Letzte Woche habe ich erläutert, wie sich die Rolle von Finanzdienstleistern sowie die Erwartungen und Anforderungen der Unternehmer seit 2007 gewandelt haben. Zu sagen, dass diese Veränderungen radikal waren, wäre beinahe untertrieben. Doch wie gestaltet sich der Status quo heute, 12 Jahre nach der großen Krise? Welchen Herausforderungen müssen sich die Institute heute stellen und wo sind sie vielleicht immer noch nicht auf der Höhe der Zeit angelangt? Und zu guter Letzt: Wie überstehen Finanzdienstleister nicht nur das Heute, sondern stellen sich auch für die Zukunft solide auf?
Von der Digitalisierung kalt erwischt
Aktuell befinden sich viele Institute in einer Phase der Umstrukturierung: Um in einer Zeit der gesetzlichen Regularien und des wachsenden Konkurrenzdrucks noch bestehen zu können, müssen sie sich rigoros neu organisieren, um den stetig sinkenden Margen erhöhte Effizienz entgegenstellen zu können. Doch in den meisten Instituten wurden bereits seit einem geschlagenen Jahrzehnt Kosten reduziert und immer neue, effizientere Prozesse etabliert. Heute ist an vielen Stellen das Sachkosteneinspar-Limit erreicht und eine weitere Optimierung ist oft nur noch auf der Personalkostenseite möglich. Nämlich immer dann, wenn neue (vermeintlich bessere) Prozesse Menschen ersetzen können – was sie gerade in komplexen Bereichen jedoch aktuell nicht können.
Ein großer Bestandteil der aktuellen Lage ist die mittlerweile nicht mehr aus dem Finanz- und Wirtschaftsbereich wegzudenkende Digitalisierung: Sie hat nicht nur neue Player auf den Markt gebracht, sondern den Banken auch Kompetenzen weggenommen. Denn warum in die Bank gehen und sich beraten lassen, wenn digitale Tools eine Welt versprechen, in der sich jeder Unternehmer selbstständig um Vermögensmanagement und Geldanlagen kümmern kann – und dabei sogar noch Zeit und Geld spart?
Und sowohl auf der Seite der Firmenkundenberatung, mit all ihren Spezialistenbereichen wie Zahlungsverkehr, Auslandsgeschäft und Versicherungen (Sachkomposite etc.), als auch im Private-Banking-Bereich fragen wir uns: Wann wird das Geschäft endlich wieder so profitabel wie früher?
Kulturumbruch und die Frage nach der eigenen Identität
Der Finanzmarkt ist über die letzten 12 Jahre zu einem reinen Käufermarkt geworden, auf dem sich Unternehmer die Bank ihrer Wahl frei aussuchen können, da die Produkte und Dienstleistungen praktisch identisch und überall spottbillig sind. Es geht daher nicht darum, ob der Kunde kauft – denn das wird er mit Sicherheit – sondern von wem er kauft. Der erste Schritt, Kunden überzeugen zu können, ist daher auf Identitätssuche zu gehen, um mit eindeutigen Sub-Marken und Labels Zielgruppen zu signalisieren: „Wir sind aus dem großen Meer an Instituten genau der richtige Partner für dich!“
Doch bei der Identitätssuche sehen sie sich zunächst mit einer komplexen Grundsatzfrage konfrontiert: Was ist überhaupt die Identität des eigenen Instituts? Viele Banken tun sich hier schwer, da sich ihre Identität manchmal mit der Realität beißt. Da versteht sich beispielsweise ein Institut als klassische Mittelstandsbank mit traditionellen Werten, muss jedoch im selben Atemzug eingestehen, dass es letztlich immer noch ein Unternehmen ist – mit dem erklärten Ziel, möglichst hohe Gewinne zu erwirtschaften. Ähnlich wie ein Fußballverein, der vor Jahrzehnten Aufstiegsromantik lebte, aber durch den eigenen Erfolg zu einer Wirtschaftsgröße wurde, die es sich nicht mehr leisten kann, Tradition vor Gewinnstreben zu setzen.
Ähnlich wie in vielen mitunter international und global agierenden Profi-Fußballvereinen vollzieht sich in Finanzinstituten aktuell ein Kulturkampf: Konservatismus gegen Innovation, Standardisierung gegen Individualisierung. Alte Hasen pochen darauf, für „Ihre“ Kunden da sein zu wollen, während die Nachwuchsriege Prozessoptimierung betreibt. Wie möchte das Institut sein – und wie möchte es sich nach außen darstellen? Großinstitut? Premium-Institut? Regionales Traditionsinstitut? Diese Fragen werden dadurch verkompliziert, dass es nicht ausreicht, einfach ein Label auszutauschen – die neue Identität muss in jedem Unternehmensbereich gelebt werden.
