In den letzten beiden Wochen haben wir uns gemeinsam angesehen, unter welchen Umständen Menschen aufgewachsen sind, die ihre Kindheit in den 1940ern und 1950ern oder in den 1960ern und 1970ern verbracht haben. Also statistisch gesehen genau die Generationen, die Ihnen heute als Top-Unternehmer im Beratungsgespräch gegenübersitzen. Selbstverständlich ist mir genauso klar wie Ihnen, dass unter Ihren Kunden nicht jeder Unternehmer zwangsumgesiedelt wurde, wie wir es in Teil 1 der Sommerserie in der Nachkriegszeit erlebt haben. Und mir ist auch klar, dass einige Unternehmer nie die Generationenkonflikte der wilden Sechziger und Siebziger in der eigenen Familie miterlebt haben, die wir in Teil 2 der Serie beleuchtet haben.
Es geht mir auch nicht darum, einen detaillierten Lebenslauf für spezifische Unternehmer zu erstellen, sondern aufzuzeigen, welchen Hintergrund Ihre Top-Kunden haben könnten. Welche gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen sie in ihrer frühesten Kindheit geprägt haben könnten. Ich möchte ein Bewusstsein dafür schaffen, dass die Unternehmer von heute womöglich ganz anders denken als Sie, da sie unter völlig anderen Umständen ihre frühkindliche Prägung erhalten haben. Und ich hoffe, dass Ihnen diese Realisation hilft, sich in Ihr Gegenüber einzufühlen. Sowie zu verstehen, warum der Unternehmer die Dinge so tut, wie er sie nun mal tut. Darum soll es heute im abschließenden Fazit der großen Sommerserie gehen.
Die ersten sechs bis sieben Jahre im Leben prägen permanent
In der Gesprächsvorbereitung geht es ja bekanntlich nicht nur darum, sich mit dem Unternehmen, dessen Wertschöpfungsketten etc. auseinanderzusetzen. Es geht auch darum, die Unternehmertypologie seines Gegenübers zu kennen. In dieser Artikelserie haben wir einen Aspekt dieser Typologie beleuchtet, der dabei nicht unbeachtet bleiben darf. Denn jede Handlung eines Menschen hat einen emotionalen und/oder rationalen Grund – und dieser Grund ist oft gar kein bewusster. Ein Grund, der sich auf Kindheitserfahrungen stützt, die man als Unternehmer gar nicht aktiv im Kopf hat, die jedoch unterbewusst bei jeder Entscheidung mitspielen. Egal, ob es Erinnerungen an Hungerleiden oder an Überfluss sind, je nach der persönlichen Historie.
Sprechen Sie Ihren Top-Kunden doch einfach mal offen darauf an. Fragen Sie nicht nur: „Wie waren Ihre ersten 5 Unternehmerjahre“, sondern auch: „Wie waren denn Ihre ersten 10 Lebensjahre?“ Das zeugt nicht nur von persönlichem Interesse – Sie können aus den Antworten auf diese Fragen sogar einen Großteil der Psyche des Unternehmers ableiten. Denn die ersten 10 Lebensjahre und die ersten 5 Unternehmerjahre prägen gemeinsam das Bewusstsein des Unternehmers, mit dem Sie am runden Tisch zusammensitzen.
1940 bis 1970 sind die Jahrgänge, mit denen Sie es typischerweise zu tun bekommen
Wenn Sie sich Ihre Kundenstruktur anschauen, werden Sie vermutlich schnell feststellen, dass die meisten Ihrer Unternehmerkunden ihre Firmen in einem Alter zwischen 30 und 40 Jahren gegründet haben. Das ist eine ganz natürliche Entwicklung, denn der Mensch ist von Natur aus vor- und umsichtig. Er erkennt, dass eine Unternehmensgründung wohlüberlegt sein will und ein gewisses Maß an finanzieller Sicherheit voraussetzt, die man als junger Mensch noch nicht hat. Ausnahmen wie junge Start-ups oder Jungunternehmer aus wohlhabenden Familien bestätigen die Regel.
Laut einer Untersuchung wurden von den 860 umsatzstärksten Familienunternehmen 83 zwischen den Jahren 1970 und 1989 gegründet. In naher Zukunft werde ich mich an dieser Stelle noch mal detaillierter mit dieser Statistik auseinandersetzen. Für den Moment ist nur wichtig: Das sind fast 10 % der umsatzstärksten Familienunternehmen und es wären deutlich mehr, wenn in diese Statistik nicht auch noch diejenigen Firmen einfließen würden, die schon vor vielen Jahrhunderten gegründet wurden. Unterstellen wir nun, dass von aktuell ca. 2,6 Mio. Familienunternehmen auch fast 10 % in den o. a. Jahren gegründet wurden, sind dies ca. 260.000 Unternehmen. Für unsere Zwecke bedeutet das: Zahlreiche Top-Kunden für Ihr Institut wurden von Menschen gegründet, die in genau dem Zeitraum aufgewachsen sind, den wir uns in Teil 1 und 2 dieser Serie angeschaut haben.
