In zwei maleri­schen Buchten im sonnigen Spanien gab es mal zwei Dörfer – wir nennen Sie einfach mal Villariba und Villabajo, doch sie hätten auch die Namen von Banken, Sparkassen und Volks­banken tragen können. Denn als die bei Touristen so beliebten Küsten­städtchen einst feststellten, dass ihnen die Fische ausgingen, da verhielten sie sich ganz so, wie man es heute von Finanz­in­sti­tuten kennt.

Vom Reichtum des Meeres

Villariba und Villabajo lebten davon, in ihren Buchten Fisch zu fangen und diesen in tausend schmack­haften Varia­tionen den Touristen anzubieten. Denn beide Dörfer hatten das Glück, dass ihnen die Strömung des Meeres die Fische geradezu in die Hände schwemmte. Die Bewohner konnten einfach knöcheltief in der Bucht stehen und die Fische aufsammeln, die ihnen die Gezeiten zuspülten. Deshalb verstand sich auch kaum einer der Dorfbe­wohner auf das Angeln oder Netzfi­schen – denn wozu braucht man eine Angel, wenn man die Fische nur vom Sandstrand aufzu­sammeln braucht?

So einfach war die Arbeit, dass es den „Fischern“ auch gar nicht auffiel, dass die Fische mit der Zeit immer kleiner und immer weniger wurden – erst einer der Dorfäl­testen erkannte dies, da er den Überblick über den gesamten Fang des Jahres hatte. Beim Ältes­t­en­treffen aller Dörfer der Region brachte er das zur Sprache und es wurde nur wissend genickt, denn vielen Ältesten der anderen umlie­genden Dörfer war das auch schon aufge­fallen. Es wurde nun lange disku­tiert, um heraus­zu­finden, woran es denn liegen konnte, dass der Fang der gesamten Umgebung weniger und kleiner geworden war. Als Reden allein nichts brachte, entschloss man sich, den Dorfverband mit einer Analyse der Situation zu beauf­tragen: Schaut euch unsere Buchten an und sagt uns, was los ist!

Nach langer, einge­hender Beobachtung der Situation kam der Dorfverband zu dem Ergebnis, dass die Strömung entlang der Küste nachge­lassen hatte. Die größeren Fische waren nun kräftig genug, um nicht von der Strömung in die Buchten getrieben zu werden, und nur ihre kleineren Artver­wandten wurden noch bis an die Strände gespült. Die Empfehlung des Dorfver­bands war es, auf diese verän­derte Situation zu reagieren, indem man die Speise­karten in den Restau­rants der Dörfer anpasste: Wenn die Fische, die sich noch in die Buchten verirrten, auf den Tellern so jämmerlich aussahen, dass die Touristen sich nicht mehr die Finger danach leckten, dann müsse man eben mehr Paella anbieten – da fallen die kleineren Stücke nicht so auf. Und so kam es, dass die Dörfer der Umgebung für ihre Paella berühmt wurden.

Von überse­henen Lösungsmöglichkeiten

Doch schon bald kam ein neues Problem auf: Da alle Dörfer der Umgebung nun in erster Linie Paella anboten, wurden sie in den Augen der Touristen schnell austauschbar. Um die Gäste in die eigenen Städte zu locken, senkte nun also Dorf um Dorf die Preise, bis beim nächsten Ältes­t­en­treffen einer der Dorfvor­steher das Wort erhobt und sagte, das könne so ja nicht weiter­gehen – am Ende verdiene keines der Dörfer mehr an den Touristen, bei diesen Schleu­der­preisen! Er forderte eine tiefer­ge­hende Studie der Situation. Doch die Dörfer waren nunmehr unter­ein­ander so uneinig, dass man sich auf kein gemein­sames Vorgehen einigen konnte. Und so begannen sie alle, für sich allein an einer Lösung des Problems zu arbeiten.

Villariba baut auf der bestehenden Analyse auf

In der sonnigen Stadt Villariba einigte man sich schnell darauf, dass der Dorfverband recht hatte: Die Strömung hatte nachge­lassen und deshalb kamen nur noch die kleinen, schwachen Fische in der Bucht an. Viel wichtiger war es den Bewohnern von Villariba nun, ohne Umschweife eine Lösung des Problems zu finden. Denn die kleinen Fische in der Bucht reichten zwar noch gerade so aus, um die Bewohner und Touristen zu versorgen. Doch wenn die großen Fische nicht mehr in die Bucht getrieben wurden, dann bedeutete das ja nur, dass sie weiter draußen im Meer herum­schwammen. Die großen Fische waren ja weiterhin da. Doch durch die nachlas­sende Strömung konnten sie sich dieser mit eigener Kraft wider­setzen. Es musste also eine umfang­reiche Neuori­en­tierung geschehen – und zwar so bald wie möglich!

