Von Astro­nauten heißt es, dass sie bei ihrem ersten Blick auf den Blauen Planeten schlag­artig ein Bewusstsein dafür entwi­ckeln, wie fragil die Erde doch ist. Deshalb engagieren sich viele von ihnen nach ihrer Rückkehr jahrelang für Themen wie Umwelt- und Klima­schutz. Doch eigentlich müsste man gar nicht den vertrauten festen Boden verlassen, um sich darüber klar zu werden. Da reicht es eigentlich schon, an der eigenen Straße entlang­zu­schauen und die Türme an Gelben Säcken zu zählen. Der Themen­be­reich ESG (Environ­mental, Social and corporate Gover­nance) ist deshalb mittler­weile auch für viele Familien­unternehmer zentral wichtig geworden. Denn Familien­unternehmer wissen: Ihre Kinder werden zukünftig nicht nur die Firma erben, sondern auch die Welt, die von der Firma maßgeblich mitge­staltet wurde.

Warum sich mit diesem Thema auseinandersetzen?

Ich gebe es gerne zu: Ich bin jetzt in einem Alter, in dem die Restlaufzeit weniger als 50 % der Gesamt­laufzeit ausmacht. Da mache ich mir natürlich auch meine Gedanken über die nachfol­genden Genera­tionen. Mit 20 war das noch anders. Da galt für mich nur das Hier und Jetzt. Und das war auch in Ordnung so, denn die Jungen sollten das Privileg haben, sich voll entfalten zu können. Aufgabe der Menschen im mittleren Alter ist es, die Rahmen­be­din­gungen dafür zu liefern und gleich­zeitig die älteren Genera­tionen zu unter­stützen – denn diese haben im mittleren Alter ja bereits ohne Wehklagen dieselbe Arbeit abgeliefert.

Wenn man dann einen Partner gefunden und selbst Kinder hat, dann kommt schnell die Frage auf: „Wie wollen wir den Jungen eigentlich unsere Welt hinter­lassen?“ Uns sollte klar sein: Die nahe Zukunft wird ein Wahnsinns-Spagat zwischen Digita­li­sierung, Komple­xität und dem damit einher­ge­henden Ressour­cen­hunger auf der einen Seite und Klima­ver­än­derung sowie der Endlichkeit von Ressourcen auf der anderen Seite. Denn eine vollständig vernetzte Welt benötigt auch Unmengen an Energie – nicht nur für die Endgeräte, sondern auch für die riesigen Server­farmen, die am Laufen gehalten und aufwendig gekühlt werden müssen.

Deshalb möchte ich eines gleich vorweg­stellen: Ich bin kein Wissen­schaftler, sondern nur ein inter­es­sierter Konsument frei verfüg­barer Daten und Infor­ma­tionen. Wenn also Wissen­schaftler der Vereinten Nationen vor der Klima­ver­än­derung warnen, dann habe ich persönlich kaum die Möglichkeit, die Daten, auf denen diese Einschätzung beruht, unabhängig zu überprüfen. Aber ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass die Sommer in meiner Jugend nicht so oft so heiß waren wie heute, dass in den Wintern noch ordentlich Schnee lag und dass Überschwem­mungs­ka­ta­strophen oder sogar Tornados früher noch Selten­heitswert in unseren Breiten­graden hatten. Und ich kann entlang meiner Straße schauen und die Unmengen an Gelben Säcken begut­achten, vollge­stopft mit Verpa­ckungs­ma­terial, Styropor, Plastik – in der Corona-Zeit war das gefühlt sogar noch mehr, denn im Lockdown bestellt man eben mehr im Internet oder lässt sich Essen kommen.

Es sollte mittler­weile also klar sein, dass das Thema wichtig ist und dass es richtig ist, es beim Unter­neh­mer­kunden anzusprechen. Denn hier – bei den Produ­zenten der Produkte, die wir täglich verwenden – gibt es noch erheb­liche Optimie­rungs­mög­lich­keiten. Es geht mir in diesem Artikel also nicht darum, mich als Moral­apostel aufzu­spielen. Dafür gibt es in meinem eigenen Privat­leben immer noch zu viele Klima­schutz-Aspekte, die ich auch mal optimieren könnte, müsste und auch werde.

Es geht mir lediglich darum, Ihnen einige Punkte aufzu­zeigen, an denen Sie im Gespräch mit Ihren Unter­neh­mer­kunden ansetzen können. Denn den Famili­en­un­ter­nehmern ist das Thema ESG genauso wichtig wie uns allen. Das sehe ich seit Jahren in allen Gesprächen, die wir beim Institut Für Unternehmer­Familien (IFUF) mit unseren Mandanten führen – und ich habe darauf aufbauend bereits 2020 schon in einem Versteher-Magazin-Artikel auf die Komple­xi­täten bei der Umsetzung entspre­chender Maßnahmen hinge­wiesen. Es bietet sich also an, jetzt gezielt, aktiv und regel­mäßig mit Ihren Kunden über das Thema zu sprechen. Denn wenn die Klienten des IFUF da reprä­sen­tativ sind, dann gibt es viel Gesprächs­bedarf – und einen echten Willen sowie die Möglichkeit, wirklich Maßnahmen im Sinne des Umwelt­schutzes umzusetzen.

