Nach mehr als 10 Jahren wirtschaftlicher Hochkonjunktur mehren sich nun die Anzeichen, dass eine ausgeprägtere Schlechtwetterphase bevorsteht. Schwierig ist hierbei, die wirklichen Problemengagements von den vorübergehend schwächeren zu unterscheiden. Eine Hilfestellung des Staates während der Corona-Pandemie muss nicht unbedingt ein Indiz für ein künftig problembehaftetes Engagement sein. Dafür gibt es häufig andere Merkmale. Dies sind Anzeichen, die nicht nur im Rahmen der materiellen Kreditanalyse, sondern insbesondere auch außerhalb dieser Betrachtungssphäre auffallen.
Über Herrn Jürgen Wieczorrek
Seit mehr als 30 Jahren ist Jürgen Wieczorrek als Sanierungsberater bei verschiedenen Kreditinstituten unterschiedlicher Größe tätig. Er konnte dabei eine Vielzahl von Branchen kennenlernen und hat viele Unternehmen sowohl in der Krise als auch während der Restrukturierung begleitet. Die frühzeitige Erkennung von möglichen ungünstigen Entwicklungen war dabei stets entscheidend für eine erfolgreiche Bewältigung der Herausforderungen.
1. Die Dynamik in der Kommunikation zwischen Kreditgeber und ‑nehmer verändert sich
In regelmäßigen Abständen wird die Entwicklung der bestehenden Kundenbeziehungen einer Überprüfung unterzogen. Auf der einen Seite geht es um sachliche Inhalte. Zahlenmäßige Veränderungen werden in der Regel zuverlässig vom Firmenkundenberater bzw. von der Kreditanalyse herausgearbeitet. Das ist hilfreich in der Bewertung des Engagements und unterstützt die emotionale Betrachtung des Engagements – das „Bauchgefühl“.
Auf der anderen Seite müssen aber auch mögliche Veränderungen in der Kommunikation wahrgenommen werden. Und hier ist die Aufmerksamkeit der Firmenkundenberater gefragt! Sie sind regelmäßig mit ihren Kunden im Austausch und sollten daher wachsam werden, wenn die Kommunikation mit dem Kunden vom „üblichen“ Business-as-usual-Verlauf abweicht. Ausgenommen sind natürlich emotionale Ausnahmesituationen des Kreditnehmers (wie z. B. der Tod eines nahen Angehörigen).
Aktives Zuhören ist gefragt. Meint: Redet der Kunde seit geraumer Zeit auffällig oft über Belanglosigkeiten, statt in die nüchternen Fakten einzusteigen? Entsteht beim Firmenkundenbetreuer der Eindruck, dass aktiv von heiklen Themen abgelenkt wird? Jetzt kann natürlich nicht jedes lockere Gespräch Indiz für eine Krise beim Kreditnehmer sein. Aber nach diesen lockeren Gesprächsrunden ist ein nüchterner Faktenabgleich mit Unterhaltungen aus der jüngeren Vergangenheit hilfreich, um ein „Bauchgefühl“ zu bestärken oder zu entkräften. In diesen lockeren Gesprächsrunden sind in meiner langjährigen Berufspraxis schon viele Ungereimtheiten zutage gefördert worden.
Zur Kommunikation gehört auch die Aufbereitung einzureichender Unterlagen. Hat sich die Darstellung verändert? Werden z. B. bestimmte Positionen zusammengefasst, sodass optisch ein besseres Bild entsteht? Werden möglicherweise Unterlagen nicht mehr automatisch mitgeliefert? Die Summen-und-Salden-Liste zur betriebswirtschaftlichen Auswertung hat schon häufig neue Einsichten zutage gefördert; sei es, dass eine treffsichere Analyse der Verhältnisse möglich ist, oder aber auch, dass neue Kreditgeber erkennbar werden.
2. Es werden zusätzliche Kreditverbindungen zu Mitbewerbern aufgenommen
Grundsätzlich belebt ja Konkurrenz das Geschäft. Vor diesem Hintergrund ist es nicht weiter ungewöhnlich, wenn neben der bestehenden Kreditbeziehung neue Kreditgeber in Erscheinung treten. Problematisch könnte es allerdings sein, wenn ein langjähriger Kunde unmittelbar nach einem abgelehnten Neukreditwunsch „fremdgeht“. Diese Entscheidung darf vom Firmenkundenbetreuer nicht persönlich genommen werden, sondern sollte vielmehr als ein mögliches Warnsignal Beachtung finden.
