Vor wenigen Tagen haben wir uns in Teil 2 der großen KI-Artikelserie im Versteher-Magazin bereits mit der Frage auseinandergesetzt, wie die in Teil 1 beschriebenen (generativen) künstlichen Intelligenzen bei Ihren Firmenkunden eingesetzt werden können. Heute schauen wir uns die andere Seite der Medaille an: Wo können Sie und Ihr Institut die neue Technologie gewinnbringend einsetzen? Und was bedeutet das für Ihren Arbeitsplatz in der Zukunft? Dazu eines gleich vorweg: Was für uns als „Normalos“ aktuell noch wie ein Game-Changer wirkt, ist in den riesigen internationalen Investment-Banken schon längst ein fester Teil des Arbeitsalltags. Neu wird also vor allem sein, dass künstliche Intelligenzen bis in den Arbeitsalltag regionaler Banken, Sparkassen und Volksbanken sowie von freien Beratern, Vermögensverwaltungen und anderen vorstoßen werden. Vom Einzelkämpfer bis zur Großsparkasse und Großvolksbank.
Generative KIs in den regionalen Instituten?
Auch wenn die künstliche Intelligenz zurzeit das „neue, spannende Ding“ ist, sollten wir uns darüber im Klaren sein, dass natürlich selbst in kleinen regionalen Instituten die Kreditanfragen längst nicht mehr „mit dem Bleistift in der Hand“ ausgefüllt werden. Klar, bei den großen internationalen Häusern ist man da oft schon weiter, egal ob es um KI-Unterstützung bei Kreditbanken oder vollständig algorithmusgesteuertes Trading bei quantitativen Hedgefonds geht. Die dort genutzten Systeme sind vielleicht keine auf LLMs basierenden Sprach-KIs, aber trotzdem definitiv Systeme, die man als generative künstliche Intelligenzen bezeichnen kann. J.P. Morgan baut zum Beispiel bereits an einer eigenen KI namens IndexGPT, die Investitionsvorschläge geben soll. Und diese Entwicklung wurde sicher nicht nur deshalb angestoßen, weil ChatGPT das Thema in eine breite Öffentlichkeit gerückt hat. Für die IT-Abteilungen dieser globalen Player war ChatGPT nicht gerade die Neu-Erfindung des Feuers.
Was jedoch neu sein wird, ist, dass auch Sie in naher Zukunft mit KI-Tools arbeiten werden, von Sprachassistenten über Textgenerierungs-Tools bis hin zu Tools, die Kreditdaten automatisiert einpflegen und zum Beispiel Empfehlungen zur Kreditentscheidung aussprechen können. Interessant ist daher vor allem, sich mal zu überlegen, was sich für Sie als Berater im Alltag ändern wird. Welche Anwendung für KI macht wirklich Sinn? Wie wird man die Auswirkungen spüren? Wo findet der Einsatz von KIs in der täglichen Beratung statt? Und welche Risiken und Chancen birgt all das?
Hier zur besseren Übersicht noch mal alle Begrifflichkeiten aus dem Themenbereich Digitalisierung/KI kurz definiert:
- Digitalisierung: Die Übertragung von Daten und Prozessen von analogen in digitale Formate. Also zum Beispiel das digitale Abspeichern von Daten auf Festplatten statt in Aktenschränken oder die Durchführung von Kundenkommunikation über digitale Wege statt mit der Briefpost.
- Technologisierung: Die Übertragung von Arbeiten vom Menschen auf Maschinen, von der manuellen Arbeit in die automatisierte oder zumindest maschinell unterstützte Arbeit. Zum Beispiel bestimmte Standard-Handgriffe in der Fertigungshalle (Karosseriebleche zusammenfügen etc.).
- Standardisierung: Die Vereinfachung von Verfahren, Prozessen, Strukturen, Produkten etc. mit dem Ziel höherer Effizienz (gleichbleibende Leistung bei geringerem Aufwand). Zum Beispiel die Strukturierung des Einkaufsvorgangs in Onlineshops, die mittlerweile praktisch überall identisch ist.
