Als das Corona-Virus Anfang 2020 nach Europa herüberschwappte, waren hierzulande die wenigsten darauf vorbereitet. Als im März dann sogar vonseiten der Bundesregierung ein Lockdown verordnet wurde, um der Pandemie Herr zu werden, wurde mit einem Mal sowohl der Gesellschaft als auch der Wirtschaft klar: Die Lage ist doch etwas ernster als gedacht. Doch der Lockdown wurde bald darauf wieder gelüftet, und obwohl die Situation immer noch nicht wieder „normal“ ist, geht das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben mittlerweile weiter.
Das möchte ich zum Anlass nehmen, um an dieser Stelle die aktuellen Entwicklungen Revue passieren zu lassen. Denn wie ich es in meinen vergangenen 7 Beiträgen (am Ende dieses Artikels verlinkt) zum Thema Corona prognostiziert habe: Je länger die Pandemie andauert, desto stärkere Anpassungen werden Unternehmen und Finanzinstitute vornehmen müssen. Jetzt, da wir uns wieder auf den Normalzustand zubewegen, ist fraglich, wie viel davon langfristig Bestand haben wird.
Der Ist-Zustand der deutschen Wirtschaft
Wer in den letzten 6 Monaten die großen Massenmedien verfolgt hat, der ist mittlerweile wahrscheinlich vollständig verwirrt. Denn vom Abstreiten, dass es überhaupt eine Pandemie gibt, bis hin zu Untergangsprophezeiungen für die deutsche Wirtschaft war alles dabei. Und zwar meist in schneller Abfolge hintereinander.
Wer sich wirklich mit der deutschen Wirtschaftslandschaft beschäftigt, der weiß: Multinationale Firmen, lokale Unternehmen und Kleinstbetriebe funktionieren jeweils nach eigenen Regeln, ganz zu schweigen von den großen Differenzen zwischen Betrieben in unterschiedlichen Branchen. Was in den Medien gerne zu einem erzwungen homogenen Gesamtbild vermischt wird, muss unbedingt differenziert betrachtet werden. Und ein wenig Voraussicht kann bei einer solchen Betrachtung auch nicht schaden. So kann es beispielsweise sein, dass dem lokalen Handwerksbetrieb Corona bislang tatsächlich noch keinen Strich durch die Rechnung gemacht hat, im Vergleich zu manchen größeren Betrieben. Doch falls es beispielsweise zu einer Kündigungswelle kommt, mit der große Konzerne versuchen, Kosten einzusparen, dann werden die Handwerker ebenfalls bald in Schwierigkeiten kommen. Es erfordert also einen differenzierten Blick, um die Unterschiede zwischen großen Unternehmen und kleinen Betrieben zu verstehen, und eine vorausschauende Denkweise, um zu merken, dass die Krise auch bisher wenig betroffene Unternehmen trotzdem noch erreichen kann – mit etwas Zeitverzögerung.
Derartige Beispiele für die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung finden sich zur Zeit in jeder Branche:
- Geht ein Unternehmen insolvent, aber es gibt auf dem Markt ohnehin eine Überproduktion, so wird dies zunächst kaum Auswirkungen auf den Markt bzw. die Endkunden haben.
- Trotz Corona-Einbußen in den meisten Branchen ist die Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt ungebrochen – die Menschen müssen nun mal auch während einer Pandemie irgendwo leben.
- Einzig Büroimmobilien könnten eventuell in Zukunft weniger abwerfen, falls von den Unternehmen auch langfristig mehr auf Homeoffice gesetzt wird. Das wird sich jedoch erst noch zeigen müssen. Zumal es erhebliche Unterschiede zwischen „mobilem Arbeiten“ und „echtem Homeoffice“ gibt.
- Bei Gewerbeimmobilien setzt sich der Trend der letzten Jahre auch in Corona-Zeiten ungebrochen fort: Ältere Immobilien sind weniger gefragt, neue, zukunftsfähige und nachhaltige Immobilien umso mehr.
- In vielen Branchen wurden manche größere Projekte (Digitalisierung, Bürorenovierung etc.) gestoppt, da die Unternehmen Liquidität zurückhalten möchten. Das hat wiederum Auswirkungen auf die Erträge derjenigen Firmen, die diese Projekte durchführen sollten. Andererseits werden viele Projekte, die bereits tief in der Planungsphase waren, weiterhin durchgeführt – diese jetzt einfach abzubrechen, wäre mit zu hohen Kosten verbunden (oder es sind Projekte, die sich einfach nicht verschieben lassen).