Bedenken Sie nun noch die Statistik, dass von 100 Existenzgründern nach 5 Jahren noch 20 im Geschäft sind, nach 10 Jahren nur noch 4 und nach 20 Jahren sogar nur noch 1 von 500. Das bedeutet: Diejenigen Unternehmer, die es bis heute geschafft haben, haben sich richtig durchbeißen müssen. Dass sie das geschafft haben, liegt vor allem auch an ihrer Grundtypologie, die durch die Kindheit maßgeblich beeinflusst wurde.
Wer seine Vergangenheit kennt, kann den Unternehmer entschlüsseln
Ein Blick in die Kindheitstage des Unternehmerkunden offenbart einiges über dessen Charakter und kann wichtige Informationen liefern, warum er noch heute die Dinge so tut, wie er sie tut. Es ist also wichtig für Sie als Berater, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, wer der Unternehmer war, um zu verstehen, wer er ist:
- Wie waren die ersten 10 Kinderjahre?
- Wie liefen die ersten 5 Unternehmerjahre?
- Welche Typologie hat der Unternehmer aktuell?
Diese Fragen helfen bei der zielgerichteten Vorbereitung auf den Kontakt. Haben Sie die Antworten und können Sie die richtigen Rückschlüsse ziehen, dann wird es Ihnen auch leichter fallen, den subjektiven Wohlfühlfaktor zu etablieren, der beim Unternehmer über Kauf oder Nichtkauf entscheidet.
Insbesondere, falls der Unternehmer nicht gerne über seine Kindheit spricht und die entsprechenden Informationen schwer zu bekommen sind, ist es auch wichtig, aktiv nach Betriebsbesichtigungen zu fragen. Denn so wie die Kindheit den Unternehmer prägt, so prägt der Unternehmer seinen Betrieb. Bei einer Besichtigung können Sie gegebenenfalls Rückschlüsse ziehen und schnell die grundsätzliche Einstellung sowie den Führungsstil des Unternehmers erkennen. Ein sehr disziplinierter Führungsstil könnte beispielsweise darauf hindeuten, dass der Unternehmer familiär darauf geprägt wurde, Disziplin und Ordnung wertzuschätzen.
Selbstreflexion ist ein Teil der Erkenntnissuche
Im Zuge Ihrer Suche nach Informationen zur Kindheit des Unternehmers empfehle ich Ihnen auch: Schauen Sie sich ruhig selbst mal unter diesen Gesichtspunkten an. Welche Werte und Normen sind Ihnen wichtig? Hat Ihre eigene Kindheit vielleicht etwas damit zu tun, dass Sie diese Werte ausgebildet haben? Und wie stehen diese Kindheitserfahrungen in Relation zur Kindheit Ihres Unternehmerkunden? Eine solche aktive Auseinandersetzung mit der eigenen Kindheit kann helfen, fundamental unterschiedliche Denkweisen zu identifizieren und diese bei der Beratung im Sinne der zwischenmenschlichen Kommunikation zu vermeiden – oder aber auch, um eisbrechende Gemeinsamkeiten zu entdecken. Und es kann zudem bei der interdisziplinären Zusammenarbeit über mehrere institutsinterne Teams, mehrere Generationen und sogar Geschlechtergrenzen hinweg helfen, ein Bewusstsein für persönlich-historisch geprägte unterschiedliche Denkweisen zu entwickeln.
Zum Abschluss der Sommerserie ist mein Rat an Sie als Finanzberater also folgender: Setzen Sie sich mit der Vergangenheit auseinander (es muss aber keine historische wissenschaftliche Ausarbeitung werden), nicht nur aufseiten des Unternehmens, sondern auch des Unternehmers und natürlich mit der eigenen. Denn so wie der Mensch seine Arbeit beziehungsweise sein Unternehmen prägt, so prägen seine ersten sechs bis sieben Kindheitsjahre ihn. Dies zu verstehen und bei der Beratung zu berücksichtigen, ist der erste Schritt zum subjektiven Wohlfühlfaktor und damit ein Schlüssel zum Erfolg bei der Finanzberatung.
Ich wünsche Ihnen auch weiterhin einen großartigen Sommer und viele produktive und inspirierende Gespräche mit spannenden Unternehmerkunden.
Ihr Dirk Wiebusch
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