Wenn ich in meinen Seminaren und Vorträgen mit Finanzberatern spreche, die zum ersten Mal dabei sind, dann stelle ich oft fest, dass diese schon ein ganz genaues Bild davon mitbringen, wie ein Unternehmer so tickt. Doch der erste Eindruck kann oft täuschen. Manche Mythen, die sich um Unternehmer ranken, sind zwar durchaus berechtigt, doch manchmal aus ganz anderen Gründen. In diesem Artikel möchte ich mich einigen dieser typischen (Vor)urteile über Unternehmer widmen und überprüfen, welche davon in der Realität Bestand haben und welche vielleicht noch einmal überdacht werden sollten.
1. Unternehmer sind anders als „normale Menschen“
Beginnen wir die Liste der Einfachheit halber mit einem Mythos, der tatsächlich zu 100 % wahr ist: Ja, Unternehmer wirken nicht nur anders, sie „ticken“ auch anders als die meisten. Bedenken Sie nur, dass statistisch von 100 Existenzgründern nach 5 Jahren nur noch 20 auf dem Markt sind, nach 10 Jahren nur noch 4 und nach 20 Jahren nur noch 1 von 500 Gründern. Würde auf irgendeinem beliebigen anderen Gebiet in unserer Gesellschaft so drastisch ausgesiebt, würden wir auch dort erkennen können, dass nur eine bestimmte Sorte Mensch aus dieser Prozedur herauskommt. Bei den Unternehmern sind es diejenigen, die extrem resilient und durchsetzungsstark sind und sich dementsprechend im Gespräch oft hart, schnell, direkt und sehr fordernd verhalten.
Doch Vorsicht: Glauben Sie jetzt nicht, dass deshalb alle Unternehmer exakt gleich sind. Es sind immer noch Menschen, mit denen wir es hier zu tun haben. Und das bedeutet, dass manche von ihnen eher defensiv eingestellt sind, andere fordernder, wieder andere fast schon aggressiv (er selbst würde es natürlich als „dynamisch“ bezeichnen ;-)). Einige warten eher ab, andere schlagen sofort zu, manche gehen gerne auf potenziell lukrative Risiken ein, andere bleiben lieber bei den Erträgen, die sie sicher in der Tasche haben. Unternehmer sind also grundsätzlich besondere Menschen, aber wie sich das genau äußert, ist von Unternehmer zu Unternehmer unterschiedlich. Deshalb ist es so wichtig, für jeden Unternehmer eine eigene Typologie anzufertigen, die als Grundlage für den Kundenkontakt dient.
2. Top-Unternehmer sind arrogant
Dieser Mythos ist ein interessanter Fall, denn er ist in den meisten Fällen absolut falsch – und trotzdem ist es völlig verständlich, warum sich vielen dieser Eindruck aufdrängt. Denn Unternehmer sind tendenziell selbstbewusst und stark. Sie haben also Eigenschaften, die aus einem bestimmten Blickwinkel betrachtet leicht als arrogant empfunden werden können.
Unternehmer sind es gewohnt, eine eigene „Herde“ anzuführen, und dazu ist es notwendig, ihre Stärke auch zu zeigen (nicht zu verwechseln mit unterschiedlichen Führungsstilen). Wer sich genauer mit Unternehmern beschäftigt, merkt außerdem schnell, dass sich diese Menschen typischerweise stark auf ihre Firma, auf die Produkte und auf die eigene Familie fokussieren. Da kann es dann schon mal vorkommen, dass man eine Stunde mit einem Unternehmer spricht, ohne auch nur ein Wort über Persönliches zu erfahren. Es geht dann immer nur um den Unternehmer und seine Firma – weil er einfach nicht genug Zeit hat, sich auf persönliche Themen einzulassen oder auch mal über Gott und die Welt zu palavern.
Mit anderen Worten: Das Verhalten, das diese Menschen an den Tag legen, kann arrogant wirken, war aber letztlich entscheidend dabei, das eigene Unternehmen überhaupt durch die ersten Jahre zu bringen. Schauen Sie sich die Statistik aus Mythos 1 noch einmal an: Jemand, der sich mit harter Arbeit durch dieses Sieb hat zwängen können, wird selbstverständlich an allen Stellen seines Lebens harte Prioritäten setzen. Da kann aus Sicht Dritter die soziale Kompetenz schon einmal unterrepräsentiert sein.
3. Die Firma geht Unternehmern über alles
Kategorisch: Ja! Wer es in der Geschäftswelt schaffen will, der hat meist auch gar keine andere Wahl, wie wir es schon bei Mythos 1 und 2 gesehen haben. Unternehmer setzen fast immer die Firma an die erste Stelle der persönlichen Prioritätsskala, danach die eigene Familie … und dann kommt erst mal eine ganze Weile gar nichts.
