Willkommen im Jahr 2022! 32 Jahre nach der Wiedervereinigung, 73 Jahre nach der Gründung der Bundesrepublik, 2 Jahre in der Corona-Pandemie – und unser Land scheint gespalten wie nie zuvor. Lassen Sie uns gemeinsam einen Blick zurück auf 2021 werfen, auf die Herausforderungen, die wir gemeistert haben, und auf jene, die uns in 2022 bevorstehen. Willkommen zum Jahresrückblick 2021 und dem Ausblick auf 2022 des Versteher-Magazins!
Das soziale Schlachtfeld 2021
Sie finden diese Überschrift zu reißerisch? Finde ich auch – und genau deshalb passt sie hervorragend zur Stimmung des vergangenen Jahres. Denn wie zu keiner Zeit zuvor haben wir doch eines aus 2021 gelernt: Negative Superlative regieren die Medienlandschaft und sickern in unser soziales Gefüge. Kaum ein Tag verging, an dem nicht das eine, alles beherrschende Thema medial hochgepusht wurde: Corona! Wurde die Lage schlechter, wurde sofort über neue Lockdowns, Verbote und Pflichten diskutiert. Sank der Inzidenzwert, wurde direkt erklärt, warum das ein schlechtes Zeichen für die nahe Zukunft sein könnte – oder eventuell auch nur ein Statistikfehler.
Insbesondere die sozialen Medien haben dieses erdrückende Überangebot an negativen Themen noch weiter befeuert. Ironischerweise war es ja auch das Jahr 2021, in dem wir durch die Whistleblowerin Francis Haugen endlich handfeste Beweise erhielten, dass zumindest Facebook wissentlich negative Themen, Falschinformationen und Hasskommentare pusht, um ein höheres „Engagement“ bei den Nutzern und Nutzerinnen zu erreichen. Kontroverse Meinungen und extreme Parteilichkeit sind dort nun mal Trumpf und fließen als eine „Bist du nicht für mich, bist du gegen mich“-Stimmung zurück in die Gesellschaft.
Ist das alles wirklich neu?
Die starke Polarisierung der Gesellschaft basiert meines Erachtens letztlich auf einer längst bekannten Erkenntnis in Form der Maslowschen Bedürfnispyramide:
Viele der sozialen Probleme, die wir 2021 miterlebt haben, gehen direkt darauf zurück, dass einige dieser fundamentalen Bedürfnisse nicht mehr erfüllt wurden – oder zumindest in einem Maße eingeschränkt wurden, das auf Dauer zu Unzufriedenheit in der Bevölkerung geführt hat. So zum Beispiel die Einschränkung der sozialen Kontakte.
Gesellschaftliche Unruhen sind oft auf der Bedürfnispyramide begründet: Wird diese nicht ausreichend gepflegt, dann bröckelt die Fassade und es kommen Ressentiments zum Vorschein, die bislang von der allgemeinen Zufriedenheit verdeckt wurden. Im Mittelalter verbreiteten die sozial und politisch unfreien Bürgerinnen und Bürger auf dem Marktplatz krude Theorien, wer alles an ihrer misslichen Lage schuld sei. Während des zurückgehenden Wirtschaftswachstums der 70er- und 80er-Jahre wetterten die Stammtische vor sich hin – und heute brüllen Social Media und WhatsApp ihre Unzufriedenheit in die Welt hinaus.
Alte Ängste, neu verpackt: Social Media
Wenn wir uns die Maslowsche Bedürfnispyramide anschauen, dann entdecken wir oberhalb der roten Linie übrigens die Ego-Bedürfnisse, die in unserer Zeit immer stärker geworden sind. Selbstverwirklichung ist uns heute wichtig – und das ist auch gut so. Allerdings hat es mittlerweile dazu geführt, dass heute jeder in Kommentarspalten, Blogs, Podcasts, YouTube-Videos und Twitch-Streams seine persönliche Meinung ungefiltert in die Welt tragen kann. Da gibt es keine Redaktion und keinen Herausgeber oder Intendanten, der (wie früher bei Radio, Zeitung und Fernsehen) in letzter Instanz prüft, dass alles korrekt ist – und der gegebenenfalls für Fehler geradestehen muss.
Nicht wenige Menschen haben sogar erkannt, dass sie ihr persönliches Ego-Bedürfnis noch besser verwirklichen können, wenn sie möglichst undifferenzierte und kontroverse Meinungen vertreten – und so schüren sie Ängste und Unsicherheiten für 15 Minuten Ruhm auf YouTube. Dass sich mittlerweile bestimmte politische Strömungen die völlig unübersichtliche Informationslandschaft aktiv zunutze machen, um Falschinformationen wie durch Kerosin angetriebenes Feuer mit Unterstützung von Bots und professionellen Trollfarmen zu verbreiten, sollte da niemanden wundern.
