Wenn wir in naher Zukunft an 2019 zurückdenken, dann werden wir dieses Jahr vielleicht als den Beginn eines neuen Umwelt- und Klimabewusstseins sehen. Denn wenige Themen wurden im letzten und in diesem Jahr in den Bereichen Politik, Gesellschaft und Wirtschaft so kontrovers diskutiert. Doch für Finanzdienstleister und Familienunternehmer ist die Betonung wichtig: „2019 war der BEGINN eines neuen Bewusstseins“ – denn die Umsetzung wird nicht so schnell zu bewerkstelligen sein, wie es heute von allen Seiten lauthals gefordert wird.
Welche Herausforderungen sind zu meistern?
Ob aus Gründen der PR, der Gesetzeskonformität oder des eigenen ethischen Empfindens – auf Finanzdienstleister und Familienunternehmer kommen in naher Zukunft drei große Herausforderungen zu:
- Nachhaltigkeit
- Klimaneutralität
- Digitalisierung
Das bedeutet: Die Produktion und Dienstleistung sowie idealerweise die gesamte Wertschöpfungskette von Unternehmen und Finanzdienstleistungsinstituten wird so umzustellen sein, dass dabei endliche Ressourcen geschont werden. Idealerweise steigt man sogar gänzlich auf erneuerbare Ressourcen um, deren Abbau keinen negativen Einfluss auf globale oder regionale Ökosysteme hat. Zugleich ist der Ausstoß an klimaschädlichem CO2 zu minimieren oder sogar (durch kompensierende Projekte) auf null zu senken – sowohl im Rahmen der Produktion als auch im Tagesgeschäft.
Und all das wird zu bewältigen sein, während im Hintergrund weiterhin an der Digitalisierung gearbeitet wird – also an der Übertragung analoger Arbeitsschritte und Datenträger auf digitale Prozesse und Speichermedien. Der Zusammenhang zwischen Digitalisierung auf der einen und Nachhaltigkeit sowie Klimaneutralität auf der anderen Seite klingt zunächst vielleicht sonderbar, ist aber nicht von der Hand zu weisen. Denn der Umstieg von Papierdokumenten auf Cloud-Speicher ist beispielsweise auch ein Umstieg von Werkstoff (für welchen eventuell Waldrodung betrieben wird) auf Technologie (deren gekühlte Server große Mengen an Strom verbrauchen).
Was kann getan werden?
Allen drei Herausforderungen zu begegnen, ist wichtig und richtig. Denn Umweltschutz wird nicht nur aus moralischer Sicht immer bedeutender werden, sondern in Zukunft auch gegenüber Firmenpartnern und Endkunden ein Kaufargument darstellen. Wer auf dem Markt bleiben möchte, tut also gut daran, diese Herausforderungen frühzeitig anzugehen.
Doch das bedeutet nicht, dass sie von heute auf morgen zu bewältigen sein werden: Zu Beginn steht immer eine schrittweise Evolution in Richtung Umweltverträglichkeit, die anschließend durch Revolution/„Erneuerung“/Disruption in neue Bahnen gelenkt werden kann. Als Finanzdienstleister oder Familienunternehmer ist es Ihr Ziel, das Institut oder Unternehmen „digitainable“ zu machen (aus „digital“ und „sustainable“): nachhaltig digital mit Augenmaß und ohne Hype!
Halten Sie sich dabei immer vor Augen: Die Entwicklung dorthin ist nicht linear, sondern verläuft exponentiell. Ein Return of Investment (kurz: ROI) stellt sich also erst dann ein, wenn sich die exponentielle Entwicklung der Realität mit der prognostizierten linearen Entwicklung schneidet. Erst dann beginnen die Maßnahmen zu mehr Nachhaltigkeit und Klimaneutralität, aber auch in der Digitalisierung Früchte zu schlagen.