100-Stunden-Wochen sind für Unternehmer deshalb auch keine Seltenheit. Bei durchschnittlich 5.000 Stunden im Jahr sind das nach 30 Jahren 150.000 Stunden wertvoller Lebenszeit, die in das Unternehmen gesteckt wurden. Deshalb hat man übrigens als Berater schnell einen Fuß in der Tür, wenn man ehrliches (!) Interesse an der Firma und den dortigen Abläufen zeigt. So lässt sich auch der subjektive Wohlfühlfaktor hervorragend etablieren.
4. Große Unternehmer haben immer Vermögen fürs Wealth Management oder Private Banking parat
Bei diesem Mythos stimmt leider nur ein Teil. Nämlich, dass Unternehmer mit großen Firmen über Vermögen verfügen. Was jedoch auch stimmt, ist, dass dieses Vermögen typischerweise in der Firma „arbeitet“ oder in Immobilien gesteckt wurde.
Der typische Unternehmer ist also paradoxerweise vermögend, aber nicht liquide. Und das sorgt dafür, dass Institute, die sich auf Wertpapierberatung fokussieren, oft das Nachsehen haben. Wer dies gerne näher beleuchten möchte, dem empfehle ich, sich meinen Artikel zu diesem Thema durchzulesen. Dort erkläre ich noch genauer, welche Faktoren zu dieser paradoxen Situation führen und wie man als Finanzberater vielleicht dennoch einen Ansatzpunkt finden kann.
5. Unternehmer mögen grundsätzlich keine Wertpapiere
Oh doch, Unternehmer mögen Wertpapiere sehr! Was sie allerdings nicht mögen, ist das Gefühl, die Kontrolle über ihr Geld aus der Hand zu geben. Oder zu viel Zeit für das minutiöse Management der Wertpapiere aufzuwenden. Und was sie allerdings oft nicht verstehen, ist die Logik, die hinter Kursschwankungen und Bewertungen der Börsenunternehmen steht. Unternehmer sind nicht immer – aber sehr oft – „Value“-Fans. Für Sie muss ein Unternehmen Substanz haben. Sie bewerten ein Börsenunternehmen wie ihr eigenes. Da sind psychologische Spielchen, Chartanalysen und Algorithmus-Trading „Teufelszeug“.
Das Institut Für UnternehmerFamilien (IFUF) ist durch die systematische Befragung von Unternehmern zu dem Schluss gekommen, dass Unternehmer ihre Zeit typischerweise so verteilen:
- 95 % Firma
- 4 % Familie und Hobbys
- 1 % Verwaltung des Privatvermögens
Das Privatvermögen legen sie deshalb eher in Immobilien an – die sind vermeintlich besonders beständig und einfach zu handhaben. Wertpapiere sind also durchaus interessant für Unternehmer, aber nur, sofern sie sich gut dabei fühlen können, diese nicht selbst zu verwalten. Und das erfordert viel (hart erarbeitetes) Vertrauen gegenüber dem Finanzberater.
6. Unternehmer wechseln ihre Berater bzw. ihr Finanzinstitut nicht
Dieser Mythos ist prinzipiell richtig. Denn jeder Wechsel kostet den Unternehmer und seinen Mitarbeitern Zeit und Geld. Das bedeutet, dass man einen Unternehmer typischerweise nur dann zum Wechsel bewegen kann, wenn sein bisheriges Institut wirklich schlechte Leistung bringt. Oder wenn man als Alternativinstitut besonders gute Konditionen anbieten kann, welche die Kosten des Wechsels wieder aufwiegen. Oder der subjektive Mehrwert, den der neue Berater oder das neue Institut bietet, ist so überragend, dass der Unternehmer die Wechselkosten in Zeit und Geld in Kauf nimmt.
Haben Sie es sich zur Aufgabe gemacht, einen Unternehmerkunden von der Konkurrenz abzuwerben, können Ihnen meine 10 Gründe, warum Unternehmer nicht zu Ihnen wechseln, sicher dabei behilflich sein, einen passenden Ansatzpunkt zu finden und den Unternehmer erfolgreich vom Wechsel zu überzeugen.
7. Unternehmer sind kaum zu erreichen und rufen nie bzw. selten zurück
Das ist tatsächlich die Wahrheit – zumindest unter bestimmten Bedingungen. Denn Unternehmer sind zwar häufig in Besprechungen und deshalb schwer erreichbar. Ob Sie dann einen Rückruf erhalten, ist jedoch ganz davon abhängig, wie Sie Ihre Rückrufbitte formulieren: Geben Sie gar keine Gründe für den Anruf an, landen Sie meist auf der „Später“-Ablage. Schließlich liegt für den Unternehmer immer irgendetwas an, was jetzt gerade wichtiger erscheint, als einen Finanzberater zurückzurufen, der noch nicht mal gesagt hat, worum es überhaupt geht.
