Die Stärken und Schwächen eines Systems werden meist erst dann offen­sichtlich, wenn es seine erste Krise meistern muss. Das gilt für das Brand­schutz­konzept im Eigenheim genauso wie für umfas­sende Systeme wie die (Welt-)Wirtschaft, das Gesund­heits- und Sozial­wesen oder politische Systeme. Auch die Covid-Pandemie hat in allen Bereichen die Fehler der vergan­genen 10 bis 15 Jahre schonungslos offen­gelegt – den Fokus auf kurzfristige Gewinne, der unser Wirtschafts­system geprägt hat, den drasti­schen Mangel an Pflege­per­sonal im öffent­lichen Gesund­heits­system und vieles mehr. Doch es gehört leider auch zum Wesen des Menschen, nach einer Krise wieder genauso weiter­machen zu wollen wie zuvor. In diesem Artikel möchte ich näher beleuchten, warum diese Einstellung, die aktuell viele Familien­unternehmer teilen, in naher Zukunft ein fataler Fehler sein kann.

Business as usual nach der Krise?

Vor einem knappen Jahr habe ich im Angesicht der sich anbah­nenden Corona-Krise noch die Wandlungs­fä­higkeit und den Willen zu cleveren Lösungs­an­sätzen aufseiten der Familien­unternehmer und Finanz­dienst­leister gelobt. Und von dieser Einstellung rücke ich an dieser Stelle auch nicht ab. Gemeinsam wurde in einer unvor­her­ge­se­henen Notsi­tuation Großes geleistet, um sicher­zu­stellen, dass die deutsche Wirtschafts­leistung dort bleibt, wo sie heute noch ist: ganz oben. 2021 sehen wir bereits wieder eine starke Nachfrage nach allen Gütern in den großen Wirtschafts­re­gionen und die Krise hatte nur geringe Auswir­kungen auf die Gesamt-Wirtschafts­kraft Deutsch­lands. Wohlwissend, dass natürlich in den letzten Monaten diverse Branchen enorm getroffen wurden.

Doch leider wurde die von mir gelobte Wandlungs­fä­higkeit in vielen Unter­nehmen und Finanz­in­sti­tuten lediglich als Instrument zur Überbrü­ckung der Krise genutzt. Manche kleinere Neuerungen (wie zum Beispiel die Möglichkeit zum Homeoffice) werden in vielen Betrieben bestehen bleiben. Doch leider geht der Wille, langfristige einschnei­dende Änderungen etwa an risiko­träch­tigen Geschäfts­mo­dellen vorzu­nehmen, wieder deutlich zurück. Im Institut Für Unternehmer­Familien (IFUF) sehen wir in den letzten Monaten immer wieder, dass Unter­nehmer und Finanz­dienst­leister gleicher­maßen am liebsten einfach zum Status quo vor der Pandemie zurück­kehren möchten. Anstatt also die von der Pandemie aufge­zeigten Schwächen des Systems als Anlass zu nehmen, das eigene Geschäfts­modell, die Wertschöp­fungs­ketten etc. zu hinter­fragen und gegebe­nen­falls anzupassen, heißt es: Alles wieder wie vorher!

Wenn wir vom IFUF aktuell Unter­nehmer, aber auch Vorstände in der Finanz­in­dustrie fragen, warum sie diese Strategie verfolgen, dann bekommen wir eine einfache Antwort: „Warum sollten wir langfristige Änderungen vornehmen? Aktuell stehen keine größeren Insol­venzen an, also geht es doch allen gut.“ Was die Unter­nehmer dabei übersehen, ist, dass sie zwar durch Einbringen von Erspar­nissen und Reserven aus der privaten Alters­vor­sorge das eigene Unter­nehmen über den Berg retten konnten. Doch das bedeutet in vielen Fällen auch, dass für 2022 nichts mehr übrig sein wird, um wieder voll durch­zu­starten. Gerade in Bezug auf Insol­venzen befinden wir uns aktuell in einer Phase trüge­ri­scher Ruhe:

