Stellen Sie sich vor, Ihre Kinder entschließen sich ebenfalls für eine Karriere in der Finanzberatung. Dann sitzen sie vielleicht in 15 Jahren im Gespräch mit einem potenziellen Neukunden, schauen in ihre Daten – und stellen fest, dass der Familienunternehmer sein Privatvermögen einfach auf dem Girokonto parkt. Sie werden dann erschreckt ausrufen: „Legen Sie das Geld doch an, dann verlieren Sie auch nichts durch das Verwahrentgelt.“ Und der Unternehmer wird ihnen antworten: „Aber auf dem Konto ist es doch wenigstens sicher …“
Was Ihre Kinder in dieser Situation vielleicht nicht bedenken werden: Dieser Unternehmer hat seine Kindheit in den 90ern verbracht. Damals, als es noch kein Verwahrentgelt gab und Kindern beigebracht wurde, dass Sparen klug und vorausschauend ist. Vielleicht sind im Rahmen der Finanzkrise 2007 seine Aktien ins Bodenlose gefallen. Und womöglich hat er mit seiner ersten eigenen Firma die Pandemie 2020 miterlebt, als für einige Monate das gesamte Unternehmensvermögen auf der Kippe zu stehen schien.
Solche Erfahrungen prägen Unternehmer ein Leben lang. Und sie sind der Grundstein für Generationenunterschiede, die mir als Gründer und Geschäftsführer des Instituts Für Unternehmerfamilien (IFUF) immer wieder deutlich werden, wenn ich bei Gesprächen zwischen älteren Unternehmern und ihren Beratern dabei bin.
Ich betone ja immer wieder ausdrücklich, dass es sehr wichtig ist, sich auf den Stuhl des Unternehmers zu setzen. Sich mit dessen Geschäftsmodell intensiv zu beschäftigen ist essenziell für jeden Berater. Egal wie alt er ist und wie erfahren im Umgang mit Unternehmern.
Doch viele Handlungen unserer Gesprächspartner werden erst deutlich, wenn man sich bewusst macht, dass die ersten 6 bis 7 Jahre in der Kindheit den Charakter und die Grundtypologie eines Menschen markant prägen. Eben durch die familiären, sozialen und finanziellen Rahmenbedingungen sowie natürlich durch die elterliche Erziehung – inklusive der Vermittlung von deren Wertvorstellungen in jeglicher Hinsicht. Deshalb ist der Blick in die Vergangenheit und die Lebensumstände Ihrer Unternehmerkunden so wichtig.
Diesen Sommer möchte ich mit Ihnen deshalb die Kindheitsjahre vieler Ihrer Familienunternehmer näher betrachten. Lassen wir gemeinsam die heißen Tage zurück und werfen wir einen Blick in die Vergangenheit der Bundesrepublik: Wie sind die Unternehmer von heute damals aufgewachsen? Welche Ereignisse haben sie miterlebt? Und was sagt das heute über ihre Typologie aus? Wir finden es gemeinsam heraus!
In Teil 1 gehen wir davon aus, dass Sie einem Familienunternehmer gegenübersitzen, der die ersten Jahre seines Lebens in den Jahren 1945–1959 verbracht hat. Er ist also heute, Stand 2021, ca. 75 oder 65 Jahre alt und hat die heutige Firma selbst gegründet.
Quelle: Bundesarchiv, Bild 146‑1982-181–20 / CC-BY-SA 3.0
Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Germany
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Kindheit in der Nachkriegszeit
Sprechen wir heute vom Deutschland der 1950er-Jahre, dann fällt uns unweigerlich ein Schlagwort ein: „Wirtschaftswunder“! Vor unserem geistigen Auge entstehen Bilder von großen, modernen Produktionsstätten, von Infrastrukturausbau und Vollbeschäftigung.
Doch wer 1945 als erste Nachkriegsgeneration zur Welt kam, dessen Kindheitserinnerungen sind zunächst vor allem von Rationierung und Verzicht geprägt. Vielleicht wuchs der spätere Unternehmer sogar unter den 21 Millionen Menschen in Deutschland auf, die aufgrund von Bombenkrieg und Vertreibung zunächst fundamentale Dinge wie ein Dach über dem Kopf suchten.
Im Zuge der Wohnungszwangsbewirtschaftung konnte es dann geschehen, dass der Familie zunächst Wohnraum in den Privatwohnungen anderer Menschen zugeteilt wurde, zumeist auf dem Land. Stellen Sie sich vor, wie das sein muss, seine ersten Lebensjahre in ein und derselben Wohnung mit wildfremden Hausbesitzern zu leben. Noch dazu Hausbesitzern, die dazu gezwungen werden, ihre Wohnung mit Fremden zu teilen – sicher keine „entspannte Wohnatmosphäre“, um mal die Wohnungsannoncen unserer Zeit zu zitieren.
