Im September 2022 wurde die 7. Novelle der MaRisk-Vorgaben veröffentlicht – und schon zum 2. Januar 2023 wird sie scharf geschaltet. Ich habe in den letzten Wochen mit den Vorständen und Führungskräften zahlreicher Institute darüber gesprochen und wir sind einstimmig zu dem Schluss gekommen, dass der Ablauf in etwa so sein wird: Zuerst wird das alles groß verkündet, dann wird Druck auf die Institute aufgebaut – und die müssen sich dann fragen: Wie sollen wir die neuen Vorgaben überhaupt umsetzen? Können unsere Unternehmerkunden den Reportings überhaupt nachkommen? Wie können wir die Korrektheit der Informationen überprüfen? Und wie wirkt sich das alles auf das eigentliche Kundengespräch aus? So haben wir es ja bei zahlreichen Neuerungen und Anpassungen erlebt. Auch bei BASEL und beim WpHG sowie bei den Anpassungen in Corona-Zeiten. Man lässt die Institute erst mal machen, schaut dann, was geht, und wenn etwas nicht passt, geht die Aufsicht wie immer vor: „Dann prüfen wir das.“ Diesen Fragen und mehr möchte ich in diesem Artikel nachgehen. Denn die Zeit drängt und nur wer jetzt richtig vorbereitet ist, wird die 7. MaRisk-Novelle zeitnah umsetzen können – und vielleicht sogar einen Vorteil daraus ziehen.
Vorgaben, Richtlinien, Pflichten – alles Herausforderungen für Ihr Institut
Mit Blick auf den frühen Starttermin im Januar 2023 ist es kaum verwunderlich, dass die internen Abläufe vielerorts noch gar nicht so klar gezogen sind, wie sie für eine reibungslose Umsetzung der MaRisk-Vorgaben sein müssten. Immerhin müssen die Institute mittlerweile ganz fundamental nach dem ineinandergreifenden Dreiklang aus den EBA-Richtlinien, den MaRisk-Richtlinien und den Anforderungen aus dem SREP-Bewertungsprozess tanzen.
Das Ergebnis aus dieser Kombination an Vorgaben und Richtlinien: Die Institute werden noch stärker auch auf Basis der Tragfähigkeit einzelner Geschäfte beurteilt – und nicht nur über das Gesamtrisiko. Das wirkt sich auch institutsintern auf die Prozesse aus, was wiederum Auswirkungen auf das Kundengespräch mit Unternehmern hat. Sie sehen: Die Regelungen haben einen Einfluss auf das gesamte Geschäft, weshalb die Institute gut daran tun, sich mit all diesen Punkten zu beschäftigen. Wer da schon relativ weit ist, merkt, dass jetzt im Kreditprozess noch deutlich mehr Dinge getan werden müssen, zum Beispiel das Einholen von detaillierten Reportings vom Unternehmerkunden. Doch für die Institute, die bei dieser Entwicklung noch ganz am Anfang stehen, können die Veränderungen so umfangreich sein, dass sie schon fast einem (erzwungenen) Kulturwandel gleichkommen.
Kurz und knapp: Ich rate Ihnen dringend, sich mit den nachfolgenden Punkten deutlich intensiver zu beschäftigen, als Sie es vielleicht bislang getan haben – sowohl fachlich als auch inhaltlich und insbesondere in Bezug auf die Gesprächsführung mit dem Kunden. Und vergessen Sie nicht: Wie bereits angekündigt werden die Richtlinien zukünftig nicht nur das Firmenkundengeschäft betreffen, sondern auch das Immobiliengeschäft.
Zusammengefasst werden folgende Punkte wichtige Themenfelder für die Zukunft der Beratung von Familienunternehmen (und nachgelagert natürlich auch der Unternehmer selbst) sein:
- Geschäftsmodell der Firma des Unternehmers (heute, morgen, übermorgen)
- Digitalisierungsgrad des Unternehmens (heute, morgen, übermorgen)
- ESG – vorrangig das Thema Nachhaltigkeit
- Businessplan der Firma
- Kapitaldienstfähigkeit (KDF)
All diese Punkte können mitunter drastische Auswirkungen auf das Rating des Kunden haben – und damit auf die Kreditvergabe und indirekt auch auf die Gesprächsführung mit dem Kunden.