Häufig weiß der Kreditnehmer sehr genau, dass er ohne zusätzliche Liquidität in einen ernsthaften Liquiditätsengpass gerät und sich genau deshalb anderswo umschaut. Denn auch das wissen die Kreditnehmer sehr genau: Ein neues Kreditinstitut wird sicherlich Interesse an einer langjährigen Geschäftsbeziehung haben und somit Konditionen anbieten, die zu einem Wechsel der Hausbank führen sollen.
Allerdings sollte der neue Kreditgeber gerade bei unterschwellig angedeuteten, atmosphärischen Schwierigkeiten mit der bisherigen Hausbank eine gewisse Vorsicht walten lassen. Es ist auf jeden Fall ratsam, in Gedanken selbst mal die Intention des bisherigen Hausbankers zu hinterfragen. Warum lässt er einen womöglich langjährigen Kunden in einer plötzlich auftretenden, besonderen Situation ohne Schirm im Platzregen stehen?
3. Änderung des Zahlungsverhaltens
Stellt der Firmenkundenbetreuer der bisherigen Hausbank fest, dass das Zahlungsverhalten seines Kunden sich verändert, ist auch an dieser Stelle Aufmerksamkeit angesagt. Nimmt ein Kunde bei Lieferantenrechnungen plötzlich nicht mehr Skontozahlung in Anspruch, sondern schöpft das Zahlungsziel aus, könnte auch dieser Umstand ein weiteres Puzzleteilchen in der Gesamtbewertung des Kunden sein, bei dem sich ein Liquiditätsengpass anbahnt.
Es ist generell hilfreich, von Zeit zu Zeit mal die Kontoumsätze seiner Kreditnehmer zu durchleuchten, insbesondere wenn sich die Kontoführung etwas enger gestaltet. Hellhörig sollte der Firmenkundenbetreuer auf jeden Fall werden, wenn Empfänger und/oder Verwendungszweck darauf hindeuten, dass schon Mahnungen vor der Zahlung vorhanden waren.
4. Berücksichtigung der allgemeinen Branchenentwicklung
Die Kreditinstitute clustern gerne ihre Kunden und können so relativ gut einen sicheren Eindruck davon bekommen, wie es allgemein in der jeweiligen Branche der Kunden aussieht. Ganz wichtig ist hierbei, das Entwicklungspotenzial des Invests zu berücksichtigen.
Dabei sollte der Kundenbetreuer nicht auf „Copy-and-Paste“-Angebote irgendwelcher Portale zurückgreifen, sondern eine kundenbezogene, individuelle Betrachtung vornehmen. Neben den Auswirkungen der Corona-Pandemie nehmen auch die technischen Veränderungen auf unsere wirtschaftliche Entwicklung Einfluss. Die Automobilindustrie trifft es besonders hart:
Egal wie man z. B. zur E‑Mobilität steht – wir können auf jeden Fall davon ausgehen, dass die bisherige Automobilindustrie samt der umfangreichen Zulieferbetriebe sich radikal ändern wird. Nicht alle neuen Ideen sind dazu geeignet, fundamentale Veränderungen herbeizuführen, aber es ist durchaus Potenzial vorhanden, eine deutliche Modifizierung der Branche zu erreichen.
Der Firmenkundenbetreuer sollte also sehr vorsichtig werden, wenn die Entwicklungskosten beim Kunden rückläufig sind und mit Blick auf künftige Fortschritte keine echten Zukunftsprojekte in der Erprobung sind. Denn wer jetzt mit Entwicklungen erst anfangen möchte, hat den Anschluss wahrscheinlich schon verschlafen.
Wenn wir beim Beispiel der Autoindustrie bleiben und uns vorstellen, dass bei einem E‑Auto konstruktionsbedingt weniger als die Hälfte der Einzelteile für die Fertigung eines Fahrzeuges benötigt werden und vor allem auch viele Komponenten (wie z. B. Getriebe oder Abgasanlagen) nicht mehr benötigt werden, braucht man nicht viel Fantasie, um zu erahnen, dass für die Zulieferindustrie der Kuchen kleiner wird und vor allem eine weitere Umverteilung innerhalb der Branche erfolgt.
