Kennen Sie „Telephobie“ – oder „Telefonphobie“? Populärwissenschaftlich ist damit die Angst davor gemeint, Gespräche am Telefon zu führen. In der Psychologie spielt dieses Phänomen zwar nur als Teil umfangreicher Sozialängste eine Rolle. Doch wer von uns kennt nicht mindestens eine Person, die Schweißausbrüche bekommt, wenn sie jemanden telefonisch kontaktieren soll? Schade nur, wenn es sich dabei um einen Finanzberater-Kollegen handelt. Denn auch Ihr Institut ist aktuell darauf angewiesen, dass sich Berater aus allen Segmenten aktiv bei den Kunden melden. Also lassen Sie uns das Phänomen der Telephobie ergründen und herausfinden, wie wir damit umgehen können – von der Führungskraft bis zum Berater.
Wenn das Handy zehnmal klingelt …
Ich bemerke in meiner Position als Gründer und Geschäftsführer des Instituts Für UnternehmerFamilien (IFUF) immer wieder, dass bei den Finanzberatern (zu) wenig proaktiv bei den wichtigen Unternehmerkunden angerufen wird. Das hat zutiefst menschliche Gründe, die grob von der Generation der Berater abhängig sind:
- Die jüngste Generation der Finanzberater ist aktuell typischerweise noch im Azubi- und Trainee-Stadium oder noch als „Nachwuchskraft“ in den eher unteren Unternehmerkundensegmenten beschäftigt. Dabei handelt es sich um eine Generation, die von Kindesbeinen an anders kommuniziert hat: Weniger direkt anrufen, mehr über WhatsApp und andere Messenger schreiben, sprechen und demnächst per Videobotschaft kommunizieren. Sie haben tendenziell weniger Übung in der verbalen Kommunikation und deshalb fühlen sie sich unsicher, wenn es um die feinen Unterschiede in der Betonung etc. geht. Diese Unsicherheit lässt sie solche Kommunikationssituationen meiden. Eine direkte Kommunikation per Telefon, Videotreffen oder analog kann schnell zu einem Hin und Her werden. Und wer das nicht gewohnt ist, wird es vermeiden, wo er nur kann. Da wird dann schnell der Mailweg als Ausweg gesucht und gefunden.
- Die Generation ca. über 50 ist mit dem Telefon als Kommunikationsmittel aufgewachsen. Und „mal eben zum Kunden fahren“ kennt sie und weiß dieses auch zu schätzen. Sie ist es gewohnt, auch proaktiv zum Hörer zu greifen und jemanden anzurufen. Doch leider sorgt die hohe Auslastung bei diesen Beratern oft dafür, dass gar keine Zeit mehr für Telefonate bleibt. Insbesondere (gefühlt) nicht für solche, bei denen am Ende kein klares Ergebnis steht. Frage ich im Seminar mal nach, wann denn das letzte Mal ein Kunde „einfach nur so, kurz vor seinem Urlaub“ angerufen wurde, ist bei fast 100 % ein Schulterzucken die Antwort.
- Die Generation dazwischen wurde in vielen Fällen während der letzten 3 bis 5 Jahre des Booms auf dem Immobilienmarkt (Firmenkundenberater) angestellt. Oder aber während der Zeit des Verwahrentgeltes bzw. während des Zinsanstiegs (Private Banker). Damals wurden vor allem analytisch denkende und routineaffine Menschen gesucht, die gut mit Zahlen umgehen konnten – Social Skills wurden damals nicht im selben Umfang gebraucht, da die Kundenanfragen praktisch von alleine reinkamen (mitunter auch einfach nur per Mail) und dann diszipliniert und analytisch genau abgearbeitet werden mussten.
Diese Kombination sorgt dafür, dass insgesamt immer noch zu wenig proaktiv auf die (Potenzial-)Kunden zugegangen wird. Doch genau das brauchen wir heute: mehr Berater, die aktiv zum Hörer greifen (nicht nur E‑Mails schreiben) und es dann auch emotional vertragen können, wenn von 10 angerufenen Kunden 8 abwimmeln. Man kann sich heute nicht mehr darauf verlassen, dass am Tag passiv 10 Rückrufbitten von Unternehmerkunden bearbeitet werden. Das bedeutet auch, dass man sich eine thematische Strategie zurechtlegen sollte. Einem Unternehmer eine E‑Mail schreiben, dass man mal irgendwann wegen des ESG-Scores schauen müsste? Da können Sie die Mail auch gleich in den Papierkorb werfen. Aber direkt anrufen und ein strategisches sowie dynamisches Gespräch über die Ist- und Zukunfts-Situation des Unternehmers handfest planen – darauf erhalten Sie wahrscheinlich wesentlich positivere Antworten.