Zum Geschäftsmodell
Wer das Versteher-Magazin regelmäßig liest, weiß: Ich bin ein echter Fan von Geschäftsmodellen. Und das nicht nur, weil ich das Thema interessant finde, sondern auch, weil die Auseinandersetzung damit für die Arbeit mit Unternehmern immer schon essenziell war. Mit den neuen MaRisk-Regeln wird das nun sogar gesetzlich verankert. Besonders wichtig: Ein einfaches „Das Unternehmen baut Garagentore – die Cashflows passen und wir haben über Immobilien ausreichend Sicherheiten = passt!“ reicht bei Weitem nicht mehr. Es liegt nun an Ihnen, sich detailliert mit dem Thema auseinanderzusetzen und das Unternehmen nicht nur oberflächlich zu beschreiben, sondern eine sinnvolle Interpretation des Geschäftsmodells im Großen und Ganzen zu entwickeln.
Den Digitalisierungsgrad analysieren
Auch mit diesem Thema haben wir uns im Versteher-Magazin schon oft beschäftigt – alles Wichtige dazu finden Sie zum Beispiel auf unserer speziellen Infoseite zur Digitalisierung. Denn auch hier ist es an den Beratern und Bearbeitern (Marktfolge Aktiv), noch tiefer einzusteigen und die Digitalisierung beim Unternehmer in einen entsprechenden Kontext zu stellen. Die wichtigsten Begriffe habe ich Ihnen hier schon einmal zusammengefasst:
Die „environmental, social, and corporate governance“ (ESG)
Auch zu diesem Thema finden Sie viel nützliches Wissen und konkrete Handlungsempfehlungen im Versteher-Magazin in der Kategorie ESG und Nachhaltigkeit. Hier ist es umso wichtiger, sich nicht nur tiefer in die Materie einzuarbeiten, sondern sie auch aus Unternehmersicht zu betrachten: Was ist überhaupt umsetzbar? Sonst gehen Sie das Risiko ein, dass Sie am Ende alle Buzzwords kennen, aber keine Ideen für praktische Maßnahmen für den spezifischen Fall des Unternehmerkundens haben. Ich frage mein Gegenüber gern nach dem Unterschied zwischen „Wetter und Klima“ – Sie glauben gar nicht, wie oft ich da ein Schulterzucken als Antwort bekomme. Dabei ist das zumindest in 5 Sekunden googelbar. Also zumindest im Groben sollten Berater und Marktfolge sich damit auskennen, was ESG und insbesondere Nachhaltigkeit bedeuten.
Businesspläne verstehen
Es liegt in Zukunft an Ihnen, den Businessplan des Unternehmers entgegenzunehmen, ihn inhaltlich zu verstehen und sicher auf Plausibilität zu prüfen. Wichtig ist an dieser Stelle vor allem, dass Sie auch die drei obigen Punkte – Geschäftsmodell, Digitalisierung und ESG – in Bezug auf das konkrete Unternehmen verstehen. Denn diese drei Punkte sind fundamental, um die Plausibilität des Ihnen vorgelegten Businessplans überhaupt prüfen zu können.
Die Kapitaldienstfähigkeit (KDF)
Erst wenn Sie die vorherigen vier Punkte vollständig verstanden haben, geht es daran, über die KDF in den Kreditvergabeprozess überzugehen. Denn die Kreditdienstfähigkeit ist nur dann wirklich aussagekräftig, wenn diese Punkte sowohl vom Berater als auch vom Bearbeiter (Marktfolge Aktiv) verstanden werden.
Vom „Überbringer schlechter Nachrichten“ zum „Problemlöser und Lösungsanbieter“
Wie bei allen Gesetzestexten besteht auch im Dreiklang aus MaRisk, EBA und SREP immer das Risiko, dass man sich zum reinen Erfüllungsgehilfen von BaFin und Staat macht. Eventuell arbeiten Sie alle diese Themen ab und am Ende sprechen Sie mit dem Unternehmer darüber und es stellt sich heraus, dass er die Vorgaben gar nicht erfüllen kann – oder zumindest nicht in dem Maße, das die Aufsicht erwartet. Und einen Kredit können Sie ihm dann trotz Beratung gar nicht anbieten.