Für Finanzdienstleister und Familienunternehmer ist es wichtig, diese Dynamik zu kennen, da vor dem Tipping Point die Gefahr des sogenannten Risk of Ignoring (der „andere“ ROI) besteht: Innerhalb dieses Zeitraums stellt sich kein merklicher positiver Effekt ein, weshalb viele Firmen und Institute hier bereits von ihren Zielen abspringen – bevor sie überhaupt ihren Tipping Point erreichen. Wer sein Unternehmen digitainable machen möchte, benötigt also die Kraft, diese Entwicklung auch im Angesicht zunächst ausbleibender positiver Effekte auf das Geschäft weiter durchzuziehen, bis der Tipping Point überschritten ist. Entweder nur im eigenen Unternehmen oder im Großen als Megatrend. Denn es kann ja durchaus vorkommen, dass man in der Firma zwar bereits profitabel ist, aber das Produkt selbst noch keine hohe Marktdurchdringung erreicht hat, da die Massenakzeptanz (noch) fehlt.
So stehen Familienunternehmer zu den neuen Herausforderungen
Viele Familienunternehmer sind heute bereits in die Thematik vertieft und haben eventuell sogar schon Strategien entwickelt, die ihr Unternehmen digitainable machen können. Sie haben sich beispielsweise bereits damit auseinandergesetzt, wie Altgeräte umweltschonend entsorgt werden können, wenn diese durch nachhaltigere Alternativen ersetzt werden sollen.
Doch auf die Theorie folgt die Ausführung – und hier schwanken viele Familienunternehmer noch zwischen den eigenen Ansprüchen und den Kosten, die bei der Umsetzung anfallen: Neue Produkte müssen gekauft oder gebaut werden und für die Durchführung der Umstellung werden ebenfalls Kapazitäten benötigt. All das lässt Kosten entstehen. Ein Produktionsunternehmen muss beispielsweise zunächst ein klimaneutrales Produkt designen, entwickeln und kontinuierlich testen – von den ersten Prototypen bis zur Serienreife entstehen dabei immense Kosten. Und diese Kosten trägt das Unternehmen in den meisten Fällen selbst – denn die Kunden fordern zwar klimaneutrale Produkte, sind jedoch oft kaum willens, dafür eine Preiserhöhung in Kauf zu nehmen.
Woher soll das ganze Geld also kommen? Das fragt sich der Unternehmer bei jedem neuen Projekt. Für Klimaneutralität, Nachhaltigkeit und Digitalisierung stellt er sich diese Frage umso mehr, da Investitionen in diesen Bereichen zumindest kurzfristig keinen erkennbaren Gegenwert in der Bilanz bieten. Bei der Finanzierung hat der Unternehmer also typischerweise zwei Möglichkeiten:
- Bezahlen über Kapitalgeber. Also beispielsweise Kredite oder Investoren.
- Bezahlen aus dem eigenen Cashflow. Hier ergibt sich zum Beispiel das Problem, dass die Investition eventuell nicht in die EBITDA-Kalkulation passt beziehungsweise immer mehr Kunden benötigt werden, um die zusätzlichen Investitionen zu finanzieren.
Doch ungeachtet dieser anfallenden Kosten erkennen viele Familienunternehmer: Nicht bei der Entwicklung mitzumachen, ist auch keine Lösung. Denn der Markt erfordert ein ökologisches Umdenken, und die Akzeptanz der Produkte bei den Endkunden könnte unter einem schlechten ökologischen Fußabdruck leiden. Selbst Zulieferbetriebe (vom kleinen Produktionsbetrieb bis zum Großunternehmen), die nicht direkt an den Endverbraucher verkaufen, spüren diese Entwicklung. Denn gewährleistet der belieferte Produzent gegenüber den Endkunden eine ökologisch einwandfreie Lieferkette, ist man als Zulieferer schnell raus aus dem Geschäft, sofern man nicht mitzieht.