Können Sie jedoch präzise formulieren, worum es geht, was besprochen werden soll und wie lange das Gespräch dauern wird, haben Sie wesentlich bessere Chancen auf den Rückruf. Hält der Unternehmer es dann anhand der von Ihnen zurückgelassenen Nachricht für wichtig, Sie zurückzurufen, wird er die Zeit dazu finden! Und als Praxistipp: Vereinbaren Sie mit Unternehmern auf jeden Fall Telefontermine mit exakter Zeitangabe (wann, wie lange etc.) und Thema sowie Inhalt des Telefonats. Das wird Sie weiterbringen als die Königskinder-Methode, in der jeder zig Mal versucht, den anderen zu erreichen.
8. Unternehmer mögen überhaupt keine Banken
Dieser Mythos ist zumindest in seiner allgemeinen Formulierung nicht korrekt: Unternehmer schätzen Banken, Sparkassen, Volksbanken etc. sehr. Allerdings sehen sie diese eher als „Mittel zum Zweck“, zur Erfüllung der unternehmerischen und privaten Vermögensinteressen.
Institute, bei denen der Unternehmer das Gefühl hat, dass sie sich zu stark in seine eigenen Belange einmischen, kann er jedoch weniger gut leiden. Dann blockt er schnell ab. Erarbeiten Sie sich also das Vertrauen des Unternehmers und Sie werden bald an einen Punkt kommen, wo er Sie mit Respekt, Vertrauen und Loyalität behandelt. Dann ist es auch vorbei damit, sich vom Unternehmer „alles gefallen lassen zu müssen“ (was Sie ohnehin nicht tun sollten, wenn Sie ernst genommen werden möchten).
9. In finanziellen Dingen vertrauen Unternehmer, wenn überhaupt, nur langjährigen Mitarbeitern oder Beratern
Auch an diesem Mythos ist etwas Wahres, allerdings ist er etwas zu pauschal formuliert: Ja, Unternehmer vertrauen langjährigen Wegbegleitern tendenziell eher. Diese arbeiten mit sensiblen Informationen und müssen deshalb verschwiegen und loyal sein. Und das haben sie meist viele Jahre lang unter Beweis gestellt. Sie sind die perfekte Vertrauensperson.
Doch Unternehmer vertrauen eben nicht „nur“ diesen Menschen. Unternehmer denken komplex und ganzheitlich. Deshalb benötigen sie immer Menschen mit Fachexpertise und individuellen Lösungen, auch wenn sie vielleicht noch nicht so lange mit ihnen zusammengearbeitet haben. Wer also derartige Kompetenzen mitbringen kann, dem wird der Unternehmer zumindest etwas Vertrauen schenken. Und das kann der erste Schritt auf dem langen Weg zum vollen Vertrauen sein.
10. Unternehmer können nicht loslassen
Diesen Mythos hört man meist in Verbindung mit der Unternehmensnachfolge: der Klischee-Unternehmer, der sich gar nicht erst mit der Nachfolge beschäftigen will, bevor es zu spät ist. Und das trifft eigentlich auch auf die meisten zu. Doch die Gründe für dieses Verhalten liegen nicht in der Angst, seinen „Machtstatus“ oder seinen Status als Respektsperson zu verlieren. Vielmehr geht es meist um handfeste Dinge:
- Vielleicht ist die finanzielle Versorgung der eigenen Familie nach Abgabe der Firma nicht gewährleistet und damit die Rente in Gefahr.
- Oder der auserkorene Nachfolger aus der Familie ist noch nicht bereit, in die Fußstapfen des Unternehmers zu treten.
- Oder, noch profaner: Der Unternehmer kann sich nicht vorstellen, was er mit seiner Zeit anfangen soll, wenn die Firma mal weg ist.
Es gibt aus Unternehmersicht zahlreiche Gründe, die Nachfolge aufzuschieben. Wer als Finanzberater hier ansetzen möchte, kann sich gern mit einigen der typischen Gründe vertraut machen, die ich in meinem Artikel zum Generationenmanagemt näher betrachte. So lässt sich auch ein entsprechender Ansatzpunkt für die Nachfolgeregelung finden.
Ein neuer Blickwinkel auf den Unternehmer
Wir sehen also: Nicht alles, was man über Unternehmer denkt, ist auch wahr. Und nicht alles ist wirklich falsch. Vielleicht hat dieser Artikel auch bei Ihnen schon ein paar etablierte Meinungen über den Haufen werfen können – und vielleicht haben Sie bei anderen Mythen gedacht: „Das hab ich doch schon immer gesagt!“ So oder so würde ich mich freuen, wenn Ihnen diese kleine Liste der typischen (Vor)urteile über Unternehmer geholfen hat, Ihren Blick auf diesen besonderen Menschenschlag weiter zu differenzieren. Denn falsche Mythen sind letztlich nur unnötige Hürden auf dem Weg zum echten Unternehmer-Versteher.
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Dirk Wiebusch
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