Das ist, als würden Sie zu Ihrem Hausarzt gehen und der sagt Ihnen: „Wenn Sie nicht in kürzester Zeit Ihre Ernährung umstellen und mehr Sport treiben, dann werden Sie sterben!“ Schließlich kommt der Arzt hier nur seiner medizinischen Informationspflicht nach, damit ihn hinterher nicht die Ärztekammer rügt. Eine reine Eigenschutz-Maßnahme. Wenn der Hausarzt dem Patienten jetzt noch sagen kann, wie er diesen medizinischen Rat befolgen kann (Ernährungsberatung, Personal Training etc.), dann ist er ein echter Arzt – sagt er hingegen nur „Keine Ahnung, wie Sie das machen, ist ja nicht mein Problem“, dann ist er lediglich Erfüllungsgehilfe seiner gesetzlichen Pflichten und wird beim Patienten schnell als Überbringer schlechter Nachrichten angesehen. Übersetzt wäre das so, als wenn Sie mit dem Unternehmer über die Nachhaltigkeit seiner Produktion sprechen, feststellen, dass es da Optimierungsbedarf gibt, aber dann auf die Frage „Und wo soll ich die Maschinen herbekommen, die das schon erfüllen?“ nur sagen (überspitzt formuliert): „Sorry, nicht mein Problem! Ich sage ja nur, dass Sie ohne die neuen Maschinen den Kredit nur sehr teuer oder gar nicht bekommen.“
Jetzt frage ich Sie: Welche Art von Arzt möchten Sie sein? Was passt eher zu Ihrem Finanzinstitut? Schauen Sie doch noch mal in Ihren Auftrag als Finanzinstitut – da steht sicher, dass Sie die Wirtschaft in Ihrem Geschäftsgebiet (oder Ihre Mitglieder etc.) mit finanziellen Mitteln zu versorgen haben – tun Sie das dann wirklich, wenn Sie dem Unternehmer nur sagen „Schade, Kriterien nicht erfüllt, also gibt es keinen Kredit“?
Was wird aus dem Mensch zu Mensch unter dem Eindruck der Regularien?
Ich habe schon oft im Versteher-Magazin sowie in meinen Seminaren und Workshops argumentiert, dass zu viel Segmentierung und Standardisierung einen negativen Effekt auf den Kunden haben kann. Da die Entwicklungen der letzten Zeit alle in diese Richtung gegangen sind, sind auch die entsprechenden Auswirkungen schon zu spüren, vor allem im Privatkundengeschäft, aber auch in der Beratung von „kleineren“ Unternehmen.
Wenn die Vorgaben nun weiter standardisiert werden, fürchte ich, dass dieser Effekt auch das gehobene Individualgeschäft treffen kann – Sie laufen als Institut Gefahr, die Bindung zum Unternehmer zu verlieren, wie es bei Privatkunden eventuell schon der Fall ist. Hier sehe ich ein echtes Risiko für das effektive Mensch zu Mensch (MzM) im Kontakt mit dem wichtigen Unternehmerkundensegment.
Exkurs: Der Blickwinkel des Unternehmers
Ich betone ja häufig, dass es wichtig ist, zu verstehen, wie der Unternehmer tickt. Mit Blick auf die neuen Regularien schauen wir uns also auch mal an, wie der typische Unternehmer eigentlich Entscheidungen trifft:
Stellen wir uns einen Unternehmer vor, der ein Produktionsunternehmen leitet. Er hat heute die Erkenntnis, dass die Themen Digitalisierung und Nachhaltigkeit in seiner Firma einen höheren Stellenwert einnehmen sollten. Und er hat das Verständnis für diese beiden Themen. Denn wohlgemerkt: Unternehmer haben oft kein Erkenntnisproblem – sie haben Schwierigkeiten mit der Umsetzung. Woher kommt das Material, wer kennt sich mit ESG aus …? Und passen überhaupt die Rahmenbedingungen – lässt sich die Firma digital nachrüsten oder sollte man dann besser gleich neu bauen?