Alte Werte, ersetzt durch Clickbait: Die großen Leitmedien
Was jedoch einigermaßen neu ist: Einzelne vormals seriöse Medien und Redaktionen beginnen mittlerweile damit, Inhalte ebenfalls unreflektiert weiterzuverbreiten und darüber hinaus stärker Partei für bestimmte politische Ideologien zu ergreifen. Kein Wunder, dass sich dieselben Meinungen dann postwendend im Kommentarteil wiederfinden. Was da teilweise in den Online-Angeboten der Zeitungen zu lesen ist, lässt erhebliche Zweifel aufkommen, ob der Inhalt von Profis geschrieben und seriösen Redakteuren freigegeben wurde. Da ist es dann auch eher normal, dass bei der Flut der Artikel die Moderatoren von Kommentarforen überfordert sind (sofern überhaupt jemand schaut, was und wie kommentiert wird) und die geposteten Inhalte oftmals erschreckend und beleidigend sind. Trotz Hinweise auf die Community-Regeln.
Ehrlich gesagt: Wären Schulnoten zu vergeben, würde ich den großen Informationsmedien Deutschlands für 2021 eine glatte 6 geben. Denn statt Originalquellen und ‑daten zu recherchieren und sachneutral auszuformulieren (von mir aus mit ein bisschen politischer Meinung, solange es im Rahmen bleibt), werden hier immer wieder komplexe Sachverhalte auf Tweet-Größe zusammengestaucht und als stark vereinfachte Schlagzeilen mit starkem politischen Beigeschmack auf die Gesellschaft losgelassen. Kein Wunder, dass wir 2021 eine so große soziale Spaltung erlebt haben, scheint doch die „German Angst“ immer noch das Leitmotiv der Medienlandschaft zu sein.
Fähnchen im Wind: Die Politik
Die Medienlandschaft hatte allerdings auch deutliche Auswirkungen direkt auf die höchsten Ebenen der Politik. Denn Politiker haben sich meines Erachtens 2021 so stark wie noch nie danach gerichtet, was in den sozialen Medien, dem Fernsehen und den großen Tageszeitungen gefordert und propagiert wurde. Wie oft haben wir schon gesehen, dass sich unsere Politiker täglich oder fast sogar stündlich vom vermeintlichen Meinungsbarometer der Social Media haben tragen lassen? Da wurden dann auch mal bereits getroffene Aussagen revidiert oder relativiert, weil sie offenbar in den Medien nicht so gut ankamen.
So wurden dann wiederum die großen, übergeordneten Themen – Wirtschaft, Digitalisierung, Umwelt, Corona – täglich durch die Manege getrieben. Und je nach Persönlichkeit und Typologie sorgte das dafür, dass die Macher im Land sagten: „Ich bleibe bei meiner eigenen Meinung“, die Analytiker suchten sich immer neue, immer aktuellere Statistiken, die Verbindlichen waren verunsicherter denn je und die Expressiven preschten ohne Plan voran und ließen sich ungesteuert treiben.
Gerade im Wahlkampf wurde viel mit Angst gearbeitet, wurden Plattitüden verbreitet und komplexe Themen in Schwammiges umgewandelt, um bloß keine Details diskutieren zu müssen. Man hat sich gewissermaßen auf der Maslow-Pyramide nach unten gearbeitet, um ja nicht nach oben auf eine echte Weiterentwicklung hinarbeiten zu müssen. Denn dieser Weg ist schwer, steinig und mit erheblichem Widerstand verbunden. Während in Angst und Schrecken – symbolisch gemeint – nahezu alles gekauft wird, was angeboten wird.
Unternehmer und Unternehmen 2021
Die eher planlosen Entscheidungen auf Basis eines nicht länger bestehenden sozialen Konsenses schlugen sich 2021 auch wirtschaftlich nieder. Viele Unternehmen konnten sich in der Corona-Zeit nur durch Hilfszahlungen am Leben halten – denn rein statistisch kann an der aktuellen Zahl an Insolvenzen etwas nicht stimmen. Voraussichtlich werden diese Insolvenzen erst in den kommenden Jahren eintreten, wenn die Zahlungen gestoppt wurden und sich die Firmen mit ihren kaum noch marktfähigen Wertschöpfungsketten nicht mehr selbst über Wasser halten können. Rückzahlungsforderungen von Überbrückungshilfen auf Basis von rückwirkend veränderten Bedingungen werden diesen Vorgang noch beschleunigen.