Was mich an der aktuellen Situation besonders positiv stimmt, ist, dass eine gigantische Anzahl an deutschen Unternehmen diese komplexen Zusammenhänge sowie die Notwendigkeit einer differenzierten Betrachtung durchaus versteht. Und sehr viele der ca. 3,4 Millionen Unternehmen konnten ihr Verständnis für den Markt bereits in handfeste Ideen umwandeln, um mit den Herausforderungen der Pandemie umzugehen. Mit unbändigem Willen, schierer Kreativität, Flexibilität und Durchhaltevermögen wurden neue Geschäftsfelder erschlossen und neue Arbeitsstrukturen etabliert.
Nicht, dass man davon in den Medien viel erfahren würde. Ironischerweise sorgen viele der von der Digitalisierung bereits gebeutelten Massenmedien in Corona-Zeiten vor allem durch negative Berichte für das eigene Überleben.
Wie steht es um die Familienunternehmen? Und wie erkennen wir, wie es um sie steht?
Legen wir bei den großen und kleinen Familienunternehmen der Republik den Maßstab einer differenzierten Betrachtung an, merken wir schnell: Viele Statistiken, die aktuell durch die Welt geistern, sind eigentlich nicht zu gebrauchen, um den Gesamtzustand dieser Unternehmen zu beleuchten. Denn eine alleinige Betrachtung beispielsweise der KfW-Darlehen (Menge und Volumen) ist leider für sich genommen wenig aussagekräftig. Vielmehr rate ich, folgende Informationen für eine Gesamtbetrachtung zusammenzutragen:
- Wie sieht die Firmenliquidität aus (aktuell und Verbrauch der letzten 6 Monate)?
- Wie viel Privat-Cash wurde dem Unternehmen zugeführt?
- Wurden Zahlungen für Pachtverträge „an sich selbst“ unterbrochen?
- Welche Darlehen (z. B. KfW) wurden in Anspruch genommen?
- Spezifisch: Welche (Corona-)Bankdarlehen wurden in Anspruch genommen?
- Wurden Tilgungen gestundet?
- Wie stark wurden die schon länger bestehenden Kreditlinien ausgeschöpft?
- Gab es Steuerstundungen oder Verlustrechnungen?
- Wurden Sozialabgaben gestundet?
- Gab es Lieferkredite?
- usf.
Spricht man übrigens direkt mit den Unternehmern, ist das Bild von der aktuellen Lage eher einheitlich positiv. Nur die wenigsten gingen bislang überraschend insolvent und auch bei den meisten Unternehmen, die während Corona echte Probleme bekommen haben, war eigentlich 2019 schon absehbar, dass man sich auf keinem guten Weg befand.
Förderkredite und ähnliche Hilfen wurden zwar von vielen Familienunternehmen beantragt, doch letztlich wurden sie oft gar nicht vollständig ausgeschöpft, weil es nicht notwendig war. Berechtigte Sorge von einer breiten Menge an Unternehmern kommt lediglich aus spezifischen Branchen, wie etwa der Veranstaltungs- und Konzertbranche. Diese werden durch den zeitweisen Lockdown, die strengen Hygieneauflagen und die Vorsicht der potenziellen Kundschaft langsam aber sicher an ihre finanziellen und psychischen Grenzen gedrängt. Auch hier: Ein differenzierter Blick hilft, die Unterschiede zwischen den Branchen zu erkennen.
Wie geht es mit den Bilanzen für 2020 weiter?
Vor wenigen Monaten habe ich hier im Magazin zum ersten Mal das Thema Bilanzen für die Kreditvergabe in Corona-Zeiten (und danach) angesprochen. Und es sieht so aus, als sollte ich (leider) recht behalten: Durch Corona-bedingte Veränderungen in Geschäftsmodellen und vermeintlichen Ungereimtheiten bei den Zahlen werden mindestens 2020 noch die Jahresbilanzen der meisten deutschen Unternehmen völlig unrepräsentativ sein. Und das bedeutet, dass spätestens für eine Kreditvergabe 2021 die Frage gestellt werden muss: Wie gehen Finanzinstitute damit um, wenn sie wissen, dass die vorgelegten Bilanzen nicht die eigentliche Situation des Unternehmens widerspiegeln? Die BaFin hat bereits signalisiert, dass sie keine Corona-bedingten Änderungen an den verbindlichen Vorgaben zur Kreditvergabe durchführen wird. Von dieser Seite aus ist also keine Unterstützung zu erwarten, weder für die Institute noch für die Unternehmen.