Der Unternehmer überlegt zunächst für sich selbst, wie man das umsetzen könnte. Dann ruft er seine persönlichen Zuarbeiter und engsten Vertrauten zu sich – das sind in der Regel sein kaufmännischer Leiter und sein Produktionschef. Der Vertriebschef kommt zu diesem Zeitpunkt noch nicht dazu – denn zunächst müssen Unternehmer, kaufmännischer Leiter und Produktionschef zu dritt beratschlagen, welche Investitionen und Umbauten im Produktionsablauf überhaupt sinnvoll (und machbar) wären.
Zunächst arbeitet also der Produktionschef mit seinen Vertrauten durch, was die vorher diskutierten Veränderungen für Auswirkungen auf die Produktion hätten – auf das Material, die Maschinen, den Rohstoffeinkauf etc. Das kann Monate dauern, denn viele der nun aufgeworfenen Fragen sind für das Produkt fundamental – zum Beispiel, ob man von Echtholz auf schnell nachwachsenden Bambus als Produktionsmaterial wechseln kann. Welche Auswirkungen hätte das auf das Produkt?
Ist die Produktionsseite nun geklärt, treffen sich alle drei wieder und besprechen die Erkenntnisse. Dann kalkuliert der kaufmännische Leiter alles durch: Wie ändern sich zum Beispiel die Produktionskosten, wenn jetzt Bambus verwendet wird – der wird ja wahrscheinlich nur mit langen Transportwegen beschaffbar sein.
Erst wenn der kaufmännische Leiter alles durchgerechnet und für umsetzbar befunden hat und sich alle drei einig sind, dass die Änderungen umsetzbar und sinnvoll sind – erst dann kommt der Vertriebschef mit dazu. Seine Aufgabe ist es nun, zu prüfen, ob beispielsweise die Kunden am Markt überhaupt ein Produkt aus Bambus kaufen würden – vor allem, wenn die Konkurrenz noch Echtholz verwendet. Welchen Preis würden die Kunden dafür als gerechtfertigt empfinden? Natürlich alles streng geheim, denn man möchte ja nicht, dass ein eventueller Wettbewerbsvorteil durch den Umstieg einfach verpufft.
Das alles passiert, bevor es überhaupt in die konkrete Planung geht, geschweige denn in die Umsetzung. Denn erst, wenn auch der Vertriebschef zu einem positiven Ergebnis kommt, erst dann beginnen die Räder, sich zu bewegen: Der Produktionschef koordiniert sich mit dem Materialeinkauf und dem Maschinenmanager, der Vertriebschef holt die ersten Absichtsbekundungen der Kunden ein etc. Ist dann irgendwann absehbar, wie lange all das dauern wird, wie viele Kunden das neue Bambus-Produkt kaufen werden etc., dann fängt der kaufmännische Leiter an, zu budgetieren.
All das kann mehrere Monate, wenn nicht sogar Jahre dauern. Und dann geht man zur Bank für den Kredit. Jetzt stellen Sie sich vor, Sie gehen als Unternehmer mit einem mehrere Monate durchexerzierten Plan zur Bank und Sie müssen dem Berater zunächst noch mal erklären, welche Produkte Sie überhaupt herstellen, wer die kauft und was die Umstellung auf Bambus nun dafür bedeuten würde. Sie sehen: An dieser Stelle sollten Sie als Berater bereits ausreichend Wissen aus den oben aufgezählten 5 Punkten und den aktuellen Anforderungen der Finanzaufsicht mitbringen, um direkt einsteigen zu können, einen Zeitplan zu erstellen und eine Entscheidung zu treffen: Finanzieren wir das? Sonst sind Sie für den Unternehmer eher der „Geschäftsverhinderer“, der alle Planungen durcheinanderwirft.
Herausforderungen auf der operativen Seite
Die gesetzlichen Regularien stellen Sie und Ihr Institut also vor die Herausforderung, dass Sie Ihre Kunden noch detaillierter kennen müssen, um wirklich effektiv Ihre Finanzdienste anzubieten. Das stellt Sie auf verschiedensten Ebenen auf die Probe, vom Vorstand bis zum Risikomanagement (Kreditbuch) und vom Firmenkundenberater bis hin zur Marktfolge Aktiv.