Einfache Lösungen für Führungskräfte und Berater
Keine Sorge: Als Berater werden Sie nicht plötzlich völlig entgegen Ihrer Persönlichkeit bzw. Ihrer Typologie arbeiten müssen. Und als Führungskraft brauchen Sie keine Umschulungen oder Neubesetzungen zu planen. Die Herausforderung der Telephobie lässt sich viel leichter lösen.
Führungskräfte
Als Führungskraft empfehle ich Ihnen, zunächst lediglich die Kundenportfolios zu analysieren. Welcher Kunde braucht eventuell eine proaktivere Herangehensweise, wird aber zurzeit lediglich „abgearbeitet“? Danach schätzen Sie die Typologien Ihrer Berater ein: Wer im Team greift gerne mal proaktiv zum Hörer und wer nicht? Diese Berater und Kunden können Sie dann miteinander kombinieren: Bringen Sie Kunden, die viel Proaktivität brauchen, mit expressiven Beratern zusammen und lassen Sie Kunden, die nach wie vor abgearbeitet werden wollen, mit Beratern zusammen, deren Stärken eher im analytischen Bereich liegen.
Ein „Perfect Match“ werden Sie so nicht immer schaffen können. Doch allein der Ansatz, auf diese Weise bessere Synergien zu schaffen, kann bereits einen großen Unterschied machen. Überlegen Sie mal: In vielen Instituten wird der Top-Kunde grundsätzlich vom dienstältesten Berater betreut. Warum eigentlich? Wer sagt denn, dass der Berater am besten zum Kunden passt, nur weil er der dienstälteste ist? Vielleicht würde eine andere Kombination zu einer viel besseren Zusammenarbeit führen. Die externen Rahmenbedingungen haben sich in den letzten Jahren so stark verändert, dass „Ich betreue den Kunden schon immer“ nicht mehr sinnvoll und erfolgreich sein kann.
Berater
Den Beratern unter Ihnen empfehle ich: Bleiben Sie authentisch und ehrlich mit sich selbst. Überwinden Sie sich zur Proaktivität bei denjenigen Kunden, zu denen Sie bereits eine engere Beziehung haben. Also bei den Kunden, bei denen Sie die Selbstsicherheit haben, sich auf natürliche Weise proaktiver heranzuwagen. Vielleicht finden Sie sogar Ihre innere „Rampensau“, von der Sie nie wussten, dass sie existiert. Es kann helfen, sich zusammen mit Ihrer Führungskraft einen Gesprächsleitfaden zusammenzustellen, an dem Sie sich dann im Telefonat entlanghangeln können. Sie müssen lediglich realisieren, dass Sie vielleicht etwas introvertierter sind als andere und von einem solchen Leitfaden mehr Sicherheit erhalten könnten. Ich bin mir sehr sicher, dass es mit einem Leitfaden und etwas Übung zu schnellen Erfolgserlebnissen kommen wird.
Für diejenigen unter Ihnen, die gerne proaktiver wären, aber aus Zeitmangel nicht sein können, empfehle ich den Versteher-Podcast. Hier finden Sie neben vielen weiteren spannenden Themen auch eine Diskussion über 8 Produktivitätskiller, die Sie mit einfachen Mitteln vermeiden können, um sich Zeit für mehr proaktiven Kundenkontakt freizumachen.
Und vor allem der jüngeren Generation sage ich: Sie sind noch jung und flexibel. Trauen Sie sich, anzurufen! Die Interaktion von Mensch zu Mensch (MzM) ist für viele Unternehmerkunden mittlerweile das entscheidende Zünglein an der Waage. Denn bei der fortschreitenden Digitalisierung, Automatisierung und KI-Implementierung ist das Mensch zu Mensch oft der einzig übrig gebliebene individuelle Faktor, den man noch selbst beeinflussen kann. Je früher Sie sich überwinden und Ihre Kunden doch proaktiv anrufen, desto einfacher geht Ihnen diese für die Zukunft ungemein wichtige Fähigkeit ins Blut über.
Gehen Sie auf Ihre Kunden zu
Wir befinden uns in einer Situation, in der man als Berater wieder mehr proaktiv auf die wichtigen Unternehmerkunden zugehen sollte. Das steigert nicht nur den subjektiven Wohlfühlfaktor beim Kunden, sondern lässt Sie auch Potenziale ausschöpfen, von denen Sie ohne einen Anruf vielleicht gar nicht wussten. Denn neue Erträge und Erfolge sprudeln nicht mehr von alleine in die Institute – es liegt an Ihnen, diese zu entdecken und zu ergreifen. Ich wünsche Ihnen dazu viel Erfolg mit den hier präsentierten Strategien zur Überwindung Ihrer persönlichen Telephobie.
Kontakt
Dirk Wiebusch
info@ifuf.de