- Automatisierung: Das Umrüsten der Produktion etc. zur Minimierung der durch Menschen durchzuführenden Arbeitsschritte. Zum Beispiel bei der Fertigung von Autos, für die heute nur noch wenige Mechatroniker, dafür umso mehr automatisierte Roboter-Arme benötigt werden.
- Künstliche Intelligenz: Digitale Prozesse, die selbstständig Handlungen ausführen können – aktuell noch unter menschlicher Maßgabe oder auf Basis von angeeigneten Erfahrungswerten. Zum Beispiel Social-Media-Bots oder auch selbstfahrende Autos.
- Machine Learning: Der Prozess der Wissensvermittlung an künstliche Intelligenzen. Zum Beispiel das Füttern von Gesichtserkennungssoftware mit Bildern von menschlichen Gesichtern, damit sie diese zu unterscheiden lernt.
- Digital Disruption: Veränderungen auf dem Markt, hervorgerufen durch plötzlich erscheinende neue digitale Technologien, die ein Umdenken in den Unternehmen erfordern. Also zum Beispiel die stark veränderte Marketing-Umgebung im Zuge des Aufkommens von Social-Media-Influencern.
Die aktuelle Popularität von KI wird den Arbeitsalltag von Millionen von Menschen nachhaltig verändern. Leider nicht immer zum Positiven: Ich sehe bereits jetzt schon vor meinem inneren Auge die Manager, Effizienz-Fans, Controller und IT-Profis frohlocken, die sich durch künstliche Intelligenzen mehr Digitalisierung und eine bessere Kombination aus Standardisierung und Individualisierung versprechen – und zwar in erster Linie, weil sie jetzt endlich ihre Personalabbau-Pläne umsetzen können. Dann heißt es wieder: „Assistenzen brauchen wir nicht mehr“ – ein Argument, das ich schon vor Jahren im Versteher-Magazin als Trugschluss entlarvt habe. Meine Befürchtung ist, dass durch die KI mehr standardisiert und optimiert werden wird, die Prozesse werden verschlankt und das Personal wird abgebaut. Sobald sich dann herausstellt, dass die Erwartungen an die Leistung von KI doch überzogen waren und man die Realitäten und Anforderungen des Marktes (zum Beispiel den Wunsch der Top-Unternehmerkunden nach mehr Mensch zu Mensch) doch unterschätzt hat, dann bleiben nur noch wenige Menschen im Institut übrig, die umso mehr Arbeit verrichten.
Auf dem Papier sieht das natürlich ganz anders aus: Bei 1.000 Arbeiten und 20 Mitarbeitern fallen 50 Arbeiten pro Person an. Dann werden durch Standardisierung und Digitalisierung 500 Arbeiten von der Maschine übernommen, da kann man dann ja auch 10 Leute wegrationalisieren – oder besser noch 12, denn die, die bleiben, haben dann ja schlankere Prozesse und können mehr Arbeit übernehmen. Also haben wir nun 500 Arbeiten auf 8 Mitarbeiter, das sind schon 62,5 Arbeiten pro Person. In der Bilanz steht dann aber nur: 50 % weniger Prozesse, 60 % weniger Personalkosten – „Läuft!“. Dabei sieht die Situation im Arbeitsalltag ganz anders aus. Da müssen dann plötzlich die Mitarbeiter mehr Arbeiten durchführen als bislang, und gleichzeitig fehlt es den wichtigen Unternehmerkunden am Mensch zu Mensch, da gefühlt alles nur noch über Chat-Assistenten etc. gemacht wird. Diejenigen, die in den Instituten am liebsten voll automatisiert und ohne Menschen arbeiten würden, machen hier schnell eine Milchmädchenrechnung auf, die für den langfristigen Erfolg gefährlich werden kann. Zumal betriebswirtschaftlich ja oft trotz Personalkostenabbau die Kosten für IT (deutlich) steigen, somit auch das nicht immer sauber kalkuliert wird.
Wie wird die KI die Beratung beeinflussen?
