen Fleisch-Grillen weggehen möchte. Er bleibt natürlich beim Grillen, aber er möchte jetzt mehr Beispiele bringen, wie man etwa Fisch oder vegetarische und vegane Lebensmittel auf dem Grill zubereiten kann. Und selbst wenn Sie auf Youtube keine Grillfluencer-Videos schauen – vielleicht haben Sie eine ähnliche Entwicklung auch im Fitnessstudio bei Ihnen vor Ort festgestellt: Weg von der reinen „Muckibude“, hin zu abwechslungsreichen Angeboten mit Yoga und Wellness.
Beide Entwicklungen hätte es sicher so nicht gegeben, wenn nicht ein Bedarf bei den Zielgruppen bestünde. Immer mehr Menschen möchten sich vegetarisch oder vegan ernähren, also muss nicht immer Fleisch auf den Youtube-Grill. Und viele Menschen würden schon ganz gerne ins Fitnessstudio gehen, wenn es ein Trainingsangebot gäbe, das ihren Vorlieben entspricht. Genau so sieht es bei den Finanzdienstleistern aus: Das reine Produkt-Pushen (1990er- und 2000er-Jahre-Hardselling) ist nicht mehr so gefragt. Stattdessen wünschen sich die Kunden eine ganzheitliche Beratung und einen Finanzcoach – und zwar sowohl auf der Firmen- als auch auf der Privatseite. Oder so ausgedrückt: Reine Dealmaker sind „out“, reine Berater sind „out“, aber dealmakende Strategen und strategische Dealmaker mit Routine-Arbeitern im Schlepptau – die sind mehr „in“ als je zuvor!
So bauen Sie eine Finanzberatung für 2023+
Das reine Relationship Management (RM), mit Vertrieblern, die nur beim Kunden sind und nichts im eigenen Haus intern machen, hat bislang kaum gewirkt. Kein Wunder, denn diese Teams sind oft ohne Marktfolge Aktiv aufgestellt und in der Regel ganz auf „IST“, „Produkt“ und Ertrag ausgelegt. Das funktioniert heute so nicht mehr. Stattdessen müssen sich Finanzdienstleister hinbewegen zu der Idee, dass der Berater die Speerspitze ist, aber ganzheitlich denkt, interdisziplinär ein laterales Team führt und nach Notwendigkeit noch Spezialisten hinzuzieht. Das Ganze sollte dann aufgebaut werden als Tandem oder Trio mit Firmenkundenberater, Privat-Banking-Beratung und Marktfolge Aktiv. So, wie es sich zum Beispiel im Fußball bewährt hat: ein Trainer/Manager als „Head“, aber mit einem Stab von 20 ihm zuarbeitenden Personen (Assistenztrainer, Fitness-Coaches, Physiotherapeuten etc.).
Genau diese Art von Firmenkundenberater ist es, die die Unternehmerkunden jetzt brauchen: ein Firmenkundenberater mit dem Private-Banking-Berater als Co-Trainer und einem interdisziplinären Team dahinter. So entstehen effektive Deal-Teams und Kundenkonferenzen. Das alles wurde bis vor Kurzem noch als „Herausforderung der Zukunft“ bezeichnet – doch die Zukunft ist jetzt! Es gilt jetzt, all das umzusetzen, sofern das noch nicht geschehen ist!
Gehen Sie außerdem weg vom reinen Reagieren und hin zum Agieren. Und beachten Sie: Wenn Sie potenzielle Kunden anrufen, die nicht um einen Anruf gebeten haben, werden Sie in der Akquise mehr „Neins“ als „Jas“ hören – das ist ganz normal und völlig in Ordnung.
Sofort handeln!
Beantworten Sie in der aktuellen Situation so bald wie möglich folgende konkreten Fragen für Ihr Institut:
- Lässt sich Interdisziplinarität besser mit „make“ oder „buy“ umsetzen? Und wie ist das zu bezahlen?