Weitere Informationen zum Thema Marktfolge Aktiv der Zukunft finden Sie hier:
Wenn wir uns über diese strategischen Anforderungen klar sind, dann können wir nun auf die operative Ebene gehen: Was bedeutet all das für das Tagesgeschäft?
Viele Institute nutzen Fragebögen, um vor der Kreditvergabe vom Unternehmer die durch die Regularien geforderten Informationen zu erhalten. Das sind dann aber häufig Bögen mit über 100 Fragen. Wer soll die denn beantworten? Wer hat da denn sofort alle Informationen parat? Wer schafft es – nach dem mühsamen Zusammensuchen der Informationen –, am Ende wirklich, 100 % der Fragen „korrekt“ zu beantworten? Welcher hypothetische Unternehmer könnte überhaupt 100 % der Fragen „korrekt“ ausfüllen?
Als Institut müssen Sie sich außerdem schon anstrengen, um einen Mehrwert aus diesen Fragebögen zu ziehen, anstatt sich lediglich zum Erfüllungsgehilfen von Staat und Behörden zu machen – BASEL lässt grüßen. Das pendelt sich in der Regel mit der Zeit ein, auch wenn es zunächst wie ein großer Kulturschock wirkt.
An dieser Stelle möchte ich aber auch einen sehr positiven Effekt herausheben: Wenn der Unternehmer und Sie sich gut auf diese Themen vorbereiten und gemeinsam an Lösungen arbeiten, wird die auf den ersten Blick große Aufgabe der Umsetzung der Novelle zur größten Cross-Selling-Maschine aller Zeiten! Dann können Sie sogar einen Vorteil für Cross-Selling-Ansätze aus den umfangreichen Informationen ziehen, die Sie vom Unternehmer erwarten – ähnlich wie Sie es sonst nur in der großen Kundenkonferenz tun können.
Tipp:
Nutzen Sie die Gelegenheit, um im Institut Video-Betriebsbesichtigungen bei den Unternehmerkunden zu etablieren. Da kann dann ein Berater die Besichtigung persönlich mitmachen und auf Video aufzeichnen – das vermeidet den Stille-Post-Effekt, wenn er es z.B. nur schriftlich dokumentieren würde. Und es lässt nicht nur das Verständnis für das Unternehmen bei allen Beteiligten steigen, sondern es stellt Sie auch gegenüber dem Unternehmer in ein gutes Licht. Was meinen Sie, wie stolz er sein wird, wenn Sie ihm erklären, dass nicht nur Sie als Berater, sondern auch Ihre Kollegen gerne den Betrieb sehen würden? Selbstverständlich sollten Sie dabei höchste Sicherheitsvorkehrungen walten lassen: Dass man nichts filmt, was der Unternehmer nicht gefilmt haben will, versteht sich von selbst – dass der Unternehmer eine DSGVO-Erlaubnis unterschreibt, ist jedoch ebenfalls ziemlich sicher. Und wenn Sie im Institut zum Beispiel ein bis zwei eigens für den Zweck der Videoaufnahmen abgestellte Smartphones oder Kameras anschaffen, dann macht das auch aus Sicht der Informationssicherheit einen guten Eindruck beim Unternehmer.
Während Sie eventuell weitere Ertragspotenziale ausmachen können, ändert sich die Situation für den Unternehmer unter den neuen Bedingungen so, dass er nun schwerer an Kredite kommt. Oder sogar gar nicht. Da kann es dann Situationen geben, in denen ein Unternehmen jedes Jahr große Gewinne einfährt, man nun aber bestimmte, rein theoretische Bedingungen nicht erfüllen kann. Und schon bekommt man den Kredit nicht mehr, den man früher vielleicht problemlos erhalten hätte, weil der Berater die Situation damals noch mit Augenmaß betrachtet hat. Und was ist eigentlich mit den Unternehmen, die nach den neuen Regularien nur noch „ok“ sind, aber auch nicht mehr? Wenn diese nun ausgeschlossen werden – also Kredite nicht nur mit höheren Zinsen erhalten, sondern gar nicht mehr –, was passiert dann?