Im Zusammenhang zwischen Unternehmen und Medien ist anzumerken, dass es 2020 und 2021 diverse Firmen gab, die sich durch kluge Entscheidungen wie Homeoffice oder die Umstellung der Prozesse nicht nur am Leben halten, sondern sogar wachsen konnten. In den Medien ist allerdings höchstens von denjenigen Unternehmen die Rede, die überproportional an der Krise verdient haben, oder von jenen, die an ihr zugrunde gingen. Also wieder alles nur auf negative Schlagzeilen heruntergebrochen – es geht schließlich um Klicks und nicht um eine korrekte Repräsentation der wirklichen wirtschaftlichen Situation.
Die wirtschaftliche Situation ist deutlich besser, als sie dargestellt wird
Wenn wir im Institut Für UnternehmerFamilien (IFUF) mit unseren Unternehmerkunden sprechen, dann erfahren wir immer wieder von Fällen, in denen Unternehmen super mit den Herausforderungen des Jahres 2021 umgegangen sind. Selbstverständlich haben bei einigen die Hilfszahlungen den Niedergang eventuell nur zeitlich verschleppt. Aber alles in allem haben die Familienunternehmen und Unternehmerfamilien Deutschlands 2021 extrem stark ihre Wandel- und Innovationsfähigkeit unter Beweis gestellt.
Das ist insbesondere deshalb bemerkenswert, weil natürlich auch vonseiten der Gesellschaft und der Medien Druck auf Unternehmen ausgeübt wird. Da heißt es dann, im übertragenen Sinn: „Freitag ist A fällig, du musst bis Montag B haben, und wenn bis Dienstag nicht alles erledigt ist, geht die Welt unter!“ Das sind nicht nur völlig realitätsferne Forderungen, sie sorgen auch für Angst und Unsicherheit, die bei manchen Unternehmen fast schon lähmend wirken können. Einige Wirtschaftsunternehmen lassen sich dann leider von diesem Druck treiben (auch weil eventuell entsprechende Vertragsregelungen bei Managerverträgen vorliegen), anstatt sich darauf zu besinnen, dass Wirtschaft ein Marathon ist und kein Sprint.
Bei inhabergeführten Familienunternehmen ist die Situation oft etwas besser, da hier mit mehr Augenmaß gearbeitet wird – man rennt nicht jedem Hype hinterher, sondern verfährt nach Plan. Und schließlich muss man auch nicht jedem Risiko gleich aus dem Weg springen. So mancher Unternehmer kann selbst aus einem Katastrophenjahr wie 2021 noch Chancen herausholen.
Warum Familienunternehmen weniger unter der Spaltung leiden
Die Wirtschaft ist 2021 gewissermaßen von den Medien und der Gesellschaft getrieben worden – wenn sie sich hat treiben lassen. Denn die Spaltung des Landes, die ich bereits attestiert habe, setzt sich natürlich in den Unternehmen fort: Da hat auch jeder seine eigene Meinung über Klima, Digitalisierung und Impfung. In manchen Unternehmen kann diese Spaltung zu einer Lähmung führen, die unserer Wirtschaft als Ganzes sicher nicht gut bekommt.
Familienunternehmen haben es da besser, denn hier geht es oft noch deutlich familiärer zu. Da kennt der Inhaber viele Mitarbeiter noch persönlich und der Dialog ist entsprechend offener und konstruktiver. Kein Wunder also, dass Familienunternehmer zwar von 2021 an ihre Grenzen gebracht wurden, die Herausforderungen unserer Zeit jedoch alles in allem mit Bravour gemeistert haben.
Können wir 2022 wieder zusammenfinden?
Ich habe schon vor Corona gesagt, dass Familienunternehmer in unserer Zeit dieselben Herausforderungen zu bestehen haben wie die Finanzinstitute, zum Beispiel Digitalisierung und Individualisierung vs. Standardisierung. Durch Corona sind weitere Herausforderungen hinzugekommen (2G/3G, Homeoffice, Unsicherheit), die wiederum für Familienunternehmer und Finanzinstitute gleichermaßen gelten. Für 2022 sehe ich daher voraus, dass insbesondere die Lenker der Finanzinstitute (und im Weiteren dann natürlich auch alle Mitarbeiter, von der Assistenz über den Berater bis hin zu jedermann im Innendienst) doppelt gefragt sein werden: Ihre Aufgabe wird es sein, die Institute durch die Herausforderungen 2022 zu leiten und gleichzeitig den Familienunternehmen zur Seite zu stehen, die vor denselben Herausforderungen stehen werden.
Welche Herausforderungen das sind, welche einmaligen Chancen sich durch sie ergeben und welche Risiken umschifft werden müssen, das erfahren Sie kommende Woche in Teil 2 – dem Ausblick auf 2022. Denn bei der Beratung, an den Börsen und in Spezialbereichen wie Immobilien und Versicherungen wird das neue Jahr viele spannende Themen und somit unzählige tolle Gespräche mit Unternehmern sowie deren Familien und Unternehmen für uns parat halten.
Kontakt
Dirk Wiebusch
info@ifuf.de