Im Zuge der Corona-Situation hat die deutsche Wirtschaft seit März letzten Jahres immense Unterstützungsmaßnahmen seitens der Bundesregierung erfahren – häufig in Form von Zuschüssen oder Kreditprogrammen, in einer beeindruckenden Geschwindigkeit und mit massiver Hilfe der Banken. Voraussetzung, um an diese Unterstützungsmaßnahmen zu gelangen, waren eine Bonitätsprüfung sowie eine Prüfung seitens der Banken, ob der jeweilige Kreditnehmer über ein funktionierendes Geschäftsmodell verfügt. Für Banken war das quasi ein Kinderspiel, denn auf Basis der Zahlen aus dem vierten Quartal 2019 und einer seit zehn Jahren brummenden Wirtschaft konnten gut funktionierende Geschäftsmodelle leicht belegt werden. Jedoch sind auch damals schon schlechte bzw. nicht funktionierende Geschäftsmodelle umgefallen – Beispiele hierfür finden sich in der Systemgastronomie oder anderen schnell wachsenden und nicht nachhaltig unterlegten Geschäftsmodellen. Wie gehen Banken aber nun mit den aktuellen Zahlen Ihrer gewerblichen Kunden ein Jahr nach Ausbruch der Corona-Pandemie um?
Über Harald Roos, Vorstandsmitglied
Seit dem 1. Dezember 2019 ist Harald Roos als Vorstandsmitglied für das Firmenkundengeschäft, die gewerbliche Immobilienfinanzierung sowie das Treasury der Frankfurter Sparkasse verantwortlich. Roos verfügt über rund 30 Jahre Erfahrung im Firmenkundengeschäft. Bei der Dresdner Bank war Roos in den 90er Jahren u.a. tätig im Auslands‑, Kredit- und Firmenkundenbereich. Bei der Deutschen Postbank AG baute der diplomierte Betriebswirt seit Anfang des Jahrtausends das Firmenkundengeschäft auf und verantwortete später als Bereichsvorstand Geschäfts- und Firmenkunden im Deutsche Bank-Konzern für die Marke Postbank neben dem bundesweiten Firmen- und Geschäftskundenvertrieb das Businesscenter für Gewerbekunden, die Spezialfinanzierungstöchter für Factoring, Leasing, die Firmenkundeneinheit für Treasuryprodukte in Luxemburg sowie das Produktmanagement für Geschäfts- und Firmenkunden.
Lange Durststrecke für viele Unternehmer
In den vergangenen 12 Monaten haben wir unsere gewerblichen Kunden in der Corona-Krise eng und intensiv begleitet. Bekommen wir jetzt im März oder April 2021 Kreditanfragen, muss die Prüfung der Geschäftsmodelle anhand aktueller Zahlen aus dem letzten Quartal stattfinden – und die Zahlen aus dem vierten Quartal 2020 sehen durch den Lockdown allerdings branchen- und unternehmensabhängig in vielen Teilen sehr viel bescheidener aus als vor einem Jahr. Auch in den Jahresabschlüssen wird es teils tiefe Schleifspuren geben.
Zwar gibt es auch Branchen, die kaum betroffen waren, sich anpassen oder sogar von der Pandemie profitieren konnten. Bei einer Vielzahl von Branchen war das jedoch nicht der Fall. Dabei geht es nicht nur um die dieser Tage so viel zitierten Friseursalons, sondern zum Beispiel um Gastronomiebetriebe, Veranstalter sowie den gesamten Textileinzelhandel. Diese Unternehmen wurden nachhaltig gestört.
Das Dilemma regulativer Vorgaben
Sparkassen kennen ihre Familienunternehmer und Unternehmerfamilien stets sehr gut. Wir sehen es als unsere ureigenste Aufgabe an, unsere Kunden durch und aus der Krise zu begleiten – als regionaler Sparringspartner und auf Augenhöhe. Durch die regulierenden Vorgaben werden wir aktuell jedoch daran gehindert, Teilen unserer Kundschaft dringend benötigtes Geld zur Verfügung zu stellen, da deren Quartalszahlen schlecht aussehen und die Bonitätsprüfung ebenfalls negativer ausfällt als noch vor 12 Monaten.
