Im Vergleich zu den Großkunden, von denen jeder Einzelne den Löwen­anteil des Umsatzes Ihres Instituts ausmacht, wirken die mittel­stän­di­schen Gewer­be­kunden oft auf den ersten Blick weniger wichtig. Viele Banken geben sich deshalb damit zufrieden, von den bis zu 3 Millionen Euro jährlichen Umsatz dieses Markt­seg­ments einfach irgend­etwas mitnehmen zu können. Mit standar­di­sierten Prozessen und viel Digita­li­sierung werden dann die Kosten des Instituts niedrig genug gehalten, sodass am Ende immer noch ein Plusge­schäft heraus­kommt. Doch in den Handwerks­be­trieben, Spedi­tionen und anderen mittel­stän­di­schen Unter­nehmen schlummern noch weitere Poten­ziale, die nur dann ausge­schöpft werden können, wenn die standar­di­sierten Prozesse durch ein effek­tives Mensch zu Mensch veredelt werden.

Was macht die Gewer­be­kunden aus?

Unter dem Begriff „Gewer­be­kunden“ verstehen wir zunächst einmal die KMU – also kleine und mittlere (Familien-)Unternehmen. Genau wie bei den Großkunden ergibt sich diese Definition jedoch je nach Region und Größe des eigenen Instituts: Für ein inter­na­tional aufge­stelltes Institut ist selbst eine regionale Größe noch Gewer­be­kunde, für ein kleineres Institut hingegen oft schon ein Großkunde. Der Begriff ist also wieder in Relation zu den eigenen Kapazi­täten zu sehen.

Der für die direkte Beratung wohl wichtigste Unter­schied zwischen Großkunden und Gewer­be­kunden ist, dass letztere meist über ein wesentlich leichter zu handha­bendes Umfeld verfügen. Während bei den Top-20-%-Unternehmern zu jedem Zeitpunkt vollan­ge­stellte und sehr autonom arbei­tende „Abfang­jäger“ umgangen werden müssen, um an den Unter­nehmer heran­zu­kommen, verfügen Gewer­be­kunden meist nur über wenige spezia­li­sierte Mitar­beiter im direkten Umfeld, die noch dazu wesentlich weniger selbst­ständig arbeiten können. Gerade in der Verwaltung bezie­hungs­weise im Finan­zie­rungs- und Finanz­be­reich kommt – wenn überhaupt – meist nur dreimal die Woche für einige Stunden eine Teilzeit­kraft ins Unter­nehmen. Denn Gewer­be­kunden müssen bei jeder Vollzeit­stelle klar abwägen: Lohnt sich der Kosten­punkt oder könnte man die Arbeit nicht auch noch selbst übernehmen?

Gewer­be­kunden verfügen außerdem meist über nur eine Bankver­bindung, manchmal auch zwei. Denn die Unter­nehmer aus diesem Segment kümmern sich zwar häufig um sehr viele Aspekte aus dem Tages­ge­schäft selbst – doch einige Themen im finan­zi­ellen Bereich sind meist auch für sie so komplex, dass sie diese lieber einem Spezia­listen überlassen. Und dann ist es natürlich sinnvoller, alle Finanz­ge­schäfte in die Hände ein- und desselben Instituts zu legen.

Digita­li­sierung ist Trumpf? Wie sich Banken gegenüber Gewer­be­kunden verhalten

Bei meiner Arbeit mit Gewer­be­kunden und ihren Finanz­be­ratern fällt mir eines immer wieder auf: die vielen Bekannten, Kumpels oder Sport­kol­legen, die in diesen Unter­nehmen Bereiche wie z. B. das Versi­che­rungs­wesen betreuen. Aus dieser Beobachtung bin ich zu zwei Schlüssen gekommen:

  • Den Banken entgehen hier poten­ziell Cross-Selling-Möglichkeiten.
  • Die Unter­nehmer verlassen sich auf Freunde, da ihnen in den digita­li­sierten Prozessen der Banken etwas fehlt.

Gerade im Gewer­be­kun­den­be­reich stellen sich aktuell viele Banken schlanker auf und zwingen die Unter­nehmer in digita­li­sierte Standard­pro­zesse. Dagegen ist grund­sätzlich nichts einzu­wenden, schließlich sind die Geschäfts­po­ten­ziale in diesem Segment durchaus beschränkt(er). Und um es klar zu sagen: Jedes Institut MUSS diesen Weg gehen. Wer sich nicht digitaler und standar­di­sierter aufstellt, verliert am Ende nicht nur den Anschluss. Hier sollte von allen Seiten, vor allem auch vonseiten der Berater, Verständnis für die Entschei­dungen der eigenen Vorstände vorhanden sein.

Vielen Insti­tuten entgehen jedoch durch übertrieben standar­di­sierte Heran­ge­hens­weisen und den Mangel an einer digitalen Ergän­zungs­stra­tegie zur digitalen Lokali­sierung zusätz­liche Geschäfts­po­ten­ziale, die von Freunden und Bekannten abgegriffen werden. Und diese Freunde und Bekannte haben den Beratungs­auftrag und schluss­endlich auch den Vertrags­ab­schluss erhalten, weil sie etwas bieten können, was die Unter­nehmer dieses Segments von den Banken erwarten, aber immer weniger geboten bekommen: den subjek­tiven Wohlfühl­faktor, der nur durch ein effek­tives Mensch zu Mensch erzeugt werden kann. Und hier ist der Gewer­be­kun­den­be­rater die wichtigste Speer­spitze zum Unter­nehmer. Wie im Firmen­kun­den­ge­schäft ist er meist erster Haupt­kontakt des Unter­nehmers im Institut. Und steht dann in der Pflicht, die relevanten Themen über interne Experten zu koordi­nieren – während er jedoch immer weniger Experten und Ressourcen zur Verfügung hat. Eine hoch anspruchs­volle Aufgabe!