Realistisch betrachtet wird die Zukunft der Finanzberatung für (Familien-)Unternehmer in Zukunft stark von KI-Tools beeinflusst werden. Doch sie wird niemals völlig an die KI abgegeben werden. Von heute 10 Beratungsanlässen bleiben in Zukunft vielleicht noch 3 bis 5 übrig – diese sind dann aber so komplex, dass die KI damit (allein) nicht zurechtkommt. Diese Arbeiten können nur spezialisierte, hochprofessionelle Berater (beziehungsweise Beraterteams) durchführen, da es um das Koordinieren der Teams und das Erkennen sowie Analysieren komplexer (zum Teil nicht rationaler, sondern intuitiver) Zusammenhänge geht. Und um die direkte Interaktion mit den Kunden. Denn wie wir schon im zweiten Teil dieser Artikelserie festgestellt haben: Auch Unternehmer, die selbst schon mit KI experimentieren, wünschen sich weiterhin ein angenehmes Mensch zu Mensch (MzM) von ihren Finanzdienstleistern. Laut dem aktuellen EY Global Wealth Research Report 2023 wünschen sich sogar immer noch satte 43 % eine persönliche Beratung im gleichen Raum. Derweil sind 38 % offen für digitale Videokonferenzen, erwarten jedoch weiterhin, mit einem echten Menschen zu sprechen. Lediglich (oder doch schon?) 19 % der Befragten sind bereit, vollständig auf eine Beratung von Mensch zu Mensch zu verzichten. Für Sie als Berater bedeutet das:
- Kunde 1 möchte direkt und persönlich beraten werden – KI-Tools dann eher im Hintergrund unterstützend einsetzen und ansonsten verstecken!
- Kunde 2 möchte ebenfalls persönlich beraten werden, aber es macht ihm nichts aus, wenn ersichtlich ist, dass mit KI-Tools gearbeitet wird.
- Kunde 3 braucht keinen direkten Draht zum Berater (oder weniger häufig) und kann sogar durch das Herausstellen der KI-Unterstützung umworben werden.
In allen drei Fällen erwarten die Kunden jedoch den Einsatz von digitalen Tools und sogar KI in bestimmten Bereichen. Zum Beispiel zum einfachen Zugang auf verschiedenen Kanälen („Omnichannel“) und beim KI-unterstützten Auswerten großer Datenmengen, wenn dadurch die Performance des jeweiligen Finanzprodukts optimiert wird. Oder so ausgedrückt: Menschlichkeit ist bei der Beratung noch gefragt, aber die Produkte sollen digital durchoptimiert sein!
Die Finanzdienstleistungsbranche wird früher oder später auch auf regionaler Ebene KI-Tools nutzen, so wie den im ersten Teil der Artikelserie erwähnten MS Copilot, der bald schon die tagtäglichen Arbeiten mit Microsoft Office durch KI unterstützen wird. Einige dieser KIs werden sogar direkt für die Beratung verwendet werden. Allerdings wird die Einführung in der Finanzdienstleistungsbranche wahrscheinlich etwas länger dauern. Denn Banken, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer etc. haben (zu Recht) extrem hohe Anforderungen an Sicherheit und Datenschutz. Gleichzeitig sollte man nicht glauben, dass KIs aus diesen Gründen gar nicht eingesetzt würden, denn auch iPads wurden ja in den Instituten irgendwann erlaubt und das funktioniert bis heute sehr gut und kann sogar Mehrwerte bieten. Für den Einsatz von KIs in der Beratung werden jedoch zunächst komplexe Themen wie Serverstandorte und die sichere Datenspeicherung gelöst werden müssen. Doch dann wird es mit der KI auch in Ihrem Institut vorwärtsgehen.
