Es gibt sie auf jedem Markt, in jeder Region und in jeder Institutsdatenbank: Die Großkunden. Diejenigen (Familien-)Unternehmer, die sich langfristig auf dem Markt behauptet haben und die Begehrlichkeiten auf praktisch jeder Ebene innerhalb des eigenen Instituts wecken. Will man diese Kunden für sich gewinnen oder sogar erfolgreich Cross-Selling betreiben, muss man als Finanzberater vollständig zum Unternehmer-Versteher werden. Denn nur wer weiß, wie Großunternehmer ticken, findet bei der Akquise einen Ansatzpunkt, der langfristigen Erfolg verspricht.
Analyse eines Top-Unternehmers
Was ist überhaupt ein Großunternehmer? Zunächst sind damit schlicht Ihre Top-20-%-Kunden gemeint, die absoluten Spitzenkunden Ihres Instituts, die oftmals einen Großteil Ihrer Umsätze direkt mitverantworten. Je nach Größe des Instituts können auch diese Kunden unterschiedlich groß sein. Für eine regional aufgestellte Bank ist es der regionale Großunternehmer, für internationale Großbanken der Patriarch einer ganzen Konzerngruppe. „Groß“ ist hier also immer in Relation zu den Möglichkeiten des eigenen Instituts zu sehen.
Dementsprechend ist es das Wichtigste, zu diesen Kunden zu wissen: Genauso wie ein regionaler Vorstand weiß, dass sein Institut keinen internationalen Konzernpatriarchen stemmen könnte, der regionale Großunternehmer für ihn aber unersetzlich ist, kennen auch die Unternehmer ihre Rolle innerhalb der Finanzbranche und ihre Bedeutung für Ihr Institut. Sie wissen, dass sie einen Großteil der Gewinne Ihres Hauses ausmachen. Sie wissen, dass regional unzählige Arbeitsplätze an ihnen hängen. Und sie wissen: Würden sie alle ihre Verbindungen mit Ihrem Institut kappen, wäre das ein schwerer Schlag – für Sie.
Es ist also nicht untertrieben, wenn ich sage: Diese Kunden besitzen aus gutem Grund ein großes Selbstbewusstsein. Sie sind typischerweise entweder besonders stark im Bereich der Prozesse, da ihr Geschäftsmodell sehr massenkompatibel ist, oder sie sind sehr zielgruppenorientiert und innovativ, da sie sich auf sonder- oder maßgefertigte Lösungen spezialisieren. In beiden Fällen wird das Fachgespräch mit diesen Kunden dadurch besonders spannend und gleichzeitig der Vertrieb sehr anspruchsvoll. Eine hervorragende Vorbereitung ist absolut notwendig, wenn man sich im Gespräch auf Augenhöhe bewegen möchte.
Das Verhältnis von Unternehmer, Umfeld und Bankberater
Großkunden und deren Familien verfügen immer über ein ausgeprägtes Umfeld – „Abfangjäger“ und Zuarbeiter, die hervorragend ausgerüstet sind (z. B. mit kaufmännischem Leiter, CFO, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater) und oftmals völlig autonom arbeiten. Das bedeutet natürlich auch, dass man als Berater nicht so leicht Zugang zum Unternehmer selbst erlangt. Denn dieser erwartet von seinem Umfeld, dass es selbstständig arbeitet und dabei idealerweise noch vermeintlich „weniger wichtige“ Bittsteller vom Unternehmer fernhält. Und natürlich bedeutet das auch, dass das Umfeld Ihrer Top-Kunden häufig genauso selbstbewusst und kompetent ist wie der Großunternehmer selbst. Je nach Thema sogar (deutlich) besser. Aber dafür sind sie ja auch da.
Zugleich ist es meist der Fall, dass Top-Unternehmer über mehrere Bankverbindungen verfügen. Sie wählen bewusst für unterschiedliche Bereiche unterschiedliche Banken und Finanzdienstleister – und picken sich so aus jedem Institut die Rosinen heraus. Gesprächspartner, egal in welcher Position, sind dabei vor allem Mittel zum Zweck. In vielen Fällen wird diese Verteilung auf unterschiedliche Häuser sogar sehr kalkulierend angegangen. Zum Beispiel: Drei Bankverbindungen, jede Bank darf ein Drittel des Geschäfts machen, der Unternehmer gibt keiner der Banken „zu viel“ Macht in die Hand und verringert das Risiko für sich selbst, sollte eine der Banken mal nicht das gewünschte Ergebnis liefern. Darüber hinaus hat er durch die Verteilung alle Verhandlungsfäden in der Hand und kann gegebenenfalls die Institute gegeneinander ausspielen (was einige mitunter auch tun).