  • Die ersten Unter­nehmen sind 2021 insolvent gegangen – typischer­weise, weil es ihnen schon vor der Krise nicht gut ging (z.B. Vapiano). 
  • Die nächsten Insol­venzen werden kommen, nachdem seit ein paar Tagen die Insol­venz­an­trags­pflicht wieder in Kraft getreten ist – dabei geht es vor allem um Firmen, die eigentlich schon längst Insolvenz hätten anmelden müssen (teilweise schon seit 2020). 
  • In der darauf­fol­genden Welle wird es dieje­nigen treffen, die glauben, nach der Pandemie wieder zum alten Status quo zurück­kehren zu können. Diese werden 2022 völlig unvor­be­reitet von einem drastisch verän­derten Markt überrascht werden. 

Der Unwille, während der Pandemie drastische, aber notwendige Änderungen am Unter­nehmen vorzu­nehmen, und die gemüt­liche Rückkehr zum alten Status quo werden sich also noch in naher Zukunft rächen. Für die Finanz­in­stitute bedeutet das: Wir haben es mit einer trüge­ri­schen Ruhe zu tun, die jeden Moment zu Ende sein könnte.

Aus diesem Grund möchte ich einige Themen­be­reiche aufzeigen, bei denen das aktuelle Nichtstun und der Unwille zu langfris­tigen – mitunter längst fälligen – Anpas­sungen uns bald schon in Bedrängnis bringen könnten.

Chancen der Digita­li­sierung verpasst

Wenn das Thema Digita­li­sierung angesprochen wird, dann berichten mir Familien­unternehmer wie auch Finanz­dienst­leister häufig überschwänglich, dass der Betrieb nun vollständig auf „digital“ umgestiegen sei. Auf Nachfrage stellt sich dann meist heraus, dass bestimmte Mitar­beiter nun Arbeits­ta­blets haben und wissen, wie man Video­kon­fe­renzen startet. Oder dass man mittler­weile aktuelle TV-Werbe­spots auf Instagram, Twitter, Xing, LinkedIn etc. hochlädt. Das ist zwar ein Anfang, aber längst nicht das, was man unter der Digita­li­sierung eines Unter­nehmens versteht. Und eben auch keine Social-Media-Strategie ist. Spätestens seit viele Betriebe im Zuge der Pandemie ihre Mitar­beiter ins Homeoffice geschickt haben und dann feststellen mussten, dass die eigenen Server durch die plötzlich so hohe Zahl an Nutzern in die Knie gezwungen wurden, sollte klar sein: Hier gibt es noch deutlichen Verbes­se­rungs­bedarf. Wer das jetzt nicht erkennt, hat aus der Krise nichts gelernt. By the way: Leider scheint gemeinhin sowohl in den Medien als auch in der Politik – und leider auch in vielen Unter­nehmen – auch nach über einem Jahr der Begriff „Homeoffice“ mit „mobilem Arbeiten von zu Hause aus“ verwechselt zu werden. 

Mit Blick auf die Finanz­dienst­leister stelle ich wiederum fest, dass Digita­li­sierung ernster genommen wird – aber manchmal falsche Schlüsse gezogen werden. Wer beispiels­weise glaubt, es sei der richtige Weg, Geschäfts­stellen zu schließen, da man viele Dienst­leis­tungen dank der Digita­li­sierung auch online anbieten könne, der vergisst schnell, dass die verrin­gerten Kosten für die Geschäfts­stellen durch gestiegene IT-Kosten teilweise ausge­glichen werden. Und die digitale Akquise keines­falls deutlich einfacher als die analoge ist. Der Aufwand ist mindestens gleich. Oft kommen sogar noch zusätz­liche Kosten hinzu, denn es bedarf einer ausge­klü­gelten digitalen Customer Journey, um die analoge Beratung adäquat abzubilden. Institute, die auf digital setzen, müssen sich damit ausein­an­der­setzen, wie sie Menschen erreichen können, die noch nicht wissen, was sie beim Institut bekommen können – oder sie wissen genau, was sie möchten, haben aber keine Ahnung, dass das Institut dies anbietet. Zudem besteht weiterhin die Gefahr, die aktuellen Kunden zu ent-emotio­na­li­sieren und zu ent-loyali­sieren, wenn sie keinen mensch­lichen Berater­kontakt mehr haben (sollen). Und damit wird es umso wichtiger, (poten­zielle) Kunden mit auf die Reise zu nehmen und die gleich wirkenden Produkte der Branche zu emotio­na­li­sieren (was bisher bei Bauspar­ver­trägen z.B. ja der Berater gemacht hat: „Sie können sich mit dem Bauspar­vertrag den Traum vom Eigenheim erfüllen!“).