Villabajo stellt tiefer­ge­hende Forschungen an

Im benach­barten Villabajo kam man zu einer anderen Erkenntnis: Zunächst müsse man die Analyse des Dorfver­bands noch mal aufwendig überprüfen und alle relevanten Parameter noch detail­lierter unter die Lupe nehmen. Und so machten sich die Bewohner von Villabajo daran, Daten zu sammeln: Sie beauf­tragten einen teuren externen Strömungs­experten damit, die These von der Verän­derung der örtlichen Strömung genau zu analy­sieren. Sie wogen jeden gefan­genen Fisch einzeln, um genau zu erfahren, wie viel kleiner der Fang mittler­weile geworden war. Und sie proto­kol­lierten exakt, zu welcher Tageszeit in welchem Segment der Bucht wie viele Fische gefangen wurden. Nach vielen Monaten aufwen­diger und kostspie­liger Analysen kamen sie zu dem Schluss, dass sich die Strömung verändert hatte und nur noch die kleinen Fische in die Bucht getrieben wurden – und sie standen erneut ganz am Anfang.

Wer zuletzt kommt, den bestraft das Leben

Und so kam es, dass in Villariba die „echte“ Fischerei Einzug hielt: Man holte sich Experten für Bootsbau und Materi­al­kunde ins Dorf und begann damit, Bäume zu fällen und Boote zu bauen, um auf das weite Meer hinaus­zu­fahren und dort den wirklich großen Fischen hinter­her­zu­jagen. Denn auch wenn das Meer unbere­chenbar und das Sammeln der Fische in der Bucht deutlich entspannter war, war doch der Fang auf offener See so viel größer – und so viel attrak­tiver wurde Villariba für die Touristen.

Und während man in Villariba schon zur See fuhr, um den großen Fang zu machen, wurden in Villabajo noch Trainer engagiert, um den Fang mit engma­schi­geren Netzen in der Bucht zu üben.

Vielleicht wird Villabajo eines Tages auch einsehen, dass man sich nicht mehr auf die Strömung in die Bucht verlassen kann und die wirklich großen Fänge jetzt auf dem offenen Meer zu finden sind. Doch dann werden sie dort von den mittler­weile erfah­re­neren Fischern aus Villariba empfangen werden. Und die haben nicht erst Monate mit Analysen verbracht (die letztlich zum selben Ergebnis geführt haben) – sondern sie haben bereits aktiv Erfahrung im Hochsee­fischfang gemacht.

Und die Moral von der Geschicht…

Aus über 3.000 Coachings und unzäh­ligen Gesprächen mit Vorständen von Banken, Sparkassen und Volks­banken weiß ich, dass einige „Dörfer“ nie ernsthaft Not haben werden. Denn im Gegensatz zu unseren metapho­ri­schen Küsten­dörfern Villariba und Villabajo sind diese Finanz­dienst­leister oft zu groß und zudem unkaputtbar – und Fische wird es in der Bucht auch immer geben.

Doch obwohl das Argument natürlich stich­haltig ist, stellt sich meines Erachtens für Finanz­dienst­leister einfach die Frage: Geben wir uns mit den kleinen Fischen in der Bucht zufrieden? Oder wäre es nicht den vergleichs­weise geringen Mehraufwand wert, auch langsam anzufangen, Boote zu bauen, um wieder an die richtig dicken Fische heran­zu­kommen? Und schließlich muss man auch sagen: Die größten Finanz­dienst­leister sind vielleicht unkaputtbar, aber trifft das auch auf die kleinen Institute zu? Oder sind diese nicht vielmehr jetzt im Handlungs­zwang, um nicht wie der berühmte Dodo zu enden?