Die Herausforderungen des Wandels
Ich betreue als Berater und Geschäftsführer des Instituts Für UnternehmerFamilien (IFUF) bereits seit über 25 Jahren Familienunternehmer und Unternehmerfamilien und seit über 10 Jahren Finanzdienstleister. Und in dieser Zeit ist mir klar geworden: Es hat noch nie eine Zeit wie die aktuelle gegeben, in der Banken und Unternehmer zeitgleich an denselben Themen gearbeitet haben. Das kann, wenn man es zulässt, zu einer großen Verbundenheit zwischen Institut und Unternehmer führen. Deshalb muss eine neue Art von Unternehmerberatung her – eine Beratung, die sich nicht nur mit der Vergangenheit des eigenen Instituts beschäftigt, sondern auch im Blick hat, wo es in Zukunft hingehen soll.
Die Banken sind aktuell mit Segmentierung und Umschlüsselung beschäftigt, mit Identitätsfindung und Kulturkampf, mit Prozessoptimierung und Kosteneinsparung. Vielen fehlt dadurch die Zeit, sich näher mit dem Kunden als Mensch zu befassen – obwohl genau diese Herangehensweise eigentlich nötig wäre. Denn für den Unternehmer bedeutet beispielsweise die Segmentierung und Clusterung häufig, dass er es mit einem neuen Berater zu tun bekommt. Ein Vorgang, bei dem nach Empfinden vieler Unternehmer weder der ehemalige noch der neue Berater um seine Meinung gefragt wurde – und schon gar nicht der Unternehmer selbst.
Derartige Umstrukturierungsprozesse können letztlich dazu führen, dass sich die Kunden, die plötzlich mit einem neuen Berater konfrontiert werden, nicht mehr wohl bei der Bank fühlen. Sie merken, dass durch einen jüngeren Berater Fachwissen weggebrochen ist, oder ihnen gefällt die durch einen jüngeren Berater erzeugte Gesprächsatmosphäre nicht mehr. Und in vielen Fällen werden Unternehmer auch einfach dadurch vergrault, dass das Mensch zu Mensch vom Institut vernachlässigt wird. Viele Top-Unternehmer erwarten weiterhin eine persönliche Beratung mit subjektivem Wohlfühlfaktor – und wenn sie diese nicht bekommen, warum sollten sie dann nicht einfach zur anderen Bank wechseln, die ohnehin praktisch dieselben Finanzprodukte anbietet?
Ein solcher Berater-Wechsel kann jedoch auch Chancen eröffnen, wenn er gut durchdacht, wohlvorbereitet und mit Fingerspitzengefühl umgesetzt wird. Denn ein jüngerer Berater kann gegebenenfalls genau das sein, was der Unternehmer möchte – oder vielleicht will er auch einen deutlich erfahreneren Berater. Es kommt darauf an. Herausfinden kann man dies nur, wenn man sich individuell mit dem Kunden beschäftigt, ihn mit einbezieht und nach seinen Wünschen fragt.
Das Personal finden, mit dem man in die Zukunft gehen kann
All diesen Herausforderungen kann man als Bank nur mit den richtigen Mitarbeitern begegnen – Mitarbeiter, die sich in den Bereichen auskennen, die für die Zukunft relevant werden, und die keine Angst vor strukturellen Veränderungen im Institut haben.
Ein Zahlenbeispiel: Vor 10 Jahren gab es – gefühlt – 100 Private-Banking-Anbieter. Nur ein Bruchteil dieser Institute verfügte tatsächlich über spezialisierte Berater für Unternehmerkunden. Heute gibt es – ebenfalls gefühlt – 1000 Banken, die allesamt über entsprechende Spezialisten verfügen (wollen). Gleiches gilt für Spezialisten in reinen Firmenkundenbereichen, wie Zahlungsverkehr, Auslandsgeschäft und andere. Auch hier sind derzeit gute (mit und ohne Erfahrung) Berater gesucht und gefragt. Der Trend ist eindeutig und so gilt es zu handeln, bevor alle Talente weg sind. Denn die Konkurrenz hat schon längst einen Fight for Talents eingeläutet. In Zukunft werden in den Instituten Abertausende Spezialisten benötigt werden und wer jetzt nicht zugreift, hat womöglich schon bald unter akutem Fachkräftemangel zu leiden. Zudem müssen all diese Spezialisten zum Kunden hin koordiniert und gemanagt werden, was sich klar im neuen Anforderungsprofil des Firmenkundenberaters widerspiegelt. Und wer jetzt schon diese Anforderungen der Zukunft im Blick hat und danach handelt, kann sich auf dem Markt langfristig behaupten. Wie das genau geht, zeige ich Ihnen in einer Woche im dritten Teil der Sommerserie 2019.
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Dirk Wiebusch
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