- Wie viel Fachtiefe ist überhaupt pro Bereich notwendig?
- Wie viele Kundenverbünde bekommt jedes einzelne Beratungsteam?
Eine Handlungsempfehlung, die ich Ihnen zur sofortigen Umsetzung geben kann, ist: Machen Sie wieder mehr Betriebsbesichtigungen bei Ihren Unternehmerkunden! Denn jetzt haben Sie die Möglichkeit, sich darauf zu berufen, dass in den letzten Jahren so wenig Kontakt bestand, weil alles lief und es nicht so viele Themen gab. Sagen Sie Ihren Unternehmern einfach ehrlich, dass Sie gerne sehen würden, was sich in den letzten Jahren so im Betrieb getan hat. Das ist Ihr „Dosenöffner“! Und den Private-Banking-Beratern empfehle ich: Überzeugen Sie den Firmenkunden-Berater, Sie direkt zu den aktuell anstehenden Jahres-/Strategiegesprächen und zu Betriebsbesichtigungen mitzunehmen! So entwickeln Sie sich gemeinsam weiter zu Unternehmer-Verstehern und im Tandem zum Finanzcoach-Team für Familienunternehmer.
Das ist auch dringend notwendig, denn was wir seit einigen Jahren erlebt haben – dass Kunden fast von alleine kamen und nur Produkte „gepusht“ werden konnten –, das war eine Ausnahmesituation. Das, was wir jetzt haben – die Notwendigkeit einer aktiven Akquise und einer ganzheitlichen Positionierung beim Unternehmerkunden –, das ist der Normalzustand. Natürlich müssen weiter die Finanzprodukte verkauft werden. Doch dies ist jetzt eher das Mittel zum Zweck – nicht der eigentliche Aufhänger.
So, wie sich die aktuellen Rahmenbedingungen verändert haben, so ist auch eine Anpassung in der Finanzberatung notwendig, um wieder Erträge ins Haus zu holen. Brauchen Sie noch ein wenig Unterstützung dabei, diese Anpassungen bei sich im Institut umzusetzen, dann schauen Sie doch mal bei meinen Seminaren und Workshops vorbei. Hier gehen wir auch vom Generellen ins Spezifische und sprechen gerne über die Möglichkeiten, die sich Ihnen in Ihrem speziellen Fall anbieten. Haben Sie Mut, die entsprechenden Transformationen umzusetzen. Es wird sich in mehrfacher Hinsicht lohnen!
Erlauben Sie mir bitte zum Abschluss noch eine rhetorische Spitze: Ans Telefon zu gehen, wenn jemand anruft, oder zurückzurufen, wenn jemand um Rückruf bittet, war und ist keine Akquise. Private Immobilienkreditanfragen des Unternehmers abzuarbeiten war und ist keine Firmenkundenberatung, sondern Kreditbearbeitung. Und aktuell lediglich und vorrangig Zinsprodukte (Anleihen, Tagesgeld, Sparbriefe & Co.) zu platzieren ist absolut kein Private Banking.
In den vergangenen Jahren traf die alte Börsenweisheit in allen Bereichen des Lebens, der Wirtschaft und in den Instituten zu: „Die Flut hebt alle Boote, auch die mit Löchern im Rumpf.“ Jetzt, im Hier und Heute, zeigt sich, welche Berater verkaufen können und wollen. Und welche Führungskräfte führen, anleiten, unterstützen und coachen können.
Der italienische Dichter und Philosoph Dante Alighieri (1265‒1321) hat schon vor über 700 Jahren angemerkt: „Der eine wartet, dass die Zeit sich wandelt, der andere packt sie an und handelt.“ Ihren Unternehmern liegt „Anpacken“ im Blut. Machen Sie mit!
Ihnen allen viel Spaß und Erfolg in Ihren Unternehmergesprächen!
Kontakt
Dirk Wiebusch
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