Dazu kommt die bereits in anderen Artikeln im Versteher-Magazin angespro­chene Notwen­digkeit, auch bei starker Digita­li­sierung noch mit mensch­lichen Augen über die Daten zu schauen. Denn Algorithmen können vielleicht Konto­um­sätze automa­ti­siert durch­suchen und den Beratern automa­ti­sierte Hinweise zum Kunden geben. Doch wenn z.B. die Konto­um­sätze der Versi­che­rungs­ver­träge nur noch in Form von Zahlen und Codes existieren, dann fällt es der EDV oder dem Berater schwer, zu erkennen, um welche Art von Trans­aktion es sich handelt, und Schlüsse bezüglich der aktuellen Lebens­um­stände des Kunden zu ziehen. Vor 20 Jahren wäre es noch leicht gewesen, an den Umsätzen zu erkennen, dass zum Beispiel eine Hausrat­ver­si­cherung abgeschlossen wurde (und bei wem) – daraus konnte der Berater dann erkennen, mit welchen Sorgen und Bedürf­nissen der Kunde aktuell zu tun hat.

Keine größeren Verän­de­rungen in der Büroflächen-Nutzung

Als im Zuge der Pandemie die Betriebe das Homeoffice für sich entdeckten, war zunächst allen klar: Bald werden massen­weise Büroflächen frei sein! Jetzt, nach 14 Monaten Krise, sehen wir: Das war eine Fehlein­schätzung. Selbst­ver­ständlich sind einige Büroflächen frei geworden, jedoch nicht in dem prophe­zeiten Ausmaß. Die Gründe dafür sind leicht erkannt, wenn wir einfach mal einen mittel­stän­di­schen Betrieb als Beispiel heran­ziehen: Warum sollte ein solcher Unter­nehmer im großen Stil und langfristig auf Homeoffice umsteigen, wenn ihn jeder Homeoffice-Platz im Schnitt 3.000 bis 5.000 Euro kostet? Noch dazu sind solche mittel­stän­di­schen Betriebe oft in kleineren Städten angesiedelt, in denen die Mitar­beiter ohnehin keine langen Wege zur Arbeit haben. Und vor allem: Was würden sie mit den frei stehenden Büroflächen anfangen? In Metro­polen wie Frankfurt lassen sich diese Flächen sicher weiter­ver­mieten, aber was, wenn die Büros in einer kleinen Gemeinde wie in meinem Heimatort Sprock­hövel liegen?

Viele Unter­nehmer haben für sich entschieden, dass sie auf die Arbeit im Betrieb langfristig nicht verzichten möchten oder können und dass Homeoffice nur als Option bleiben wird. Und genau deshalb stehen zurzeit keine Massen an Büroflächen frei und werden es wohl auch in nächster Zukunft nicht tun.