Von der Ankündigung zur Umsetzung
Ein Blick auf die Fintechs lohnt sich in diesem Zusammenhang, denn auch sie wurden zunächst noch belächelt und haben von Anfang an auf modernste Technologien gesetzt. Auch, weil es dort kaum Bedenkenträger gab, die man hätte überzeugen müssen. Das wird bei der Einführung von KI genauso (gewesen) sein. Die „Neuen“ haben es nun mal auch leichter, neue Technologien einzuführen, während die „Etablierten“ noch zögern – schließlich basiert das Selbstverständnis der „Neuen“ auch darauf, dass sie Dinge neu machen und das „Alte“ ändern möchten. Die Fintechs haben dadurch zunächst einen Vorsprung vor den etablierten Instituten. Da gibt es heute schon Systeme, bei denen die Kunden einfach ihre Daten hochladen, und KIs übernehmen einen Großteil der Verarbeitung und der Analyse. Und sie können dank KI-Chatassistenten mit Large Language Model die Ergebnisse sogar schon verständlich an den Kunden weitergeben.
Allerdings fehlt den Fintechs aktuell oft noch das ganz große Kapital. Hier haben die Etablierten einen Vorteil durch das eher starre Geschäft mit den Privatkunden, bei dem sich in den letzten Jahren so gut wie nichts getan hat – inklusive Vorgängen, die oft noch manuell erledigt und ausgedruckt werden. Auch wenn die Prozesse hier noch etwas veraltet sind, verfügen diese Institute doch über erheblich mehr Kapital als die meisten Fintechs.
Den Vorteil der Geschwindigkeit haben die Fintechs dennoch in der Tasche, denn wie erwähnt, werden dort oft schon heute KIs eingesetzt. Für alle anderen gilt: Je länger es von der Ankündigung von neuen KI-Tools bis zu deren Umsetzung dauert, desto mehr Menschen verlieren das Interesse, widmen sich anderen Themen und treten ihren Vorteil an diejenigen ab, die jetzt dranbleiben. Letztere bauen ihren Vorsprung aus und müssen sich nicht erst neu einarbeiten, wenn dann tatsächlich mal die neue ChatGPT-Version oder der MS Copilot nutzbar ist. Wenn in der aktuellen Situation zum Beispiel der MS Copilot erst im Herbst 2023 voll ausgerollt werden sollte, dann sind zu diesem Zeitpunkt vielleicht 2 bis 5 von 100 Menschen überhaupt noch am Ball. Die restlichen haben sich bereits vermeintlich dringenderen Themen gewidmet. Und sie müssen vielleicht zunächst ein Gremium bilden, das entscheidet, ob man die Technik nutzen möchte oder nicht, dann einen Arbeitskreis, der das Wann, Wie und Was ausarbeitet, dann müssen Entscheidungen bzgl. der Umsetzung getroffen werden (Programmierung, Datenschutz, Sicherheit etc.). Kurz gesagt: Wenn MS Copilot im Herbst 2023 ausgerollt wird, brauchen diejenigen, die bis dahin nicht am Ball geblieben sind, locker bis Mitte 2024 oder noch länger, bis sie die Technologie umgesetzt haben. Das haben wir schon oft bei übergeordneten Projekten erlebt, wo es von der Idee bis zum Roll-out Jahre gedauert hat und die Umsetzung immer wieder von internen Konflikten zwischen Visionären, Pragmatikern, Pedanten, Korrigierern und Bedenkenträgern aufgehalten wurde.
Ich empfehle Ihnen als Führungskraft wie auch als einzelner Berater also, sich heute schon damit zu beschäftigen – auch wenn das bedeutet, dass man zunächst das kostenpflichtige ChatGPT Plus nebenher benutzt, auch wenn es noch nicht bequem als MS Copilot direkt in die Office-Anwendungen integriert ist. Probieren Sie die Technik gerne jetzt schon aus – mit anonymisierten oder vollständig erfundenen Daten, versteht sich – und sammeln Sie heute schon hochwertige Erfahrungen bei der Arbeit mit KIs. Und verfolgen bzw. abonnieren Sie Informationsquellen wie KI-Blogs im Internet, um auf dem Laufenden zu bleiben.