Das Ganze ist also deutlich schwieriger als noch im vergangenen Jahr – nicht etwa, weil die Sparkassen und Banken nicht wollen, sondern weil wir aufgrund der strengen regulativen Vorgaben schlicht und ergreifend nicht können bzw. dürfen. Dieser Umstand ist vor allem für die angesprochenen Branchen und die Familienunternehmen dramatisch. Diese sind eben nicht die Bahn, Lufthansa oder TUI und haben keine Milliarden an Unterstützungsleistungen erhalten. Wir sprechen hier auch oder vor allem über kleinere Betriebe. Diese haben zwar einerseits den enormen Vorteil, inhabergeführt zu sein und Unternehmertum als solches verinnerlicht zu haben. Auf der anderen Seite aber können sie jedoch mit „Mann und Maus abrauschen“ und haben mit harten und durchaus emotionalen Schicksalsschlägen zu kämpfen.
Wichtig ist auch die Fragestellung: Sind selbst die Unternehmen, die es schaffen, ohne zusätzliches Geld die aktuelle Situation zu überstehen und nicht unter die Räder zu kommen, am Ende trotzdem in der Lage, ohne Hilfe von außen in eine Post-Corona-Zeit zu starten? Können sie die Anlaufkosten stemmen, um schließlich wieder auf die Beine zu kommen? Vor allem Industrien und Branchen mit hohen Vorlaufkosten werden große Herausforderungen haben.
Nehmen wir zum Beispiel den Textileinzelhandel: Hier hatten die Betriebe bereits im Frühjahr 2020 die Sommerware geordert, obwohl sie aufgrund des Lockdowns schon die Frühjahrsmode nicht losgeworden waren. Sie saßen also auf riesigen Kleiderbergen. Den Sommer über waren die Läden dann geöffnet und das Geschäft lief recht gut, sodass fleißig Winterware bestellt wurde. Prompt folgte der nächste Lockdown und nun sitzt man auf der Winterware. Da das Wetter jetzt wieder besser wird, wollen die Menschen aktuell eher Frühlings- und Sommerware kaufen. Das Problem dabei: Der Einzelhandel hat nicht umfassend geöffnet und weiß auch nicht, wann er wieder vollständig öffnen kann. Und selbst wenn er bald aufmacht, hat er nur Winterware, die keiner mehr will. Ordert er jedoch jetzt Sommerware, läuft er Gefahr, erneut auf dieser sitzen zu bleiben. Ganz zu schweigen wie er ohne ausreichenden Umsatz der vergangenen fast 6 Monate genügend Kapital für die neue Ware beschaffen soll. Das ist ein Kraftakt, den viele Textileinzelhändler nicht mehr stemmen können.
Die Wirtschaft braucht mehr Verlässlichkeit
So wie der Mensch die Luft zum Atmen braucht, braucht die Wirtschaft ein hohes Maß an Verlässlichkeit und Perspektive, um effektiv planen zu können. In dieser Hinsicht werden Familienbetriebe von Staats wegen aktuell allerdings nicht adäquat bedient. Und die Banken können auch nicht immer komplett den Bypass legen, auch da ihnen aufgrund regulativer Maßnahmen oftmals die Hände gebunden sind. Der Staat hat zwar in den vergangenen 12 Monaten absolut gesehen viel geholfen, jedoch auch vieles versäumt . Beispielsweise werden die Novemberhilfen zum Teil jetzt erst aktiv. Wer aber im November Hunger hatte, also Überbrückung benötigte, dem hilft das Brot, die Liquidität, im März auch nicht mehr weiter. Wir dürfen nicht zulassen, dass hunderttausende Betriebe und Unternehmen den Bach runtergehen! Bis auf Lebensmittel- und Onlinehändlern geht es nahezu dem gesamten Handel aber auch der Gastronomie und vielen anderen Branchen dramatisch schlecht. Wenn wir alle sich selbst im Übergang zu einer Post-Corona-Zeit überlassen, werden wir in den Innenstädten und Stadtvierteln eine Verödung bekommen, die wir uns nicht wünschen können, von einem Ansteigen der Arbeitslosenzahlen und Ausbleiben von Steuereinnahmen ganz abgesehen.