Keine Anregung für den Wohnimmobilien-Markt

Viele Familien­unternehmer stecken insbe­sondere ihr privates Vermögen in den Bau und Verkauf oder die Vermietung von Wohnim­mo­bilien. Das gilt schon immer als besonders sichere und lukrative Anlage. Daran hat die Pandemie nichts geändert. Die Anzahl der Einwohner in Deutschland hat sich in den letzten 15 Monaten nicht signi­fikant verändert. Somit hat sich auf dem Wohnungs­markt nur wenig getan, der Bedarf an Wohnfläche bleibt hoch. In naher Zukunft wird sich dementspre­chend auch nur die Art des Bedarfs ändern: Wohnungen mit guter Internet-Anbindung durch Glasfaser beispiels­weise. Aber es wird weder weniger noch mehr Bedarf geben. Die Art des Bedarfs wird sich ändern. Oder in Kombi­nation mit echtem Homeoffice die räumliche Entfernung zum Arbeit­geber. Man muss nicht mehr unbedingt in der Unter­neh­mensnähe wohnen.

Kaum Änderungen im Bereich Geschäfts­mo­delle und Wertschöpfungsketten

Der durch Corona verän­derte Markt macht es für viele Betriebe nötig, sich ernst­hafte Gedanken über das eigene Geschäfts­modell zu machen. Denn vielfach hat die Pandemie lediglich Probleme aufge­zeigt, die schon längst bestehen. Wenn wir vom IFUF aktuell mit Unter­nehmern sprechen, merken wir jedoch verstärkt: In den meisten Betrieben bleiben Geschäfts­modell und Wertschöp­fungs­kette weitest­gehend bestehen. Und selbst bei denen, die Änderungen vornehmen, sind das meist wenig disruptive Anpas­sungen. Metapho­risch ausge­drückt: Wer vor der Krise Äpfel verkaufte, verkauft höchst­wahr­scheinlich weiterhin Äpfel. Nur ein geringer Anteil hat damit begonnen, auch Apfelmus zu verkaufen, und die aller­we­nigsten sind auf Birnen umgestiegen oder haben ihr Geschäfts­modell um Birnen erweitert.

Das liegt auch daran, dass sich Geschäfts­mo­delle und Wertschöp­fungs­ketten nicht in kürzester Zeit ändern lassen – das habe ich bereits im Artikel „Nachhal­tigkeit, Klima­neu­tra­lität und Digita­li­sierung in Familien­unternehmen und Finanz­in­sti­tuten: geht! Aber nicht über Nacht!“ demons­triert. Auch Digita­li­sie­rungs- und Techno­lo­gi­sie­rungs­be­stre­bungen gibt es zwar, diese gehen jedoch eher langsam voran und so mancher Unter­nehmer hat noch keine rechte Idee, wo sich im Unter­nehmen eine Digita­li­sierung überhaupt lohnt. Ironi­scher­weise ist das ein bisschen wie mit dem Corona-Impfstoff: Alle gingen davon aus, dass mit der erfolg­reichen Entwicklung des Impfstoffs das Problem von heute auf morgen beseitigt sein würde. Doch dann musste er erst mal produ­ziert werden, es war nicht genug für alle da, Impfrei­hen­folgen mussten organi­siert werden und so weiter und so fort. Zudem musste ja Milli­arden zusätz­licher Spritzen produ­ziert werden und, und, und …

Was mir ebenfalls auffällt, ist, dass viele Unter­nehmer Homeoffice und mobiles Arbeiten immer noch gleich­setzen, obwohl hier diverse wichtige Unter­schiede bestehen (im Arbeits­schutz, im Daten­schutz, Leistung des Internets zu Hause ist anders als in der Firma – und wer bezahlt den Anschluss, wenn privat und beruflich genutzt, etc.). Zumindest an dieser Stelle ist die Politik jedoch mit der Wirtschaft gleichauf: Auch im Bundestag kennt man die Unter­scheidung nicht – oder man ignoriert sie einfach.

Änderungen im Bereich Kundenkontakte

Nach den Ausgangs- und Kontakt­be­schrän­kungen 2020 und 2021 wird es auch in Zukunft heißen: Finanz­in­stitute tun gut daran, mehrere Kanäle für den Kunden­kontakt bereit­zu­halten: Gespräch vor Ort, telefo­nisch, im Video-Chat etc. Und auch weiterhin werden es die Kunden sein, die entscheiden, welchen Kanal sie bevor­zugen. Es ist also davon auszu­gehen, dass die meisten Familien­unternehmer Berater aus der näheren Umgebung eher zu einem Gespräch vor Ort einladen, denn das ist nicht nur persön­licher, sondern man erspart sich auch das Einwählen in die diversen Tools zur Online-Kommunikation.