Schon heute geht technisch sehr viel
Fest steht: Diejenigen, die als Erstes kommen und zugleich mit ausreichend Kapital ausgestattet sind, werden in der Bankenbranche durch den Einsatz von KI-Technologien extrem erfolgreich sein. Quasi „First Mover = Winner takes it all“ statt „First Mover vs. Winner takes it all“. Denn rein technisch ist schon jetzt vieles umsetzbar, auch wenn es die meisten Institute noch nicht tun (können). Einige Banken entwerfen sogar schon eigene Chatbots zur Beratung der Kunden in Bezug auf ihre Geldanlage. Ironischerweise verbieten diese Banken gleichzeitig die Nutzung von ChatGPT – sie basteln lieber proprietäre Systeme. Ein entsprechendes DATEV-Tool zum Analysieren der eigenen Finanzen und Portfolios ist meiner Einschätzung nach nur eine Frage der Zeit.
Spannend wird es außerdem dann werden, wenn die erste Bank bzw. Fintech-Bank im Zuge des KI-Hypes mit entsprechendem Kapital ausgestattet wird, technisch ein bis zwei große Schritte voraus macht und dann alle anderen abhängt. Denn als regionales Institut weiß man: Das Mensch zu Mensch zählt, und das hängt auch an der Regionalität, dem Standortvorteil (in der bereits erwähnten EY-Umfrage gaben immerhin 43 % der Befragten an, dass sie in einem Raum mit ihren Gesprächspartnern sitzen wollen). Doch dank Digitalisierung kann das Mensch zu Mensch mittlerweile eben auch standortunabhängig vermittelt werden, zum Beispiel in Video-Calls (38 % in der EY-Umfrage). Vielleicht wird sich da so manches regionale Institut vermeintlich sicher wähnen und dadurch den Anschluss bei letzterer Kundenschicht verlieren.
So beraten Sie zum Thema KI
Die wichtigste Frage in der aktuellen Entwicklung von KIs für die Finanzindustrie lautet: Welche komplexen Zusammenhänge können nicht eigenständig von der KI erledigt werden? Oder anders gesagt: Wozu braucht es noch den Berater oder die Führungskraft? Denn genau an diesen Stellen werden in Zukunft Ihre Aufgaben liegen.
Bei der Frage der Umsetzung von KI im Unternehmen wird es dann zum Beispiel so sein, dass Ihr Kunde sich schon ganz gut auskennt. Dann hat er vielleicht keine tiefgehenden Programmierkenntnisse in Python oder C++. Und vielleicht kennt er auch nicht jeden Kniff bei der Ausgestaltung einer PowerPoint-Präsentation oder alle Funktionen von Excel. Aber die meisten Ihrer wichtigsten Unternehmerkunden gehören der Generation zwischen 1960 und 1975 an. Sie beschäftigen sich teilweise schon seit Jahrzehnten mit Computern und Digitalisierung generell. Und sie haben sich wahrscheinlich schon einen guten Überblick über ChatGPT und Co. verschafft oder können das zumindest selbst tun. Und wie in Teil 2 dieser Artikelserie beschrieben, erkennen sie durchaus den Nutzen der Technologie für ihr Unternehmen. Wenn Sie sich also mit dem Unternehmer zum Thema KI in der Produktion/Verwaltung unterhalten, dann sollten Sie stets aufmerksam und konzentriert sein, denn das Gespräch kann tief und herausfordernd werden. In einigen Fällen wird der Unternehmer sogar gefühlt (oder tatsächlich) informierter sein als Sie. Denn eventuell nutzt er schon längst KI-Tools, um seine finanzielle Situation auszuwerten und diese Information im Gespräch mit Ihnen (oder gegen Sie?) einzusetzen. Zum Beispiel, wenn ihm die KI sagt, dass der Cashflow seines Immobilienportfolios noch besser optimiert werden könnte.
Je mehr die Unternehmer mit KI arbeiten, desto häufiger werden Sie als Berater Unternehmerkunden oder ‑zielkunden gegenübersitzen, die Sie zur reinen Analyse oder Aufbereitung von Daten gar nicht mehr benötigen. Egal, welchen Informationsvorsprung Sie gegenüber dem Unternehmer eventuell zu haben glauben – er wird durch die neuen KI-Tools schmelzen. Und dank Large Language Models und Natural Language Processing können die Tools diese Informationen sogar verständlich kommunizieren. Und wenn der Unternehmer im Chat mit dem Tool sagt: „Beschreibe es mir, als wenn ich keinerlei Vorkenntnisse dazu habe“, bekommt er es auch genau erklärt. Eventuell erinnern Sie sich in diesem Zusammenhang an den einen oder anderen Artikel bzw. Podcast, in dem ich darauf hingewiesen habe, dass Top-Unternehmer keine Bildbeschreibung brauchen, sondern eine Bildinterpretation mit individuellen Lösungsvorschlägen.