Die Innen­sicht des Unter­nehmers: eine Frage der Umsetzbarkeit …

Dass etwas geschehen muss, um den Klima­wandel aufzu­halten oder zumindest in einem erträg­lichen Rahmen zu halten, das ist nicht erst seit den aktuellsten UN-Studien klar. Doch nicht jedes Gewitter und jeder Schnee­sturm ist gleich Klima­wandel und nicht 100 % des Klima­wandels ist menschen­ge­macht – obwohl wir ihn selbst­ver­ständlich mindestens beschleu­nigen. Bei Unter­nehmern gibt es also das Bewusstsein, dass etwas geschehen muss, doch in meiner Erfahrung ist dies weniger der geradezu panische Aktio­nismus, der von vielen Seiten gefordert wird, sondern mehr ein ruhiger und durch­dachter Strategiewechsel.

Für Familien­unternehmer ist der Klima­schutz also schon längst kein Erkennt­nis­problem mehr, sondern lediglich noch eine Heraus­for­derung bei der Umsetzung und Finan­zierung der nötigen Maßnahmen. Denn ist das Unter­nehmen überhaupt technisch so weit, entspre­chende Maßnahmen umzusetzen? Sind beispiels­weise moderne strom­spa­rende Maschinen vorhanden? Und was muss eventuell organi­sa­to­risch geändert werden, um dem neuen Fokus gerecht zu werden? Hier müssen womöglich über Jahrzehnte entstandene Struk­turen einge­rissen und neu gedacht werden – das macht man nicht mal eben auf die Schnelle.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, welchen monetären Nutzen das Unter­nehmen in der ersten Zeit aus den Maßnahmen ziehen kann. Denn der Unter­nehmer trägt Verant­wortung für den Bestand der gesamten Firma und die Zukunft seiner Beleg­schaft. Da haben nicht viele Lust, als First Mover viel Geld in F&E und Marketing zu stecken, nur um dann zuzuschauen, wie andere auf ihrer umwelt­freund­lichen Idee aufbauen und sofort großen Erfolg haben. Warten sie jedoch zu lange, kommen sie eventuell später nicht mehr in den Markt hinein, da andere Firmen schon mit ihrer Vorrei­ter­rolle glänzen. Und was, wenn ein Manager im Unter­nehmen medien­wirksam eine ökolo­gische Kehrt­wende im DAX-Unter­nehmen verspricht – und dann drei Jahre später schon nicht mehr im Unter­nehmen arbeitet? Was hat das für Auswir­kungen auf die komplette Wertschöp­fungs­kette mit Hunderten von kleineren Familien­unternehmen? So mancher Unter­nehmer hat die Befürchtung, er könne auf diese Weise in einen Kampf gegen Windmühlen gestürzt werden, den der Manager selbst gar nicht mehr austragen muss.

Mein Tipp: Halten Sie sich als Berater vor Augen, dass die meisten Familien­unternehmer ohnehin schon für das Thema Umweltfreundlichkeit/Nachhaltigkeit sensi­bi­li­siert sind – sie sind sich womöglich nur noch nicht sicher, welche Maßnahmen präzise angepackt werden müssten. Setzen Sie an dieser Stelle an. Vielleicht fragen Sie Ihren Kunden einfach mal: „Wenn Sie sich keine Gedanken über Zeit und Ressourcen machen müssten, welche ESG-Maßnahmen würden Sie als Erstes umsetzen wollen?“ So lässt sich bereits heraus­finden, wo der Unter­nehmer den Schwer­punkt setzen würde, bevor man darauf­folgend durch­rechnet, wie das realis­tisch umgesetzt werden könnte – oder (falls es überhaupt nicht realis­tisch ist) wie man die Strategie realis­ti­scher gestalten könnte, ohne ihren Kern anzugreifen.

… und der Finanzierung

Stellen Sie sich mal folgendes Beispiel aus Ihrem eigenen Leben vor: Sie ersetzen Ihren Pkw durch ein umwelt­freund­liches Elektroauto. Selbst­ver­ständlich eine tolle Sache für die Umwelt. Doch Studien haben ergeben, dass Privat­per­sonen pro Tag ca. 40 km fahren. Leasen Sie sich also ein E‑Auto, dann bekommen Sie typischer­weise alle 2 bis 3 Jahre einen neuen Wagen – nur, damit Sie ihn dann ca. 21 bis 23 Stunden am Tag lediglich irgendwo stehen lassen. Selbst bei 60 täglich gefah­renen Kilometern ist der Wagen so jedes Jahr nur etwa 700 Stunden lang in Bewegung bei 8.000 Stunden Standzeit (ca. 92 %). Hat sich die Anschaffung dann überhaupt aus Umwelt­sicht gelohnt? Oder werden durch die Produktion des neuen Wagens, den Sie alle paar Jahre leasen, nicht doch mehr Ressourcen verbraucht als durch den Kraftstoff?