Als Millionäre noch bitterarm waren …
In den ersten Nachkriegsjahren wurde in Deutschland noch die Reichsmark als Zahlungsmittel genutzt. Oder besser gesagt: theoretisch genutzt. Denn im Dritten Reich war die Reichsmark durch Marktmanipulation und ungezügelte Gelddruckerei zur Kriegsfinanzierung effektiv vollständig entwertet worden. In der Nachkriegszeit war es also nichts Ungewöhnliches, dass mancher noch mehrere Millionen Reichsmark in einem Schuhkarton bei sich zu Hause aufbewahrte – und sich doch nichts davon kaufen konnte. Schwarzmarkt und Tauschhandel waren das Gebot der Stunde und wer zu dieser Zeit aufwuchs, dem wurde von Kindesbeinen an eingeprägt, jeden Besitz wertzuschätzen. Denken Sie daran, wenn Ihre Eltern oder Großeltern – je nachdem wie alt Sie selbst sind – das nächste Mal die schimmligen Stellen aus dem Brot schneiden, statt es wegzuwerfen.
Vielleicht erinnert sich Ihr Unternehmer sogar noch daran, wie wütend seine Eltern waren, als ihre Reichsmark 1948 zwangsweise in die neue D‑Mark umgetauscht wurde, um die Grundlage einer funktionierenden Marktwirtschaft zu schaffen. Denn im Zuge des Umtauschprozesses wurden große Teile des Vermögens ohne Ausgleich vernichtet. Dadurch tauschte man damals effektiv Reichsmark-Guthaben im Verhältnis 100 : 6,5 in D‑Mark um, während Schulden im Verhältnis 10 : 1 verrechnet wurden. Da soll sich noch mal jemand über den Kurs von knapp 2 : 1 aufregen, der bei der Einführung des Euro angelegt wurde.
Quelle: Bundesarchiv, B 145 Bild-F002325-0003 / Unterberg, Rolf / CC-BY-SA 3.0
Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Germany
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Eine Kindheit ohne alles, was für uns heute essenziell ist
Wenn Sie heutzutage zu Ihren Kunden fahren, dann lotst Sie ein GPS-gestütztes Navigationssystem sicher ans Ziel, während Sie über die Freisprechanlage die letzten Details mit Ihrer Führungskraft oder Kollegen durchgehen. Und Sie lesen jeden Tag auf dem Smartphone 24-Stunden-Nachrichten aus aller Welt.
Nichts von alledem wäre für die zukünftigen Unternehmer der Jahrgänge 1945 bis 1955 technisch möglich gewesen: Nachrichten bekam man nicht jede Minute aktuell, sondern einmal täglich über die Tageszeitung oder über das Radio. Nur wer wirklich wichtig oder wohlhabend war, verfügte über ein eigenes Festnetztelefon in der Wohnung. Das eigene Auto war ebenfalls lange Jahre ein Luxusobjekt. Fast unvorstellbar für uns: Insbesondere auf dem Land war die Pferdekutsche noch die Spitze der Fortbewegungstechnologie und in der Landwirtschaft konnte man von Traktoren oft nur träumen.
Der schnelle Nachrichten-Check auf dem stillen Örtchen, wie wir ihn heute „zelebrieren“, wäre damals in dieser Form übrigens aus mehreren Gründen nicht möglich gewesen. Nein, nicht nur wegen der fehlenden Smartphones und Internetverbindungen, sondern auch, weil die Notdurft meist noch in kleinen Toilettenhäuschen auf dem Hof verrichtet wurde – ohne fließendes Wasser oder Heizung, versteht sich. Wer möchte da schon mehr Zeit als nötig verbringen?
Das Schlaraffenland: Wirtschaftsboom im Zuge der 1950er
Ende der 1940er stand die junge Bundesrepublik Deutschland schließlich am Scheideweg: Die Siegermächte entschieden darüber, ob Deutschland in einen Agrarstaat umgewandelt werden sollte oder ob es auf Grundlage des Marshallplans wieder aufgebaut werden würde. Dass wir heute überhaupt erfolgreiche Weltunternehmen in Deutschland haben, ist direkt darauf zurückzuführen, dass die Entscheidung klar zugunsten des Marshallplans fiel. So flossen ab Ende 1947 riesige Mengen Geld aus den USA in den Wiederaufbau Europas. Und die Kinder von damals erlebten nach einer Zeit der Entbehrungen einen beispiellosen Wirtschaftsboom.