Auf Entfernung wird jedoch die Videobe­ratung eine spannende Alter­native werden, auf die auch die Unter­nehmer gerne zurück­greifen werden. Kein Wunder, haben sie doch in den vergan­genen Monaten „gezwun­ge­ner­maßen“ gelernt, welche Vorteile solche Gespräche haben können. Um noch mal den Managing Director Wealth Management aus dem Versteher-Magazin zum Thema Videobe­ratung zu Wort kommen zu lassen: „Wenn ich im Oktober 2019 gefragt worden wäre, ob im WM Kunden- oder sogar Akquise-Gespräche komplett per Videobe­ratung geführt werden können, hätte ich dieses klar verneint. Aber seit März 2020, als wir in unserem Haus reibungslos auf digitales Arbeiten umgestellt haben, empfinde ich die Videobe­ratung als sehr hilfreich, effizient und vor allem ist sie auch erfolgreich.“

In Anbetracht dieser Tatsache wird es auch für die Institute wesentlich wichtiger werden, sich mit der Optimierung dieser Video-Kunden­kon­takte zu befassen: Kleidung, Licht, Ton, Inhalte und techni­sches Beherr­schen der entspre­chenden Programme – all das muss auf ein Niveau gehoben werden, das Ihrem Institut angemessen ist. Nehmen Sie sich ein Beispiel an dem Berater aus meinem Artikel von letzter Woche und Sie haben einen guten Eindruck davon, mit welchen einfachen Mitteln sich die Video­kon­ferenz von der Notlösung auf ein profes­sio­nelles Level heben lässt.

Änderungen spezi­fisch nach Gewerbe

Infor­mieren Sie sich frühzeitig darüber, welche Trends sich bereits jetzt für dieje­nigen Branchen abzeichnen, in denen Ihre wichtigsten Kunden tätig sind. Denn die meisten davon wurden eindeutig von der Pandemie gezeichnet, ob im negativen oder positiven Sinn.

Nehmen wir als Beispiel die Gastro­nomie-Branche, mit Restau­rants, Hotels und vielem mehr. Hier gab es aufseiten einiger Unter­nehmen ein Umdenken während der Corona-Zeit: Viele Restau­rants boten plötzlich Mahlzeiten zum Abholen an. Einige gingen sogar ganz neue Wege, beispiels­weise mit eigenen Video­ka­nälen für Kochtipps. Die Kosten für diese Änderungen waren zum Teil wenig bedeutsam – einen Youtube-Kanal für den Chefkoch kann heutzutage jeder aufbauen, es muss ja nicht immer eine Marke­ting­firma mit von der Partie sein. Dennoch blickten viele Gastro-Unter­nehmen nicht allzu weit über den eigenen Tellerrand, nahmen kaum Umbauten vor, änderten die Karte nicht etc. Für die Nach-Corona-Zeit planen solche Betriebe aktuell meist: Alles wie vorher! Und das kann immer noch nach hinten losgehen.

Eine Branche, die erstaunlich gut durch die Krise gekommen ist, ist die Handwer­ker­branche. Die Betriebe waren 2020 und bislang auch 2021 weitgehend ausge­bucht, denn wenn irgendwo eine Arbeit, ein Umbau oder eine Renovierung geplant war, dann wurde diese Zeit dazu genutzt. So haben beispiels­weise viele Betriebe die Homeoffice-Zeit genutzt, um die Werkhallen und Bürokom­plexe zu sanieren oder umzubauen. Für Handwerker war dies die Zeit des großen Geldregens. Doch jetzt, wo so langsam jeder Garten auf Vordermann gebracht und jedes Haus renoviert ist, muss sich die Branche fragen: Wird da 2022 noch viel kommen? Oder wird der „Klopapier-Effekt“ eintreten und die Branche wird erst mal eine Auftrags­dürre spüren?