Tanken ist ohnehin ein aktuelles Problem der E‑Mobilität: Stellen Sie sich eine Wohnsiedlung mit ca. 2.000 Personen vor – dort gibt es im Schnitt 1.000 Privat­autos. Und jetzt stellen Sie sich vor, dass es regional nur eine einzige Tankstelle mit Ladesäulen gibt. Schon bei einem Ladevorgang von nur 30 Minuten würden die E‑Autos dort Schlange stehen, während Kraft­stoff-Modelle inklusive An- und Abfahrt sowie Bezahl­vorgang vielleicht 5 Minuten brauchen. Jetzt stellen Sie sich den Tankstel­len­be­treiber vor, der auf E‑Mobilität umgestiegen ist und nun 30 Minuten für die Abwicklung eines Tankvor­gangs benötigt, wo er früher in derselben Zeit bei 6 Autofahrern hätte kassieren können. Hat sich der Umstieg für ihn gelohnt? Mal ganz davon abgesehen, dass durch eine weitere Verschärfung der Eigen­ka­pital-Richt­linien der BaFin in Kombi­nation mit den neuen Ausgaben auf Basis der eigenen ESG-Linien die Finan­zierung einer solchen Inves­tition immer schwerer wird.

Analog ein Beispiel aus dem Produk­ti­ons­be­reich: Stellen Sie sich vor, Ihr Unter­neh­mer­kunde hätte 10 Maschinen, die noch um das Jahr 2000 angeschafft wurden. Wenn so eine Maschine im Durch­schnitt 30 Jahre hält, dann wird der typische Unter­nehmer verstehen, dass die Maschinen von 2000 nicht nachhaltig oder strom­sparend sind – damals war ja längst nicht dieselbe Sensi­bi­li­sierung für das Thema vorhanden. Doch wird er seine 10 Maschinen sofort verschrotten und moderne anschaffen? Wohl eher nicht. Er nimmt sich vielmehr vor, neue umwelt­freund­liche Geräte zu kaufen, sobald die alten sich amorti­siert haben oder aufgrund der Abnutzung ersetzt werden müssen. Und auch dann wird er sie nicht alle auf einmal abschaffen, sondern nach und nach, als Evolution statt Revolution. Denn letztlich spielen Unter­nehmer nach den Gesetzen des Marktes und der Markt sagt: Es rentiert sich nicht, aus Aktions­willen funkti­ons­tüchtige Maschinen zu entsorgen.

Mein Tipp: Bedenken Sie bei der Kommu­ni­kation mit dem Kunden, dass im geschäft­lichen Kontext nicht immer ein (vernünf­tiger) Weg da ist, nur weil es einen Willen gibt. Und machen Sie dem Unter­nehmer klar, dass Sie das wissen. Dass Sie ihn nicht für einen schlechten Menschen halten, nur weil er nicht von heute auf morgen seinen gesamten Maschi­nenpark ausmistet. Unter­nehmer sind es gewohnt, dass Außen­ste­hende so etwas von ihnen erwarten, da ist es ein beson­deres Zeichen der Vertrau­ens­wür­digkeit, wenn Sie offen­sichtlich verstehen, dass solche Änderungen nicht von heute auf morgen geschehen können. Sprechen Sie statt­dessen mit Ihren Kunden darüber, welchen Zeitplan sie für grund­le­gende Verän­de­rungen im Unter­nehmen einschlagen würden und wie sie das finan­zieren würden.

Evolution statt Revolution

Wir sehen: In der Kommu­ni­kation mit Famili­en­un­ter­nehmern zum Thema ESG ist ein gewisses Verständnis dafür gefragt, dass Familien­unternehmer zwischen dem Willen zu Verän­derung einer­seits und den markt­wirt­schaft­lichen Reali­täten anderer­seits sitzen. Wer das versteht und es dem Unter­nehmer zu verstehen gibt, hat bereits einen großen Schritt dazu gemacht, in diesem stark emotio­na­li­sierten Themen­gebiet, bei dem es in der öffent­lichen Debatte nur noch Extreme zu geben scheint, eine ausge­wogene Meinung zu zeigen – und damit den subjek­tiven Wohlfühl­faktor beim Unter­nehmer zu stärken. 

Kommende Woche möchte ich dann gemeinsam mit Ihnen beleuchten, welche Rolle die Konsu­menten und Finanz­dienst­leister in dieser Beziehung spielen. Denn wenn wir eines in den letzten Jahrzehnten gelernt haben, dann, dass der Klima­wandel ein Thema ist, bei dem jeder mitar­beiten muss.

Kontakt

Dirk Wiebusch
info@ifuf.de

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