Deutschland wird erneut zur Wirtschaftsmacht
Im Zuge des deutschen Wirtschaftswunders verdreifachte sich das Bruttosozialprodukt der jungen Bundesrepublik allein innerhalb der 1950er von knapp 50 Milliarden auf 150 Milliarden D‑Mark. Bis zum Ende der 1960er würde es sich sogar noch einmal verdoppeln. Die 1950er sind uns heute deshalb so positiv in Erinnerung, weil sie für praktisch jede Familie einen deutlichen Anstieg der Lebensqualität bedeuteten.
Mit dem Aufschwung der Wirtschaft und dem Wiederaufbau veralteter, zerstörter Produktionsstätten und Infrastrukturen auf Basis zeitgemäßer Technologie waren auch Arbeitskräfte wieder gefragt: Bis Ende der 1950er hatte die BRD den Zustand der Vollbeschäftigung erreicht. Das sorgte für höhere Löhne: Statistisch besaßen bis Anfang der 1960er etwa 27,3 % aller Haushalte ein eigenes Auto und ein Drittel aller Familien fuhr mindestens einmal im Jahr in den Urlaub.
Für Finanzdienstleister interessant: Waren die Banken im Nationalsozialismus noch faktisch zur Finanzierung des Dritten Reichs gleichgeschaltet, konnten sie in der jungen Bundesrepublik nicht nur freizügiger marktwirtschaftlich handeln – sie trafen auch auf eine liquide und willige Bevölkerung. Insbesondere Konsumkredite erfuhren in den 1950ern großen Zuspruch. Beispielsweise für das bereits erwähnte eigene Auto. Der Realzins lag Ende der 1950er bei etwa 6,4 % (und würde später noch steigen), was möglicherweise langfristig die Liebe der Deutschen zum Kleinsparen beflügelte. Auch unser heutiger Stolz auf den Status als „Exportweltmeister“ lässt sich auf die 1950er zurückleiten: Damals stand der Wechselkurs von D‑Mark zu Dollar noch bei 4,20 : 1, sodass Waren „made in Germany“ bald den Weltmarkt fluteten.
Quelle: Bundesarchiv, B 145 Bild-F004204-0003 / Adrian, Doris / CC-BY-SA 3.0
Lizenz: Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Germany
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Eine Kindheit in Saus und Braus?
Es liegt nahe, zu vermuten, dass die Kinder der 1950er durch diesen geballten Wohlstand zu zügellosen Genussmenschen wurden. Zumindest diejenigen, die erst in den 1950ern zur Welt kamen und von Hungerwinter 1946/1947, Schwarzmarkt und Wohnungsnot nur in den Erzählungen ihrer Eltern gehört hatten.
Doch der Eindruck täuscht: Auch die 1950er-Jahrgänge wurden langfristig durch die Entbehrungen der Nachkriegszeit geprägt. Denn auch wenn sie erst in den Boomjahren auf die Welt kamen: Ihre Eltern hatten das noch alles miterlebt und deren Mentalität der Rationierung und des gewissenhaften Umgangs mit Geld strahlte auch später an ihre Kinder ab. Natürlich, man genoss nun den Sommerurlaub, das eigene Auto, den neuen Fernseher und vieles mehr. Doch man genoss diese Dinge in dem Wissen, dass man sie sich mit harter Arbeit verdient hatte.
Quelle: Bundesarchiv, B 145 Bild-F001055-0012 / Brodde / CC-BY-SA 3.0
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Der Anfang einer Nation – und der Beginn vieler Unternehmerkarrieren
Ich hoffe, dass ich Ihnen einen kleinen Überblick geben konnte, unter welchen sozialen und wirtschaftlichen Umständen die späteren großen Unternehmer der Jahrgänge 1945 und 1950 aufgewachsen sind. Diese Menschen werden später in den frühen 60ern Großes leisten und zum Teil Unternehmen erbauen, die noch bis heute Bestand haben. Doch die Entbehrungen der Nachkriegsjahre haben ihre Denkweise selbst dann beeinflusst, wenn sie ihre Kindheit erst zu Zeiten des anbrechenden Wirtschaftswunders erlebt haben. Diese Erfahrung werden sie für immer mit sich herumtragen.
Doch wie erging es einer Generation zukünftiger Unternehmer, wenn sie nicht durch Entbehrungen und ein darauffolgendes beispielloses Wirtschaftswachstum beeinflusst wurde? Wenn sie stattdessen auf dem Wirtschaftswachstum dieser Jahre weiter aufbaute? Das erfahren Sie nächste Woche, wenn wir uns im zweiten Teil der großen Sommerserie gemeinsam in die wilden 1960er und 1970er hineindenken. Bleiben Sie bis dahin kühl und gesund.
Ihr Dirk Wiebusch
Kontakt
Dirk Wiebusch
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