Eine Herausforderung, die ich in diesem Bereich sehe, ist diese: Was, wenn die strikten Voraussetzungen nach MaRisk & Co. nun dafür sorgen, dass nur noch die größten Konzerne Kredite erhalten können, weil alle anderen nicht die Vorgaben erfüllen können? Wir haben schließlich in Deutschland gar nicht so viele Unternehmen mit mehr als 10 Millionen Euro Umsatz oder mehr als 100 Mitarbeitern. Und was, wenn die kleineren Firmen pleitegehen, weil sie nach BaFin-Vorgabe keine Kredite mehr bekommen (dürfen)?
Was bedeutet das für die regionalen Strukturen? Mit Sicherheit nicht, dass zahlreiche neue Start-ups hinterherkommen … Für Sie kann das jedoch Chancen auch über das Cross-Selling hinaus bedeuten. Denn Unternehmer werden sich immer weiter entwickeln, das ist einfach ihre Persönlichkeitsstruktur. Und das bedeutet für Sie Potenziale in Krediten, Investitionen, Käufen/Verkäufen – wenn Sie als Institut nur wissen, wo Sie suchen müssen.
Ein damit verwandtes Risiko, das meines Erachtens aus den neuen Risikorichtlinien hervorgeht, ist die Verknappung der Kreditauslegung. Als Institut geht man gerne davon aus, dass alle Kreditengagements ein durchschnittliches Gesamtrating haben. In der Regel gleichen die Ratings im gesamten Geschäftsgebiet (also inkl. der Nicht-Kunden) eher einer Normalverteilung:
(Copyright: Gabler Wirtschaftslexikon)
Wir könnten also in eine Situation kommen, in der sich die Institute nur noch die Rosinen aus dem Kuchen picken. Es gäbe somit eine selbst herbeigeführte Verknappung der Kreditauslegung, da man ja nur die Top-Kunden haben möchte (oder aufgrund bisheriger Risikostrategien sogar keinen anderen nehmen kann/darf). Doch wenn alle so vorgehen, werden diese Top-Kunden auf Dauer eine erhebliche Konditionenmacht bekommen, während die restlichen Unternehmen ausbluten. Jetzt stellen Sie sich vor, dass dazu noch die Bewertung nach den Punkten Digitalisierung und Nachhaltigkeit dazukommt.
Das bedeutet, nur bei: gutes Rating + gutes Geschäftsmodell + Digitalisierung + Nachhaltigkeit + gute Marge = „Herzlich willkommen!“
Alle anderen gucken in die Röhre. Und Sie müssen sich eventuell mit allen Ihren Konkurrenten um die wenigen Kunden prügeln, die wirklich alle diese Themen abdecken. Als Krönung kommt noch dazu, dass die Institute quasi gezwungen werden, ihre Eigenkapitalbasis entsprechend anzupassen, vor allem für die Kreditengagements, bei denen einer dieser Themenbereiche Schwächen zeigt. Wenn dann der Kapitalmarkt alternative Refinanzierungsformen oder die Fristentransformation zulässt, was wird dann aus der regionalen Wirtschaftsleistung?
Wie tief geht man ins Thema?
Nach meiner Erfahrung ist es für Finanzinstitute manchmal schwer, im Vorhinein festzulegen, wie tief die Mitarbeiter in ein bestimmtes Thema eintauchen sollen. Wie gut muss man sich wirklich z.B. mit Nachhaltigkeit auskennen, um den Einfluss des Themas auf die Unternehmerkunden zu verstehen? Mal platt ausgedrückt: Muss ich detailliert wissen, wie die Schaltkreise einer Fotovoltaikanlage funktionieren, um zu verstehen, dass sie eine gute/schlechte Investition für meinen Unternehmerkunden darstellt? Immerhin haben Firmenkundenberater oft rund 80 Verbünde, die sich über 30 bis 50 Branchen erstrecken. Können Sie da überhaupt überall voll in der Materie stecken? Oder reicht es nicht aus, so weit drin zu sein, dass man nicht plötzlich unvorbereitet im Regen steht, wenn der Unternehmer schließlich sagt: „Top, machen wir so!“ Nicht dass Sie sich so verhalten wie der Arzt aus dem Beispiel oben.