Es geht also für Sie als Berater nicht mehr einfach darum, dem Unternehmer Wissen zu vermitteln oder ihn „aufzuschlauen“. Vielmehr wird es in Zukunft immer stärker um zwei Dinge gehen:
- auf Basis der eigenen Erfahrung, der Kenntnisse und des Netzwerks Ideen sowie Synergien zu kreieren, zu denen die KI nicht in der Lage ist.
- dem Unternehmer als Sparringspartner auf Augenhöhe für Ideen zur Verfügung zu stehen.
Konkret: Was bedeutet das für Ihre Position als Berater und Marktfolge-Mitarbeiter?
Aus dieser Erkenntnis lassen sich verschiedene Schlüsse ziehen, die Sie unbedingt beachten sollten, um sich so zu positionieren, dass Ihre Arbeit in der KI-gestützten Finanzbranche von morgen noch einen Mehrwert für die wichtigen Firmenkunden bietet.
Marktfolge-Aktiv-Mitarbeiter
Mit der Zeit werden diejenigen Aufgaben immer mehr von KI übernommen werden, die zum Großteil aus reiner Datenverarbeitung bestehen. Also Analysen und Ähnliches. Diese Aufgaben werden von KIs übernommen und automatisiert, wodurch für Sie als Marktfolge-Aktiv-Mitarbeiter noch die Aufgaben übrig bleiben, die noch menschliches Denken erfordern, Kreativität, jahrelange Erfahrung und Urteilsvermögen. Wie groß dieser Anteil sein wird, hängt vor allem davon ab, wie Ihr Institut aufgestellt ist, welche Kundenstruktur es hat etc.
Ich gehe jedoch davon aus, dass sich die noch für Menschen übrig bleibende Arbeit in der Marktfolge Aktiv im niedrigen zweistelligen Prozentbereich einpendeln wird. Daher rate ich allen Mitarbeitern in dieser Abteilung, sich so bald wie möglich mit Themen auseinanderzusetzen, die speziell für die dann noch übrig bleibenden Arbeiten wichtig werden. Vor allem: Geschäftsmodelle, Geschäftsmodelle, Geschäftsmodelle! Seien Sie in der Lage, diese tiefgehend zu verstehen, auseinanderzunehmen und in den Kontext der Finanzberatung zu setzen. So bringen Sie sich noch stärker in die Kundengespräche ein und leisten trotz KI weiterhin wertvolle Arbeit. Wer sich nur auf Checklisten verlässt, wird es in Zukunft schwer haben – denn dafür werden nur sehr wenige hoch spezialisierte Mitarbeiter übrig bleiben. Schauen Sie dazu gern auch (nochmals) in mein E‑Book zur „Marktfolge Aktiv der Zukunft“.
Für alle Entscheider, die bis hierher gelesen haben: Eine der größten Herausforderungen für Sie im Bereich der Risikosteuerung wird sein, wie Sie als Institut und potenzieller Kreditgeber damit umgehen, dass Ihre Firmenkunden vermehrt Kredite anfragen zur Finanzierung von PC, EDV, Software etc. Also kein fixes Sachgut wie Gebäude, Material und Maschinen. Wie also damit umgehen, wenn der Antrag lautet: 2 Mio. Kredit für Neuordnung aller PC, EDV-Prozesse und Software – „blanko“. Und ob dann die Aussage „Herr Wiebusch, wir fühlen uns in Steine wohler“ auf Basis der derzeitigen und zukünftigen Entwicklung in den Immobilien noch Gültigkeit hat, wage ich zu bezweifeln (sehen Sie dazu auch gern das E‑Book „Unternehmer und Immobilien“).