Mein Rat an Finanzdienstleister ist deshalb: Bleiben Sie jetzt nah am Kunden! Arbeiten Sie sich durch die Geschäftsmodelle, um hier präventiv einen möglichst großen Handlungsspielraum zu bekommen. Sie werden noch einige Zeit mit den durch Corona verfälschten Zahlen arbeiten müssen, also erweitern Sie jetzt Ihren Blick auf all das, was die reine Bilanz nicht abdecken kann. Verstehen Sie das Geschäftsmodell und die Wertschöpfungsketten Ihrer Kunden, dann haben Sie in dieser Ausnahmesituation einen wesentlich besseren Eindruck davon, wie Ihre Kunden gerade wirklich dastehen.
So geht es aktuell den Finanzinstituten
Bei Banken, Sparkassen und Volksbanken sowie freien Vermögensberatern/Vermögensverwaltern zeigte sich genau wie bei den Unternehmen, dass die Art und Weise, wie das Institut aufgestellt war und wie es auf die Herausforderungen der Krise reagiert hat, sehr unterschiedlich war. Dementsprechend unterschiedlich stellen sich die aktuelle Lage sowie die Zukunftsaussichten dar: Einige Institute haben in der Krise sogar mehr Erträge erwirtschaftet, während andere nur niedrigmargiges Kreditgeschäft gemacht haben. Einige haben die Krise genutzt, um positiv auf die Kunden zuzugehen – zum Beispiel mit innovativen Lombardkrediten, gekoppelt mit freien Grundschulden (gerade Value-orientierte Unternehmer haben dies zum Markteinstieg bei Top-Einzelaktien genutzt). Andere haben nur reagiert. Wer besonders schlau ist, prüft jetzt, 6 Monate nach dem ersten Lockdown, seine Schlüsselkunden manuell und individuell erneut durch, um die aktuelle Situation im Kundenportfolio einschätzen zu können. Andere Institute tun dies nicht – und werden vielleicht bald merken, welches Versäumnis sie sich hier leisten.
Die unterschiedliche Herangehensweise in Bezug auf die Corona-Krise ist jedoch kein Wunder, denn je nach Aufstellung der Institute war auch die Ausgangssituation eine andere: Regionalinstitute haben beispielsweise tendenziell viele regionale Kunden und praktisch keine multinationalen Konzerne. Und wie wir ja eingangs bereits festgestellt haben: Für kleinere Betriebe wie Handwerker wird die eigentliche Krise erst zeitverzögert eintreffen. Mit anderen Worten: Für kleinere, regionale Institute gab es bislang noch weniger Handlungsbedarf. Größere Institute wurden direkt gezwungen, auf die Krise zu reagieren. Doch auf der anderen Seite der Medaille wiegen sich jetzt manche regionalen Institute in trügerischer Sicherheit. So lange, bis ihre Kunden die Nachwehen von Corona zu spüren bekommen. Als Finanzberater ist es spätestens jetzt an der Zeit, der Risikoprävention neben der Provisionssteigerung und dem Zukunftsgespräch Raum einzuräumen, sowohl bei der Beratung Ihrer Kunden als auch bei strategischen Überlegungen im eigenen Institut.
Eine spezielle Situation für das Private Banking
Gerade im Private Banking für Unternehmerkunden zeigt sich aktuell ein sehr heterogenes Bild, da einige Unternehmer überhaupt keine Zeit haben, sich „ausgerechnet jetzt“ mit dem Privatvermögen zu befassen, während andere gerade jetzt ein stärkeres Interesse am Thema bekommen haben. Viele von ihnen haben vor der Krise noch nie Nutzen aus dem Wertpapiermarkt gezogen und in den letzten 6 Monaten die ersten Erfahrungen damit gemacht. Hier lässt sich ansetzen, denn diese Unternehmer haben den Wert von Wertpapieren nun erkannt und verinnerlicht.
Für die Beratung von Unternehmerkunden durch Beratertandems aus Firmenkunden- und Private-Banking-Beratern hat sich Corona übrigens als tendenziell positiver Impuls herausgestellt: Zwar berichten mir Institute, bei denen die Zusammenarbeit der beiden Bereiche schon vor Corona nicht richtig funktionierte, dass sich diese Situation auch jetzt nicht gebessert hat. Doch dort, wo die Tandems effektiv zusammenarbeiten, lässt sich sogar noch eine Steigerung der Produktivität feststellen. Mit anderen Worten: Corona hat funktionierenden Tandems zu noch mehr Erfolg verholfen und bei nicht funktionierenden diesen Missstand vollständig aufgedeckt – ergreifen Sie die Chance, um an der wichtigen Beratungskonstellation zu arbeiten!