Familienunternehmer befinden sich also in einer Zwickmühle: Machen sie nicht mit, verlieren sie eventuell ihre Kunden oder ihre Position auf dem Markt – ziehen sie hingegen mit, müssen sie die entsprechenden Kosten ganz allein tragen. Denn die Kunden, die eine ökologischere Produktion fordern, sind selten gewillt, dafür erhöhte Preise zu bezahlen. Und selbst wenn man es schafft, in eines der zahlreichen Förderprogramme zu kommen: Diese Programme zu suchen, zu bewerten, sich für passende Programme zu entscheiden und sich dafür zu bewerben – das erfordert Zeit und Arbeit, die letztlich am Unternehmer selbst oder an von ihm bezahlten Beratern hängen bleibt.
Kurzum: Nachhaltigkeit, Klimaneutralität und Digitalisierung sind langfristig der richtige Weg, zwingen den Familienunternehmer jedoch dazu, kurzfristige Investitionen ohne klaren Geld-Return of Investment zu tätigen. Es liegt also an den Familienunternehmern, das Projekt Digitainability langsam anzugehen, kontinuierlich weiterzuentwickeln – und dranzubleiben, bis sich der finanzielle Return of Investment schließlich einstellt. Der Weg der kleinen, aber dauerhaften Schritte führt letztendlich ans Ziel.
Nachhaltigkeit, Klimaneutralität und Digitalisierung aus Sicht der Finanzinstitute
Als Geschäftsleitung, Führungskraft und Mitarbeiter einer Bank, Sparkasse, Volksbank oder generell als Finanzdienstleister ist es wichtig, die Chancen, aber auch die Risiken zu erkennen, die sich für Familienunternehmerkunden durch die drei aktuellen Herausforderungen ergeben. Sie müssen dann vor allem die entsprechenden Risiken abbauen und die Chancen ergreifen können – sowohl bei Ihren Kunden als auch im eigenen Geschäft. Folgende Strategien erleichtern Ihnen dies beim Unternehmerkunden:
- Setzen Sie sich intensiv mit dem Geschäftsmodell und der Wertschöpfungskette des Unternehmers auseinander.
- Bemühen Sie sich um eine Betriebsbesichtigung, um Ihren Kunden besser verstehen zu lernen.
- Beschäftigen Sie sich noch stärker mit der Lieferanten‑, Abnehmer- und Kundenstruktur des Unternehmens.
Und das gilt mehr denn je für Firmenkundenberater, Marktfolge-Analysten, Private Banker, Versicherungsberater und natürlich auch für alle anderen, die direkt oder indirekt mit Familienunternehmen zu tun haben. Achten Sie auch bei der Beratung bezüglich Nachhaltigkeit, Klimaneutralität und Digitalisierung darauf, dass sich Finanzprodukte aus Sicht der Unternehmer heutzutage gleichen wie ein Ei dem anderen. Schlagen Sie also eine spezifische Strategie zur Umstellung auf nachhaltige Produktion sowie das dazu passende Finanzprodukt vor, dann ergreifen Sie die Chance, sich durch ein effektives Mensch zu Mensch langfristig gut zu positionieren. Mehr agieren statt reagieren lautet die Devise.
Beachten Sie gleichzeitig beim Erstellen von Angeboten die Tatsache, dass für Unternehmer die Finanzierung per Kredit nur dazu dient zu verhindern, dass das Projekt aus dem eigenen Cashflow bezahlt werden muss. Für den Unternehmer bedeutet das: Die Kosten für den Kredit werden kurz- oder langfristig zurückzuzahlen sein. Bei einer zu langfristigen Rückzahlung ergibt sich zum Ende hin eine Situation, in der (gefühlt) nur noch „Altlasten“ abbezahlt werden. Eine zu kurzfristige Rückzahlung sorgt wiederum dafür, dass jeden Monat ein beachtlicher Betrag im Cashflow fehlt, der eigentlich anderweitig besser eingesetzt werden könnte. Als Berater ist es Ihre Aufgabe, hier eine Kombination aus Kreditlaufzeit, Tilgung und Raten zu finden, die beim Unternehmer auf Akzeptanz stößt.