Sicherlich werden Produkte im Zusammenhang mit der Verbrennungstechnologie noch für eine gewisse Zeit notwendig sein, jedoch ist abzusehen, dass dieser Technologiezweig mittelfristig zumindest in weiten Teilen des täglichen Lebens aussterben wird.
Das andere Zauberwort ist Digitalisierung. Damit ist allerdings nicht gemeint, dass die Außendienstmitarbeiter neue Smartphones erhalten, sondern dass die Unternehmen ernsthaft prüfen, wie unter Einbeziehung sinnhafter Ansätze künftig Kosten gespart werden können und eine Verbesserung der Reaktionszeiten gegenüber über den Kunden möglich wird. So könnte ein Weg sein, bei Maschinen die Möglichkeit einer Fernwartung zu installieren, sodass der Maschinenhersteller bei Problemen schneller reagieren kann. Außerdem wäre es dann in vielen Fällen nicht mehr erforderlich, dass ein Techniker extra zum Kunden kommt. Hat der Firmenkundenbetreuer den Eindruck, dass trotz grundsätzlich vorhandener Möglichkeiten dieser Weg nicht beschritten wird, sollte eine gewisse Skepsis an den Tag gelegt werden. Es ist damit zu rechnen, dass Mitbewerber unseres Kunden diese Option wählen werden, sodass unser Kunde ins Hintertreffen geraten könnte. Eine deutliche Verschlechterung der Wettbewerbsposition wird sich in einem solchen Fall nicht vermeiden lassen, was natürlich Auswirkungen auf die Ertragssituation hat. Es ist also unter Umständen ein weiteres kleines Mosaikstückchen im betrieblichen Abwärtstrend.
5. Unterschiede zu den Mitbewerbern
Es ist ratsam, den eigenen Kunden mit Mitbewerbern aus der gleichen Branche zu vergleichen, am besten, wenn sie sich hinsichtlich Größe und Angebotspalette ähneln.
Nehmen wir als Beispiel Getränkegroßhändler, die ja bekanntermaßen mit dem Verkauf von Fassbier die höchsten Margen erzielen. Mit Blick auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie wird es in der Gastronomie künftig noch größere Verwerfungen geben, aber wenn unter Berücksichtigung der Umsatzrückgänge als Folge der massenhaften Schließungen von vielen kleinen Gastronomiebetrieben weitere überproportionale Rückgänge in diesem Umsatzbereich zu verzeichnen sind, sollte sich der Berater Gedanken über die eigentlichen Ursachen machen.
Hat der Großhändler keinen guten Kundenstamm? Hat die Pandemie gerade viele kleinere Gastronomen zur Aufgabe gezwungen, ohne dass Ersatz für den entfallenen Umsatz erkennbar ist? Oder haben sich Mitbewerber beweglicher gezeigt? Hat der Großhändler nicht erkannt, welche seiner Produkte den höchsten Deckungsbeitrag bringen? Sinnbildlich auch für andere Branchen müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass die Gastronomie selbst bei einer guten Erholung von der Corona-Pandemie deutliche Veränderungen aufweisen wird. Nur wenn unsere Kunden schnell und konsequent genug sind, um anstehende Veränderungen zu antizipieren, werden auch bei einem schwierigen Umfeld Gewinne möglich sein.
Vor diesem Hintergrund ist gerade der kritische Vergleich innerhalb der Branche notwendig, um die „Innovationsschnecken“ zu identifizieren. Anderenfalls werden die Banken es am gestiegenen Kreditrisiko spüren.
Abschließend sollten die Firmenkundenbetreuer immer zwei goldene Regeln beherzigen: „Machen Sie keine Geschäfte, die Sie nicht verstehen!“ und „Vertrauen Sie Ihrem Bauchgefühl“. Dann sollte es gelingen, auch in einem schwierigen Umfeld gute Geschäfte zu machen.
Kontakt
Dirk Wiebusch
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