Warum die Beratung Mensch zu Mensch so wichtig ist

Für Banken bedeutet der reine Fokus auf Digita­li­sierung und Standar­di­sierung also auch eine Ent-Emotio­na­li­sierung und Ent-Loyali­sierung des Kunden. Zusätzlich sorgen beispiels­weise schlankere Kredit­ein­rei­chungs-Proze­duren dafür, dass immer weniger Infor­ma­tionen über die Kunden vorhanden sind. Poten­zielle Cross-Selling-Ansätze werden deshalb nicht nur nicht genutzt, sondern in vielen Fällen mangels Infor­ma­tionen auch gar nicht erkannt. Und algorith­mische sowie Big Data-Analysen sind derzeit technisch und rechtlich noch nicht vorhanden, zu umstritten, verboten oder noch nicht so ausge­reift, dass sie den konkreten, aktuellen Handlungs­bedarf der Unter­nehmer erkennen.

Während der Sport­kollege zum Beispiel die Infor­mation über einen Versi­che­rungs­bedarf mitunter auch schon mal auf dem Fußball­platz ergattert. Werden dann noch – wie in vielen Insti­tuten – oft jüngere Berater auf die Gewer­be­kunden angesetzt, damit diese sich die Sporen für „wichtigere“ Aufgaben verdienen (und dann nach kurzer Zeit den Aufga­ben­be­reich wechseln), geht der subjektive Wohlfühl­faktor für diese Unter­nehmer gegen null. Die mittel­stän­di­schen Unter­nehmer werden in standar­di­sierte Prozesse gedrängt, obwohl sie gerade aufgrund des fehlenden Exper­ten­um­felds eigentlich sehr beratungs­in­tensive Kunden sind.

Hier liegen Poten­ziale brach, die mit der richtigen Mischung aus Standard­pro­zessen und einem gezielten Mensch zu Mensch ohne übermäßige Zusatz­kosten für die Bank ebenfalls mitge­nommen werden könnten. Insbe­sondere auch in den Bereichen Vermö­gens­aufbau und Nachfol­ge­re­gelung brauchen die Unter­nehmer eine indivi­duelle Beratung von Mensch zu Mensch – beispiels­weise im Tandem Gewer­be­kun­den­be­rater und Vermö­gens­be­rater. Die Gewinne sind hier natürlich immer noch nicht so groß wie bei den Großkunden, lassen sich aber mit ein wenig zusätz­licher Mühe effektiv abgreifen. Den Beratern ist dann zu empfehlen, dass sie sich bei jedem Kunden­kontakt auf die Abschlüsse konzen­trieren, die die wesent­lichen Erträge bringen, ohne wie Struk­tur­ver­käufer zu wirken. Das erfordert ein hohes Maß an Empathie und strate­gi­schem Verkaufs­ge­schick sowie Erfahrung und Übung.

Zusam­men­fassend kann gesagt werden, dass eine Mischung aus digitalem Angebot, Telefon-Hotline (Business Line) mit echten Menschen und der persön­lichen Beratung vor Ort, wie es derzeit in einigen Insti­tuten bereits erfolg­reich umgesetzt oder zumindest disku­tiert wird, eine nachweislich wirkungs­volle Lösung ist.

Digita­li­sierung und Standar­di­sierung – aber mit Augenmaß

Gewer­be­kunden sind das Segment im Portfolio der meisten Banken, das eigentlich zusätzlich versorgt werden müsste – nicht nur wegen des zusätz­lichen Beratungs­be­darfs, sondern auch wegen der versteckten Gewinn­po­ten­ziale. Doch viele Banken scheuen den zusätz­lichen Aufwand – die Gewinne pro Kunde erscheinen zu gering, um sich dafür zusätz­liche Mühen zu machen. Wer es jedoch insti­tuts­intern schafft, eine Mischung aus Standard­pro­zessen und Beratung von Mensch zu Mensch zu etablieren, die eine ausrei­chende Diffe­ren­zierung von Konkur­renten sowie eine Emotio­na­li­sierung und Loyali­sierung des Kunden schafft, der kann zusätzlich zum Kernge­schäft langfristige Cross-Selling-Poten­ziale ausschöpfen, die ansonsten verloren gingen.

Die Mischung macht’s: Scheuen Sie sich nicht vor Digita­li­sierung und Standard­pro­zessen – die meisten Gewer­be­kunden benötigen gar keine außer­ge­wöhn­lichen Produkte oder eine konstante Sonder­be­handlung. Ein gewisses Mindestmaß an Indivi­dua­lität und Beratung von Mensch zu Mensch reicht meist schon aus, um diesen Kunden zu zeigen: „Bei uns bist du gut aufge­hoben!“ Möchten Sie in Ihrem Institut also alles aus Ihren Gewer­be­kunden heraus­holen, dann ist die Heraus­for­derung für Sie, beide Aspekte in ein Gleich­ge­wicht zu bringen: gerade so viel Indivi­dua­li­sierung, damit sich der Kunde gut aufge­hoben fühlt – aber nicht so viel, dass Kosten entstehen, welche die zusätz­lichen Erträge nicht recht­fer­tigen können.

Kontakt

Dirk Wiebusch
info@ifuf.de

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