Zusätzlich stellt sich die Frage, wie tief man in den Kredit selbst eintaucht – immerhin sind eben auch die öffentlichen Fördermittel meist nur Kredite. Mit anderen Worten: Alles, was man mit dem Kunden bespricht, hat wiederum Auswirkungen auf seine Abläufe, Prozesse, Strukturen etc. Wollen/sollen die Institute auch diese Auswirkungen prüfen und bewerten, um diese Informationen wiederum ins Rating einfließen zu lassen? Das wäre praktisch nicht umzusetzen und würde uns wieder an den Punkt führen, an dem wir gestartet sind: Plausibilitätschecks und dem Kunden einfach mal auch ohne Nachweis glauben (Kredit kommt ja bekanntlich von „credere“ = „vertrauen“). Auch hier hilft wieder eine Betriebsbesichtigung, gerne auch mit Videoaufzeichnung wie oben beschrieben.
Tipp:
Schnappen Sie sich ruhig auch mal einen Unternehmer aus Ihrem Kundenportfolio, der all diese Themen schon gut umsetzt. Und dann fragen Sie bei ihm nach, ob Sie mit mehreren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem Institut in den Betrieb schauen können – in größerem Umfang als bei einer Betriebsbesichtigung. Also zum Beispiel in der Produktion, im Vertrieb, in der Verwaltung/Buchhaltung, Disposition etc. auch mal länger bleiben und die Prozesse mit nachvollziehen. In der Regel finden Unternehmer diese Idee richtig gut und Sie können daraus fürs eigene Institut lernen und zum Beispiel die beobachteten Abläufe für sich adaptieren.
Gesetzliche Vorgaben zu Chancen machen
Im Zuge der 7. Novellierung der MaRisk-Vorgaben und unter dem Eindruck von EBA, SREP und Co. ist es nun für die Institute noch wichtiger als bislang, sich noch tiefer gehend mit den Unternehmerkunden zu beschäftigen. Dazu sollten Sie sich insbesondere folgende Fragen stellen:
- Wie tief sollten wir uns in ein Thema einarbeiten?
- Wie generieren wir damit Erträge?
- Wie führen wir unter diesen Voraussetzungen Gespräche mit Unternehmerkunden?
Auf den ersten Blick mag die Flut an Regularien erschlagend, ermüdend und vielleicht sogar geschäftsverhindernd wirken. Doch ich bin der Überzeugung, dass Sie die nun notwendig gewordene tiefer gehende Beschäftigung mit dem Kunden nutzen können, um große Ertragspotenziale zu entdecken. Und dabei geht es nicht nur um völlig neue Erträge, sondern auch um Potenziale, die vielleicht schon immer bestanden, die man aber noch nicht entdeckt hatte. Es ist also an der Zeit, die neuen MaRisk-Richtlinien auch als Chance zu begreifen!
Und nutzen Sie auch Mittel wie die Videoberatung, um das immer knapper werdende Gut der Zeit sinnvoll einzusetzen. Natürlich nicht für alle Gespräche – doch für viele wäre es bereits möglich, die digitale Gesprächsführung einzuführen. Und wenn Sie nicht mehr für jedes Gespräch mit dem Auto anreisen müssen, dann spart das viel Zeit und Energie – was wiederum im Sinne der Nachhaltigkeit ist. Wer sich noch umfänglicher mit diesem Thema beschäftigen möchte – und generell mit den Möglichkeiten, die der Finanzberatung unter dem Eindruck der neuesten Regularien eröffnet werden –, dem empfehle ich einen Blick auf meinen zu diesem Thema maßgeschneiderten Workshop.
Zu guter Letzt noch ein Hinweis: Auch Berater/-innen aus den Bereichen Versicherungen Sachkomposit und Private Banking sollten im Groben wissen, welche Auswirkungen die gesetzlichen Regelungen im Kreditbereich haben. Und bitte beachten Sie in Ihrer Gesprächsführung: Sie treffen auf Unternehmer, die im Thema sind und genau wissen, dass bestimmte Anlageformen eben nicht wirklich „green“ sein können.
Ich wünsche Ihnen auf jeden Fall schon einmal, dass Sie die neuen Vorgaben und Regularien als Chancen erkennen und ein gesundes Gleichgewicht aus gesetzlich vorgeschriebener Mehrarbeit und zusätzlichen Erträgen daraus ziehen können.
Kontakt
Dirk Wiebusch
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