Ein Exkurs vom Fisch zum Vogel: Der Dodo war ein auf der Insel Mauritius behei­ma­teter flugun­fä­higer Vogel, der Histo­rikern zufolge vermutlich im 17. Jahrhundert ausstarb. Grund dafür war, dass der Dodo auf Mauritius keine natür­lichen Fress­feinde und damit auch kein antrai­niertes Flucht­ver­halten (fight-or-flight response) hatte. Sein unbeschwerter Lebensstil wurde ihm unver­schuldet zum Verhängnis, als die ersten europäi­schen Kolonia­listen ihre Haus- und Nutztiere sowie einge­schleppte Schäd­linge auf die Insel brachten – ihnen waren der Dodo und seine Brutplätze nun schutzlos ausgeliefert.

Handlungs­emp­fehlung: In welchem Dorf möchten Sie leben?

Ich hoffe, Sie haben ein wenig Gefallen an dieser kleinen Allegorie gefunden und erkannt, was ich damit vermitteln möchte: In den Finanz­in­sti­tuten der Zukunft ist proak­tives Handeln gefragt, denn die Unter­neh­mer­kunden laufen einem heute nicht mehr einfach so zu wie noch vor einigen Jahrzehnten. Behalten Sie also immer das große Ganze im Blick und gehen Sie gemäß dem Strate­giehaus vor:

Bedenken Sie, dass die Allegorie aus diesem Artikel nicht nur stell­ver­tretend für Finanz­dienst­leister stehen kann, sondern auch für Ihre Familien­unternehmen selbst – diese stehen aktuell vor denselben Heraus­for­de­rungen wie Sie. Und auch bei diesen gibt es pragma­tische Villa­ribas, die sich sofort daran machen, die Heraus­for­de­rungen des Marktes zu meistern, und es gibt Villa­bajos, die zunächst langfristig herum­ana­ly­sieren, ohne dabei am Ende einen echten Infor­ma­ti­ons­gewinn zu haben. 

Welches Unter­nehmen hier eher in welche Metapher passt, das ist abhängig von der Typologie des jewei­ligen Unter­nehmers – wie im Podcast zu Unter­neh­mer­ty­po­logien besprochen. Für Sie heißt das, dass Sie anhand der Typologien das Verhalten des Unter­nehmers in einem gewissen Rahmen voraus­ahnen können. Und es bedeutet, dass sich die Heraus­for­de­rungen unserer Zeit hervor­ragend als Gesprächs­ansatz und ‑einstieg eignen, da der Unter­nehmer genau weiß, wovon Sie da sprechen.

Seien Sie sich auch der drei typischen Kaufhal­tungen von Unter­nehmern bewusst, die sich nahezu täglich ändern können:

  • Dringender Handlungs­druck, also sofor­tiges Handeln 
  • Einsicht und Bewusstsein, dass Handlungs­bedarf besteht – aber es wird noch abgewogen und gewartet 
  • Abwehr­haltung, da aufgrund aktuellen Erfolgs kein Anlass zum Handeln zu bestehen scheint

Bedenken Sie, dass Analysen ein wichtiges Mittel zur Infor­ma­ti­ons­ge­winnung sind – aber sie verleiten auch leicht zur Untätigkeit. Analy­sieren Sie also immer nur so viel wie nötig und nicht so viel wie möglich. Das habe ich bereits in einigen Artikels sowie Podcasts erläutert. Wichtig ist immer: „mit Augenmaß“. Verwenden Sie Ihre Zeit und Ressourcen lieber darauf, nach einer fokus­sierten, wirklich nutzbrin­genden Analyse direkt pragma­tisch zu handeln, und zwar wiederum dort, wo es nachhaltig etwas nützt. Also im Sinne der Allegorie: Problem der Strömung identi­fi­zieren und dann Boote bauen!

Damit Sie sich mit Ihren neu gebauten Booten auch aufs offene Meer hinaus­trauen können, empfehle ich Ihnen, sich auch mal hier im Versteher-Magazin den Artikel zu den 11 Power-Fragen und ‑Sätzen anzuschauen, mit denen Sie bei Famili­en­un­ter­nehmern punkten können. Ansonsten bleibt mir nur noch, Ihnen einen guten Fang zu wünschen. Und schauen Sie gerne mal wieder im Versteher-Magazin nach weiteren Infor­ma­tionen und Handlungs­emp­feh­lungen für Sie als Finanz­dienst­leister. In Zukunft dann auch ohne nautische Metaphorik – zumindest meistens.

Kontakt

Dirk Wiebusch
info@ifuf.de

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