Wie verhalten sich Finanzdienstleister gegenüber ihren Top-Kunden?
Innerhalb der Finanzinstitute werden die Top-Kunden häufig nach verschiedenen Clusterarten zusammengefasst. Diese werden dann entsprechenden Beratern zugewiesen, die meiner Empfehlung nach danach ausgewählt werden sollten, wie analytisch sowie strategisch sie denken und wie gut sie darin sind, auch komplexeste Sachverhalte nachvollziehen zu können. Schließlich sind diese Fähigkeiten für den Umgang mit den komplizierten Firmenstrukturen und Geschäftsmodellen dieser Top-Unternehmer unerlässlich. Einige Institute haben sogar die Kapazitäten, Organisationsstrukturen an diese Großkunden anzupassen – was selbstverständlich bei vielen anderen Instituten schlicht nicht im Rahmen der Möglichkeiten liegt. Generell muss uns klar sein, dass aufgrund fehlender Fachqualität in der Breite oder mangelnder Ressourcen der Aufbau einer spezifischen Beraterschaft für den Großkunden oft nur ein hypothetischer Idealzustand bleibt. Doch jede Extrameile, egal wie groß oder klein, die man für seine Top-Kunden bereit ist zu gehen, wird sich auszahlen.
Großunternehmer sind als Kunden nahezu alle direkt Vorstandskompetenz und müssen „bei der Stange gehalten“ werden. Fingerspitzengefühl ist dabei das A und O, da der Verlust eines Ertrags oder gar der Kreditausfall eines Großkunden ein entsprechend großes Risiko für das Institut darstellt. Diese Kunden lassen sich nicht in Standardisierungs- und Digitalisierungsprozesse zwängen, also sollte man es gar nicht erst versuchen. Es ist daher auch für Häuser mit beschränkteren Ressourcen notwendig, an den diversen Stellen im Institut direkt und maßgeschneidert am Kunden zu arbeiten, um alle potenziellen Deckungsbeiträge zu erwirtschaften. Das macht die Interaktion mit dem Kunden komplexer, doch gleichzeitig gilt auch: Dort, wo standardisierte digitale Prozesse dem Kunden einen echten Mehrwert bieten, können sie zur Vereinfachung der Arbeit durchaus angewendet werden – sie müssen dem Top-Kunden „nur“ individuell transportiert und verkauft werden.
Cross-Selling beim Großkunden
Großkunden verfügen typischerweise über enorme Potenziale und ein dementsprechend breites Bedürfnis nach Unterstützung im Bereich Finanzdienstleistungen. Eigentlich eine hervorragende Ausgangssituation für Cross-Selling, denn praktisch alle Bereiche des Instituts können ein und denselben Großkunden mit Dienstleistungen und Produkten versorgen:
- Leasing/Factoring
- Auslandsgeschäft
- Zahlungsverkehr/Payment
- Versicherungsgeschäft
- Private Banking, Vermögensmanagement
- Nachfolgemanagement
Ein solcher Kunde steht also typischerweise auf jeder Vertriebsliste in jeder Abteilung. Doch das Umfeld des Unternehmers erschwert den Zugang: Die „Abfangjäger“ konzentrieren sich auf die eigenen Aspekte des Geschäftsbetriebs und auch der zuständige Firmenkundenberater hat oft keinen konkreten oder häufigen Zugang zum Hauptentscheider, dem Unternehmer selbst. So lässt sich nur schwer ein Kontakt herstellen. Und selbst, wenn der Kontakt da ist, wird das Cross-Selling dadurch erschwert, dass der Unternehmer, wie bereits erwähnt, seine eigene Position kennt und weiß, dass er jederzeit zu einem anderen Anbieter wechseln könnte.
Wer kann noch mehr rausholen?