Firmenkundenberater
Genau wie bei der Marktfolge Aktiv gilt auch für Firmenkundenberater: Die reine Aufbereitung und Vermittlung von Informationen wird für Sie weiter in den Hintergrund treten. Darum sollten Sie sich so bald wie möglich mit dem Thema Geschäftsmodelle auseinandersetzen. Am besten direkt mit den Kollegen aus der Marktfolge Aktiv, die ja auch bei der Kundenberatung aktiver werden sollen.
Entscheidend für Sie als Firmenkundenberater wird dann die Frage sein, wie Sie diese Informationen mit dem Unternehmer besprechen. Ob Sie nur auf Zahlen und Fakten hinweisen oder ob Sie gleich eine potenzielle Lösung vorschlagen können. Die reine Informationsvermittlung war nie die wichtigste Arbeit der Firmenkundenberater, denn so tief Sie sich auch einarbeiten, der Unternehmer kennt seine eigene Firma natürlich deutlich besser. Und das wird in Zukunft noch stärker der Fall sein. Konzentrieren Sie sich also auf das, wodurch sich gute Firmenkundenberater immer schon hervorgetan haben: Impulse geben, Ideen entwickeln, Vernetzungen und Synergien erzeugen – und nicht zuletzt: Sparringspartner auf Augenhöhe sein.
Wer nicht in der Finanzberatung arbeitet, macht sich gar keine Vorstellung davon, wie viel Mehrwert es für einen Unternehmer ist, einfach mal eine Idee mit einem informierten Gesprächspartner durchzusprechen. Das kann ganz ungeahnte Effekte haben. Ich habe zum Beispiel mal einen Firmenkundenberater erlebt, der im Gespräch mit einem Unternehmer dessen Fachkräftemangel gleichermaßen kreativ wie effektiv gelöst hat. Da es in der Region nur wenig hoch qualifizierte Mitarbeiter gab, wurde kurzerhand ein Shuttleservice aufgebaut, der Fachkräfte von außerhalb abholte und zur Arbeit bzw. wieder nach Hause fuhr. Das mag jetzt ein sehr spezifisches Beispiel sein, aber genau diese Individualität und Kreativität der Lösung ist es doch, die Unternehmer in der Beratung Mensch zu Mensch suchen. Das ist es, was Sie als Firmenkundenberater, zusammen mit der Marktfolge Aktiv, so wertvoll macht.
Private-Banking-Berater
Auch für Berater im Private-Banking-Segment werden die Geschäftsmodelle immer wichtiger werden, da die reine Informationsvermittlung von KI übernommen wird. Als Berater sollten Sie sich außerdem stärker damit beschäftigen, in welchem Rahmen sich der Kunde bewegt, also zum Beispiel auch, welche Immobilien er besitzt.
Etwas schade wird für Sie als Private-Banking-Berater die Tatsache werden, dass Sie dank verbesserter Schnittstellen immer schneller und umfangreicher auf die finanziellen Daten und den finanziellen Kontext des Unternehmers zugreifen können – doch das kann der Unternehmer dann im Zweifelsfall auch. Mit anderen Worten: Sie könnten jetzt zwar noch leichter Ihre gewohnte Arbeit machen, aber der Unternehmer hat davon keinen Mehrwert mehr. Darum gilt auch für Sie: Positionieren Sie sich stattdessen als Sparringspartner auf Augenhöhe. Entwickeln Sie Ideen und diskutieren Sie die Ideen des Unternehmers gemeinsam durch. Übrigens: Auch wenn der Unternehmer seine Informationen in Zukunft direkt von der KI beziehen wird, kann es Situationen geben, in denen Sie durch eine Einordnung, Verifizierung und ggf. Korrektur der von der KI ausgegebenen Informationen punkten können. Oder indem Sie die von der KI ausgespuckten Daten in einen individuelleren Kontext bringen, z.B. in den der individuellen familiären Situation des Unternehmers. Denn emotionale Intelligenz ist eine Stärke des Menschen gegenüber der KI.