Doch Nachhaltigkeit ist nicht nur für Ihre Kunden, sondern auch für das eigene Institut relevant. Analog zu den Unternehmen werden auch hier vermehrt CO2-neutrale oder nachhaltige Produkte angeboten und Berater zu den entsprechenden Themen weitergebildet. Dabei sind Gesetzesvorschriften wie das Kreditwesengesetz (KWG) ein zentraler Punkt in der Weiterbildung. Ziel sollte ein praxistaugliches Sustainable-Finance-Konzept sein. Also das Einhalten der 17 „Sustainable Development Goals“ der UN sowie der Guidelines aus dem Aktionsplan „Financing Sustainable Growth“ der EU. Beide Regelwerke definieren Kriterien für ein sozial und gleichzeitig ökologisch nachhaltiges Finanzwesen. Dieses bringt die Institute in dieselbe Situation wie die Unternehmer. Im Prinzip, wenn man es positiv sieht, stehen beide, Institut wie Unternehmer, aktuell Seite an Seite. Das sollte eigentlich zusammenschweißen, oder?
Der lange Weg zur klimaneutralen Wirtschaft
Wir sehen also: Nachhaltigkeit, Klimaneutralität und Digitalisierung sind zu Recht drei der dominierenden Themen unserer Zeit, in der in allen Bereichen der Gesellschaft immer deutlicher wird, dass ein neuer Umgang mit dem Planeten nötig wird. Schließlich haben wir nur diesen einen Planeten.
Problematisch wird es erst dann, wenn vonseiten der breiten Öffentlichkeit oder der Politik Sofortmaßnahmen für den Klimaschutz gefordert oder beschlossen werden. Denn diese Akteure glauben häufig, dass sich die Wirtschaft quasi von heute auf morgen ökologisch umbauen lässt. Dementsprechend wird von Unternehmen häufig gefordert, ihr Geschäft innerhalb kürzester Zeit zu revolutionieren, selbst wenn nur eine schrittweise Evolution realistisch machbar ist. Oder man muss sich als Unternehmer nach gesetzlichen Vorgaben richten, für die es keinerlei Erfahrungswerte oder Statistiken gibt. Mit dem Ergebnis, dass man sich bei dem Versuch, den Vorgaben zu entsprechen, in kostspieligem Trial-and-Error verfängt, während vonseiten der Öffentlichkeit gerufen wird: „Das muss schneller und radikaler gehen!“ Hier lässt sich die Öffentlichkeit noch zu sehr von Angst mitreißen – die erfahrungsgemäß kein guter Ratgeber ist. Das merkt man schon daran, dass sich ein großer Teil der öffentlichen Diskussion aktuell primär um Schuldzuweisungen dreht, anstatt konstruktiv Lösungen für die Zukunft zu entwickeln.
„Lösungen für die Zukunft“ sind dann auch das, woran Finanzdienstleister proaktiv und führend mitarbeiten können. Oder, um es mit Dante Alighieri zu sagen: „Der eine wartet, dass die Zeit sich wandelt, der andere packt sie an und handelt.“ Aber vergessen Sie nicht, dass sich unsere Wirtschaft nicht über Nacht verändern lassen wird: Es bedarf einer stetigen Evolution, mit kleinen Schritten jeden Tag, statt einer groß angelegten Revolution, die in vollem Ausmaß nach hinten losgehen könnte. Oder wie es ein Leser der FAZ einmal ausdrückte: „Manche haben keine Ideen und probieren nun einfach mal was aus. Das ist die Basis menschlichen Fortschritts, jeder Forschung, jeder Unternehmensgründung… Trial and Error. Machen, lernen, weitermachen. So sind die Menschen von den Bäumen, zur Landwirtschaft, nach Amerika usw. gekommen.“
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Dirk Wiebusch
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