Auch das Verhältnis zwischen Verbraucher und Einzel­handel hat durch Corona einen Knick erhalten: Der Großteil der über 40 Millionen Arbeit­nehmer in Deutschland kommt relativ gut durch die Krise. Das soll nicht die Tatsache verschleiern, dass gerade im Niedrig­lohn­sektor viele Menschen begründete Existenz­ängste durch­stehen müssen, aber es zeigt der Wirtschaft vor allem eines: Die meisten Arbeit­nehmer in Deutschland konnten im vergan­genen Jahr nicht verreisen, nicht essen gehen, es gab kaum Bedarf an modischer Kleidung, da ohnehin niemand vor die Tür ging, etc. Wer also während der Pandemie zum Beispiel im Homeoffice weiter­ar­beiten konnte, wird Ende 2021 voraus­sichtlich mehr auf dem Konto haben als Ende 2019. Dieses Geld und der aufge­staute Kaufrausch werden sich 2022 entladen, doch wer 2020 und 2021 keinen neuen Pullover gekauft hat, der wird 2022 nicht plötzlich drei davon kaufen. Zumindest nicht, wenn die Branche, wie aktuell, kaum Werbung macht, um das Budget zu schonen. So werden keine Begehr­lich­keiten geweckt und der Kaufrausch 2022 könnte deutlich geringer ausfallen als erhofft.

Änderungen in der Weiter- und Fortbildungskultur

Als Coach sowie als Gründer und Geschäfts­führer des Instituts Für Unternehmer­Familien (IFUF) weiß ich aus eigener Erfahrung: Im Bereich Seminare, Fortbil­dungen und sogar Messen und Tagungen hat die Krise alles auf den Kopf gestellt, denn hier wurde schnell von einem analogen Modell auf rein digitale Angebote umgestellt. In Zukunft wird voraus­sichtlich das jeweilige Thema bestimmen, in welcher Form derartige Veran­stal­tungen statt­finden. Denkbar sind außerdem Hybrid-Angebote (z.B. digitale Vermittlung von Fachwissen an einem Tag und Vor-Ort-Realfall-Coachings an einem darauf­fol­genden Tag) oder Blended-Learning-Konzepte.

Ich gehe davon aus, dass insbe­sondere Messen und Tagungen noch eher analog statt­finden werden, da sie Menschen mit gleichen Inter­es­sen­ge­bieten „endlich wieder“ die Möglichkeit bieten, sich mit Gleich­ge­sinnten direkt auszu­tau­schen. Bei allen anderen Veran­stal­tungen wird man sich in Zukunft aussuchen müssen, ob man lieber analog oder digital teilnimmt, zum Beispiel auf Basis von Anfahrts- oder sogar Übernachtungskosten.

Die Ruhe vor dem Sturm?

Ich hoffe, dass Ihnen nach diesem Blick auf die zum Teil verpassten Chancen der Krise und auf die Heraus­for­de­rungen der Zeit direkt danach aufge­fallen ist: Sich jetzt in trüge­ri­scher Ruhe zu wähnen und zu glauben, nach der Krise könne man einfach so weiter­machen wie bisher – das wäre ein Fehler! Sprechen Sie mit Ihren Kunden so bald wie möglich darüber, wie sie sich an den geänderten Markt nach Corona anpassen werden. Und wann sie damit beginnen werden. Denn viele Unter­nehmer behalten sich drastische Änderungen am Geschäfts­modell, an den Wertschöp­fungs­ketten oder in anderen Teilbe­reichen des Geschäfts vor, wenn es mal ganz eng wird. Und dabei übersehen sie, wie lang die Umset­zungs­zeit­räume sind. Sprechen Sie zum Beispiel so bald wie möglich über den Aufbau einer (Potenzial-)Kunden-Community, die zunächst langfristig aufgebaut und beschäftigt werden muss.