Wird die Krise auch auf die Finanzwelt umschlagen?
Die gute Nachricht: Ich glaube nicht, dass wir uns aufgrund von Corona auf eine flächendeckende Bankenkrise vorbereiten müssen. Das liegt vor allem daran, dass Unternehmen und Institute mittlerweile sehr vorsichtig geworden sind:
- Extrem große Kredite werden fast immer von mehreren Großbanken gestemmt.
- Die Unternehmen verteilen größere Kredite eigenständig auf mehrere Anbieter.
- Selbst größere regionale Institute verteilen ihre Großkredite teilweise schon ab 45 % Auslastung der Kreditgrenzen auf mehrere Institute.
- Dadurch entsteht eine „Domino-Blockade“: Kreditausfälle werden automatisch auf mehrere Banken verteilt und dadurch macht jede einzelne weniger Verlust. Mehr aber auch nicht. Kettenreaktionen bei Kreditgebern bei einzelnen – mitunter größeren – Unternehmensinsolvenzen in großem Maße erwarte ich derzeit nicht.
Als weiteres positives Signal werte ich, dass die Institute zur Zeit Rückstellungen, Einzel- und Sammel-Wertberichtigungen und ähnliche Maßnahmen zur Risikoprävention vornehmen. Das ist kein Zeichen einer schlechten Position, sondern die gebotene Vorsicht in solchen unsteten Zeiten.
Auch intern hat sich einiges getan, denn vom Vorstand bis zu einzelnen Mitarbeitern wurde im Laufe der Corona-Krise schnell klar, auf wen man sich verlassen kann, wer handelt, statt nur heiße Luft zu blasen, und wer dabei eher bürokratisch oder eher pragmatisch vorgeht. Wer in der Krise Lösungen gefunden hat (ob nun bürokratisch oder praktisch), der konnte sich hervortun. Und die Institute wissen nun genauso wie die Unternehmen, auf wen sie sich in den eigenen Reihen – aber auch bei den Unternehmern – wirklich verlassen können. Ich verstehe das als positives Signal, das in Zukunft die effiziente Zusammenarbeit stärken könnte.
Der Blick in die Kristallkugel: Wie wird es weitergehen?
Nach dem aktuellen Stand der Lage – trotz steigender Fallzahlen – gehe ich davon aus, dass es keinen zweiten bundesweiten Lockdown geben wird. Damit wird Corona nicht der marktwirtschaftliche Game Changer werden, für den wir das Virus noch vor einigen Monaten gehalten haben. Eine düstere Prophezeiung, die bislang lediglich auf Branchen wie die Event-Industrie zugetroffen hat. Falls es keinen zweiten Lockdown geben wird, wäre dies sogar ein besonders positives Signal. Denn mit der Konjunktur geht es nachweislich aktuell wieder bergauf, und zwar schneller als gedacht. Ein zweiter Lockdown könnte diese Entwicklung langfristig stoppen und den erhofften Aufschwung nach einer vergleichsweise kurzen Krisenphase zunichtemachen. Gehen wir also tatkräftig, besonnen und mutig in die spannende Zukunft, die sich uns nach einer überstandenen Corona-Krise bieten wird.
Reflektieren Sie gemeinsam mit uns 6 Monate Corona und die Auswirkungen auf Finanzinstitute und ihre Unternehmerkunden:
- Kundenbeziehungen und Kreditengagements mit Familienunternehmen müssen neu gedacht werden – aber ohne die BaFin wird es nichts!
- Das Deutschland der Zukunft – Unternehmerland oder Loser-Land?
- Finanzdienstleister und Familienunternehmen: In guten wie in schlechten Zeiten, bis dass der Staat (und Corona) uns scheidet?
- Corona-Krise: Warum und wie Private Banker sich gerade jetzt bei Unternehmern positionieren sollten!
- Corona-Krise: Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen? Und die Banken müssen die Nachricht überbringen. Chance und Risiko zugleich!
- Unternehmertypologien: Wie sich Familienunternehmer in der Krise verhalten – Tipps für die Gesprächsführung
- In schweren Zeiten Seite an Seite mit Unternehmern: Ein Lob an alle Banken, Sparkassen, Volksbanken und Finanzdienstleister
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