Das bedeutet: Jetzt kommt eine ganz zentrale Aufgabe des Staates zum Tragen: Das Prinzip der Steuer lautet „Geld gegen Sicherheit“. Früher haben Bauern diese Abgaben an ihren Lehnsherrn gezahlt, um im Gegenzug Sicherheit und Schutz von dessen Rittern zu erhalten, sollte einmal ein Krisenfall eintreten. Heute zahlt der Unternehmer eine Vielzahl an Steuern und Abgaben und erwartet dafür Sicherheit und Zuverlässigkeit. Was heute aber leider in Teilen passiert, ist nichts Geringeres, als dass der Schutz Gewährende, also der Staat, versagt und seiner Aufgabe nicht nachkommt. Natürlich ist es wunderbar zu hören, dass Friseursalons jetzt wieder geöffnet sind – doch wie findet Deutschland mit nationaler Anstrengung wieder in einen wirklichen fairen Regelbetrieb für alle zurück? Und damit sind auch die großen Betriebe gemeint, die zum Teil unfair unterstützt wurden und werden. Gerade erst wurden von entsprechenden Automobilkonzernen Milliardengewinne kommuniziert – gerade von denjenigen, die schon am meisten von der Mehrwertsteuersenkung profitieren konnten.
Die Lösung: ein Marshallplan 2.0
Es braucht also eine Art neuen Marshallplan, um die Wirtschaft durch eine nationale Kraftanstrengung wieder auf die Beine zu stellen. Wir müssen:
- Innovationen fördern
- Start-ups unterstützen
- Digitalisierung vorantreiben
- in neue, moderne und saubere Industrien investieren
Mit einem Marshallplan 2.0 können wir die Wirtschaft wieder ankurbeln. So wie wir nach 1945 einer jungen Generation vermittelt haben, dass die Durststrecke nun vorbei ist und es wieder nach vorne geht. Exakt das können und müssen wir auch jetzt vermitteln.
Jetzt gilt es, staatliche Unterstützungsprogramme bedarfsgerecht und unternehmernah als Kredit- und Zuschussprogramme schnell und umfassend verlässlich zur Verfügung zu stellen. Und dabei ist es dann eben auch so, dass aufsichtsrechtliche Vorgaben temporär aufgeweicht oder außer Kraft gesetzt werden müssen. Später in der Rückschau wird dann eher das neue Wachstum, neue Arbeitsplätze und eine prosperierende Wirtschaft gefeiert werden als in stoischer Ignoranz den heiligen Gral der Regulatorik hochgehalten zu haben. Und es geht nicht darum, Turbokapitalismus oder die ungezügelte Freizügigkeit an den Kapitalmärkten zu etablieren, sondern die Wirtschaft auf neue stabile und solide Beine zu stellen, welche Wohlstand und Frieden sichert.