KI-Tools im Berateralltag
KI ist gekommen, um zu bleiben – das gilt auch für Ihren Arbeitsalltag als Berater. Der Vorteil dabei ist, dass die Einführung der KI-Tools von Ihren hauseigenen IT-Abteilungen „weggemanagt“ werden wird. Sie brauchen sich also nicht darum zu kümmern, dass die Tools laufen. Allerdings werden Sie als Berater auch nicht selbst entscheiden können, wann Sie die neuen generativen KIs nutzen können. Dazu wird es einen internen hierarchischen Plan geben. Und dort wird wahrscheinlich auch festgehalten, dass das Erstellen von Kundenbriefen oder Verkaufspräsentationen auch nicht direkt von Ihnen unter Zuhilfenahme einer KI gemacht werden wird – das wird dann vom Vertriebsmanagement und vom Marketing geregelt. Sie werden jedoch irgendwann mit KI-Tools die spezifischen Inhalte der vom Marketing und vom Vertriebsmanagement erstellten Vorlagen ausfüllen – da geht es dann vor allem darum, innerhalb der Vorlage den Inhalt und den Ton individuell auf Ihren Kunden zuzuschneiden.
Wann bei Ihnen im Institut KIs wirklich eingesetzt werden – und wann Sie als Berater an der Reihe sind –, kann erfahrungsgemäß von Institut zu Institut stark variieren. Manche Mitarbeiter tragen heute schon ChatGPT auf ihrem iPad mit sich herum, andere dürfen das Programm ganz offiziell noch nicht nutzen. Sprechen Sie doch mal Ihre IT direkt darauf an, ob Sie diese Tools nutzen dürfen bzw. ab wann geplant ist, dass Sie diese nutzen. Denn wie bereits erwähnt: Sowohl Ihre Unternehmerkunden als auch die Fintechs sind Ihnen dabei sicher schon einige Schritte voraus.
Meine dringende Empfehlung an Sie ist deshalb: Arbeiten Sie gemeinsam mit Ihrem Institut daran, so bald wie möglich KI-Tools „hands-on“ nutzen zu können. Natürlich immer mit anonymisierten Daten (!) und unter Beachtung aller Datenschutz-Richtlinien. Vielleicht lässt sich ja ein Stand-alone-Computer im Haus aufbauen, der über ein Prepaid-Handy mit dem Internet verbunden ist — also vollständig abgeschottet von allen potenziellen Angriffsvektoren. So könnten Sie schon heute Erfahrung für die Arbeit mit diesen Tools sammeln. Sprechen Sie das im Institut durch und experimentieren Sie dann ggf. mit den Tools. Sie werden begeistert sein, wie viele praktische Anwendungsfälle es jetzt schon gibt und wie viel Nutzen Sie jetzt bereits aus den Tools herausholen können. Zum Beispiel zum Erstellen von Agendas und Ablaufplänen oder zur Vorbereitung von Betriebsbesichtigungen. Die Möglichkeiten sind vielfältig und genau deshalb sollten Sie und Ihr Institut jetzt die Umsetzung nicht zu lange hinauszögern, sofern sich Sicherheitsbedenken durch ein bisschen Kreativität aus der Welt räumen lassen.
Ihre Zukunft ist eng verwoben mit der KI
Ich hoffe, dass Sie aus dieser umfangreichen Artikelserie zur neuen Technologie der (generativen) KIs einige nützliche Informationen zum Verständnis von künstlichen Intelligenzen sowie zur Anwendung der Technologie bei Ihnen im Institut sowie beim Unternehmerkunden ziehen konnten. Denn schon in nicht allzu ferner Zukunft wird die KI einen festen Platz auf allen Seiten der Beziehung Bank–Unternehmerkunde haben. Lernen Sie bereits jetzt, welche Auswirkungen das auf Ihre Position im Institut und auf Ihre Arbeit haben wird – und nutzen Sie die Chancen, die sich Ihnen bieten, sich gegenüber dem Unternehmerkunden als Sparringspartner auf Augenhöhe zu positionieren. Denn vergessen Sie nicht: Ein effektives Mensch zu Mensch können selbst KIs nicht wegrationalisieren!
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