Für Finanzberater stellt sich also zunächst nicht die Frage, wie viel vom Kuchen man abbekommt, sondern nur, ob man überhaupt mit am Tisch sitzen darf. In einigen Fällen stellt sich die Frage nach der Größe des Kuchenstücks sogar gar nicht erst. Das ist beispielsweise dann der Fall, wenn der Großunternehmer seine Bankbeziehungen gezielt aufteilt: Wurde intern ausgemacht, dass man sein Geschäft auf drei Banken verteilt, wird man als Bankberater mit großer Wahrscheinlichkeit niemals über 1/3 des Kuchens hinauskommen. Verständlicherweise sorgt dies oft für Unmut unter den Beratern, da man scheinbar gegen eine Wand rennt, während institutsintern immer wieder gefragt wird, ob man denn wirklich alle Ertragspotenziale ausgeschöpft hat.
Nach meiner Erfahrung sind es die Vorstände, die ihren Beratern dann noch mehr unter die Arme greifen können. Großkunden sprechen am liebsten direkt mit dem Vorstand – denn obwohl sie wissen, dass der Vorstand natürlich nicht alle Finanzbelange des Unternehmers persönlich abarbeitet, ist dies ein klares Zeichen gegenseitiger Wertschätzung. Ein netter Nebeneffekt: Fragt der Vorstand nach einem Cross-Selling-Termin für einen der Fachberater, wird er in den meisten Fällen zumindest einen „Höflichkeitstermin“ bekommen, den die Berater dann nutzen können und sollten, um vielleicht einen eigentlich nicht interessierten Großunternehmer für sich zu gewinnen. Es gibt oftmals nur diesen einen Versuch!
Wie bei keiner zweiten Art von Kunden ist hier also ein Zusammenspiel von Vorständen, Führungskräften und Beratern gefragt: Der Vorstand öffnet mit knappem Name-Dropping und wohldosierten, höflichen Hinweisen auf den gesamten Leistungskatalog der Bank die Tür. An den Beratern und ihren Vorgesetzten liegt es dann, mit herausragender Vorbereitung und überzeugendem Fachwissen ihren Fuß in diese Tür zu stellen. Bei dem gesamten Vorgang ist entscheidend, dass die Rollenverteilung klar ist. Vorständen, die als Verkäufer oder Fachberater auftreten, stehen Unternehmer oft eher kritisch gegenüber. Tritt der Vorstand jedoch als „Türöffner“ auf, begünstigt dies nicht nur die Gesamtposition des Instituts beim Unternehmer, sondern stärkt auch das Profil der Berater für zukünftige Kontakte, bei denen der Vorstand nicht anwesend sein wird.
Vorbereitung ist alles
Was können wir also als Fazit mitnehmen? Top-Kunden sind die spannendsten, wichtigsten, aber auch komplexesten Kunden eines jeden Finanzinstituts. Sie für Cross-Selling zu gewinnen, gehört zu den Königsdisziplinen der Bankberater, und sie als Kunden zu verlieren, kann ein schwerer Schlag für das ganze Haus sein. All das wissen die Unternehmer, die sich hinter Zuarbeitern abschotten, sodass man als Berater nur mit entsprechendem Aufwand an sie herangelangt.
Umso wichtiger ist es, die Herangehensweise „generalstabsmäßig“ zu planen (inklusive Einbindung der Marktfolge-Aktiv/Kreditabteilung), akribisch alle vorhandenen Informationen aufzuarbeiten und in die Akquise-Strategie einfließen zu lassen. Planen Sie Zeitblöcke, in denen Sie die Gespräche mit diesen Unternehmern und ihrem Umfeld intern am grünen Tisch üben. Nutzen Sie Standardprozesse nur dann, wenn sie sich individuell verkaufen lassen und der Unternehmer auf natürlich Art und Weise in sie hineinpasst – zwingen Sie ihm niemals Standardprozesse auf, sonst sucht er sich woanders ein maßgeschneidertes Angebot.
Und zu guter Letzt: Arbeiten Sie eng zusammen, bringen Sie Fingerspitzengefühl und Verständnis füreinander sowie für das große Ganze mit. Manchmal wird man als Berater beispielsweise Entscheidungen seines Vorstands nicht nachvollziehen können. Dann gilt es, sich bewusst zu machen, dass der Vorstand in seine Entscheidungen meist viele Parameter einfließen lässt, die einem vielleicht gar nicht bewusst waren – oder über die der Vorstand nicht offen sprechen kann. Ein eingespieltes Team, bei dem jeder dem anderen vertrauen kann, hat die besten Chancen, beim Großkunden einen Treffer zu landen. Und das ist wichtig, denn bei Top-Unternehmern hat man in der Regel nur einen Versuch.
Kontakt
Dirk Wiebusch
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