Der Staat ist niemals der bessere Unternehmer, aber er kann Unternehmertum und Gründerkultur fördern sowie Zukunftsanreize setzen. Er muss als Kapitalgeber auch Möglichkeiten schaffen, Bildung, Innovationen und Start-Ups zu fördern, welche den Themen Green- und Clean-Deal gerecht werden, Digitalisierung auch in ganz praktischen Belangen voranbringt sowie Smart- und New Work fördert. Ebenfalls kann der Staat jetzt die Gelegenheit nutzen, bei der Energiewende den Turbo zu zünden, in Wasserstoff, neue Wege der Effizienz und moderne Infrastruktur zu investieren, statt auf die in Teilen überholte und absterbende Industrie des vergangenen Jahrhunderts zu setzen. Das würde echte und zukunftssichere Arbeitsplätze schaffen, einen enormen Technologie- und Modernisierungssprung ermöglichen, Deutschland aus einem Land der Baustellen in ein Land der Zukunftsprojekte führen und gleichzeitig näher an die nichtmals überambitionierten Klimaziele bei Schaffung völlig neuer Berufszweige und Arbeitsplätze heranführen. Das viel zitierte Land der Dichter und Denker würde so zum Land der Tüfftler und Techies werden. So könnte die Corona-Krise rückblickend als echte positive Zeitenwende wahrgenommen werden und nicht als Desaster, das uns lediglich immense Schuldenberge und negative Auswirkungen auf unsere Wirtschaft hinterlassen hat. Wir hätten so aus der Not eine Tugend gemacht, uns zukunftsfähig im Wettbewerb aufgestellt und erstmals seit nahezu 20 Jahren wirklich Politik mit Weitblick und echten Perspektiven für die kommenden Generationen betrieben.
Die Säulen unserer Wirtschaft stärken
Wie angesprochen müssen jedoch auch bestehende Unternehmen – nicht nur Start-ups, Gründer und New Techs, aber bitte auch nicht ausschließlich Großkonzerne – unterstützt werden. Der deutsche Mittelstand und Familienunternehmen sind spätestens seit Ende des 2. Weltkrieges die wesentliche Säule und der bedeutendste Arbeitgeber unserer Wirtschaft. Deshalb muss genau auch für diese ein Finanzsupport lanciert werden, der adäquate Hilfestellung leistet. Diese Unternehmen, häufig Innovationsführer und an der Technologiespitze der Märkte, wurden unverschuldet in die Krise geworfen. Diese zu stützen muss vornehmste Aufgabe sein, um gerade den hochprofessionellen Familienunternehmen, häufig bereits in der 4. Generation und mehr, den Weg in die Zukunft zu ebnen.
Damit kann Deutschland wieder nach vorne gebracht werden. Es können neue Arbeitsplätze in erheblichem Maße geschaffen und alte Jobs erhalten werden. Werden mehr Steuern auf natürliche Art und Weise generiert, so bringt das Deutschland wieder an die Weltspitze – dahin, wo wir waren und auch hingehören. Es ist noch nicht zu spät, ein neues Wirtschaftswunder 4.0 zu generieren. Doch dazu müssen wir jetzt handeln. Es gibt viel zu tun und etwas Mut gehört auch dazu, die Regularien temporär aufzuweichen oder zumindest sinnvoll und der aktuellen Situation angemessen anzupassen. Und so kann Corona sehr viel mehr Chance denn Risiko sein.
Die Sparkasse – kompetenter Partner mit zukunftsstarkem Geschäftsmodell
Abschließend, in eigener Sache, ein kleiner Aufruf an alle Familienunternehmer: Wendet euch jederzeit gerne an eure Sparkassen. Denn wir haben unter Beweis gestellt, dass wir über ein nachhaltig funktionierendes Geschäftsmodell verfügen, gerade auch jetzt in der Coronazeit. Zudem haben wir uns den Familienunternehmen sowie der Lokalität verpflichtet und sind daran sehr gerne gebunden. Finanzinstitute generell haben einen immensen Anteil dazu beigetragen, Hilfe und Zuschüsse an die richtigen Empfänger zu bringen. Wir als Sparkassen waren da die Vorreiter, werden diese Rolle auch weiter wahrnehmen und für unsere Familienunternehmen ganz nah und vor Ort sein – versprochen.
Kontakt
Dirk Wiebusch
info@ifuf.de