Haben Ihre Kunden diese wichtigen Arbeits­felder in den letzten anderthalb Jahren nicht angefasst und während der Krise beispiels­weise auch keine ernst­haften Änderungen am Geschäfts­modell zumindest ernsthaft geprüft, dann rate ich Ihnen, mit diesen Kunden vorsichtig umzugehen. Aktuell mag so vieles noch sehr positiv aussehen, doch 2022 könnte noch viele üble Überra­schungen bergen. Und wer dann nur nach dem Motto handelt „weiter­machen wie bisher“, der geht ein echtes Risiko ein.

Behalten Sie auch im Blick, wie das Geschäft für Banken, Sparkassen, Volks­banken und andere Finanz­dienst­leister weiter­gehen wird:

  • Firmen­kun­den­ge­schäft: Hier fallen die Margen weg (teilweise 200 bis 300 Basis­punkte weniger als vor 10 Jahren) und das wird auch in Zukunft nicht abreißen. Von 10 Millionen Kredit­vo­lumen sind dann schnell mal 200.000 bis 300.000 Euro pro Jahr weg. Und auch auf Immobilien darf man sich in Zukunft nicht zu stark verlassen, sonst steht man blitz­schnell nackt in der Brandung, falls dieses Geschäft plötzlich stockt oder ganz wegbricht. 
  • Privat­kun­den­ge­schäft: Wenn es gut läuft, wird man es hier in der Zukunft auf eine „schwarze Null“ bringen oder das Geschäft wird sogar leicht positiv werden. Wichtig ist hier vor allem, die Kunden nicht zu stark zu entemo­tio­na­li­sieren. Das gilt insbe­sondere mit Blick auf die verstärkte Nutzung von digitalen Kanälen beim Kundenkontakt. 
  • Depot A: Studien besagen, dass das Depot A ab 2023/2024 nahezu ertraglos sein wird. Das hat vor allem mit der Zinsent­wicklung zu tun: 

Wenn aktuell nicht gut gesät wird und weiterhin nur auf die JETZT-Erträge geschaut wird, bedeutet das ab dem Jahr 2023/2024 ca. 3 bis 5 Millionen Euro weniger Erträge pro Jahr pro 1 Milliarde Euro Bilanz­summe. Das lässt kaum Platz für Insol­venzen und Kredit­aus­fälle. Dazu kommen Spannungs­felder in den Insti­tuten, wenn beispiels­weise der Vorstand die nächsten 3 bis 5 Jahre plant, die Führungs­kräfte vor allem das laufende Jahr beachten und die Berater vor allem einen Blick auf den aktuellen Monats‑, Wochen- oder Tages­stand haben. Was übrigens bei allen dreien im Anfor­de­rungs­profil genau so richtig ist. Da die Heraus­for­de­rungen der Nach-Corona-Zukunft langfristig sein werden, sollte hier auf allen Ebenen noch stärker auf den Kunden, die Geschäfts­mo­delle und Wertschöp­fungs­ketten geachtet werden.

Denken Sie daran: 2023 ist nur noch knapp 350 Arbeitstage entfernt – es reicht nicht mehr, nur im Hier und Jetzt zu arbeiten. Nutzen Sie die noch verblei­bende Zeit, um mit Ihren Kunden zu sprechen. Holen Sie Tipps zur Weiter­bildung ein, um auf die Nach-Corona-Zeit vorbe­reitet zu sein, und führen Sie beispiels­weise insti­tuts­eigene Branchen­ana­lysen durch, um auf die Risiken der Zukunft vorbe­reitet zu sein. Ich hoffe, dass Ihnen die exklu­siven Einblicke in die Welt der Familien­unternehmer im Versteher-Magazin sowie in meinen Podcasts dabei behilflich sein können. Doch den wichtigsten Tipp gebe ich Ihnen zum Abschluss: Legen Sie nicht erst morgen los, sondern jetzt gleich! Die Zukunft wartet nicht.

Kontakt

Dirk Wiebusch
info@ifuf.de

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