Als Apple Ende 2023 ankündigte, von seinen proprietären Thunderbolt-Anschlüssen auf USB‑C umzusteigen, verkaufte der kalifornische Technikriese diesen Schritt als technologische Innovation. Tatsache ist jedoch: Dahinter stecken neue EU-Auflagen, die für alle in Europa verkauften Neugeräte USB-C-Anschlüsse zwingend vorschreiben – zur Vermeidung von Elektroschrott. Und auf genau diese Weise wird das Thema ESG in Zukunft auch für diejenigen Unternehmen und Zulieferer relevant, die sich vielleicht aus eigenem Antrieb nie um Nachhaltigkeit gekümmert hätten, doch Teil der Lieferkette und demnach ebenso unter Zugzwang sind. Viele Unternehmen sehen zwar den Handlungsbedarf, haben aber im Tagesgeschäft (vermeintlich) wichtigere Themen aufzuarbeiten. In diesem Artikel möchte ich Ihnen einen Blick hinter die Kulissen der Familienunternehmen geben und Ihnen zeigen, warum das Thema ESG immer wieder aufgeschoben wird und wie für Sie als Finanzdienstleister wichtige Erträge dabei herausspringen können.
ESG im Gespräch mit dem Familienunternehmer – Mission Impossible?
Bedingt durch gesetzliche Vorgaben und selbst auferlegte Maßstäbe sind derzeit nahezu alle Institute dabei, ihre Vertriebsmitarbeiter (mindestens die Firmenkundenberater) tief in das Thema ESG-Scores einzuarbeiten. Darum höre ich in letzter Zeit häufig aus den Banken, Volksbanken, Sparkassen und anderen Institutsgruppen, dass die Firmenkundengespräche zum Thema ESG zwar oft sehr interessant sind, aber am Ende vielfach nur Lippenbekenntnisse von den Familienunternehmern produzieren.
Wie kann das sein? Aufmerksame Leser des Versteher-Magazins bzw. Hörer des Versteher-Podcasts wissen: ESG ist zwar ein wichtiger Teil unserer sieben Fokusthemen, aber eben (noch) nicht deren Haupttreiber. Akut wird es erst dann, wenn ESG plötzlich vorgeschrieben ist. Sie wissen, dass nahezu alle deutschen Familienunternehmer irgendwo entlang einer Wertschöpfungskette stehen – die klassischen Zuliefererbetriebe. Wenn also der Familienunternehmer von einem großen Kunden ESG-Auflagen bekommt, dann hat der Unternehmer schlagartig ein Interesse daran, dieses Thema umzusetzen. Umso mehr, wenn kreditgebende Banken sowie Versicherungen ebenfalls ESG-Richtlinien einzuhalten haben.
Selbst Unternehmer, die dem Thema eher skeptisch gegenüberstehen, müssen nun schauen, wie sie die Aufgabe und Herausforderung betriebswirtschaftlich sinnvoll umsetzen.
Die wichtigsten Fragen für den Unternehmer
Ich habe schon häufig darauf hingewiesen, dass sich für den Unternehmer in einer solchen Situation eigentlich nur vier Fragen stellen:
- Wer in der Firma soll das machen bzw. kennen wir kompetente Externe?
- Was wird das Ganze kosten?
- Wie lange wird die Planung/Umsetzung dauern?
- Woher bekommen wir die Investitionsmittel?
Subventionen der Bundesländer werden dabei besonders wichtig, denn für Punkt 4 gibt es wiederum nur fünf Optionen:
- Förderzuschüsse (müssen nicht zurückgezahlt werden)
- Fördermittel-Kredite
- Bankkredite
- Eigenkapitalzuschuss
- Leasing
Kompliziert wird es, da sich manche Optionen gegenseitig ausschließen. Überschätzen Sie nicht, wie tief sich die Finanzbuchhaltung eines mittelständischen Familienunternehmens tatsächlich in derart komplexe Finanzkonstrukte einarbeiten kann.
Ein Beispiel
Laut einer Pressemitteilung von 2021 verfügt der Weltkonzern Continental über rund 7.000 Lieferanten und verarbeitet etwa 170.000 unterschiedliche Teilenummern mit einem Gesamtvolumen von rund 165 Milliarden Einzelteilen. Jetzt stellen Sie sich vor, dieser Riese muss sich nun zusätzlichen ESG-Richtlinien fügen. Dann wird er zunächst die Treppe von oben kehren und die Vorgaben entsprechend dem Geschäftsvolumen an die Zulieferer weiterreichen. Selbst wenn Ihr Kunde als kleines Familienunternehmen also „nur“ Zulieferer des Zulieferers ist, wird er dieselben Auflagen erfüllen müssen, wenn auch zeitlich verzögert.
Wahrscheinlich erkennt der Unternehmer heute schon, dass hier bald Handlungsbedarf bestehen wird. Aber nach dem Motto „Ein Pferd springt nur so hoch, wie es muss“ gibt es nun mal noch keinen akuten Handlungsbedarf. Darum ist für Sie aktuell die größte Herausforderung, den Unternehmer dazu zu bringen, sich (auch ohne Druck) aktiv mit dem Thema zu beschäftigen. Ich bin jedoch überzeugt, dass es ab 2025 oder spätestens 2026, wenn die Banken (getrieben durch den Gesetzgeber) die entsprechenden Kennzahlen einfordern, keiner bewussten Veränderung im Denken der Unternehmer mehr bedürfen wird. Spätestens wenn der Druck von allen Seiten (Zulieferer, Kunden, Banken, Versicherungen, usw.) da ist, wird dann auch handfest umgesetzt.
Dann werden auch die nötigen Investitionen stattfinden, und ich halte es bis dahin weder für sinnvoll noch betriebswirtschaftlich umsetzbar, diese Entwicklung zu überstürzen. Wie immer gilt: Ein Familienunternehmen ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Die Frage ist somit nicht „ob“, sondern „wann und wie schnell“ ESG bei einem Großteil Ihrer Firmenkunden umgesetzt werden muss.
Wie man ESG heute schon bearbeitet und damit Erträge generiert
Ich empfehle, das Thema ESG nicht einzeln anzusprechen – und schon gar nicht mit der Begründung „Der Gesetzgeber verlangt das von uns“, denn das tut er ja in dieser Schärfe noch gar nicht. Vielmehr sollte ESG als Teil ganzheitlicher Strategie- und Jahresgespräche diskutiert werden. Denn aktuell kann man das Thema nicht losgelöst betrachten, sondern nur als Teil der sieben Fokusthemen.
Das Gute daran: Da (noch) kein Grund zur Eile gegeben ist, haben Sie ausreichend Zeit, sich in das Thema individuell einzuarbeiten. Ich empfehle, das in Branchenblöcken zu organisieren. Sie kümmern sich also zum Beispiel in den nächsten Monaten erst mal um alle Kunden aus dem Bereich Maschinenbau – das hat den Vorteil, dass Sie sich dann recht schnell in die Komplexitäten dieser spezifischen Branche einarbeiten können. Auf Basis dieser Erkenntnisse lassen sich dann ganz konkrete Geschäftsansätze zusammenfassen (Kredit, Versicherungen, Generationenmanagement etc.). Und anschließend konzentrieren Sie sich auf die nächste Branche. So kommen Sie Stück für Stück und systematisch voran. Sie werden sehen, das ist produktiver und ertragreicher für Sie, als dass der Firmenkundenberater 10 Kunden pro Monat auf ESG ansprechen soll, die aber alle unterschiedlichen Größen, Branchen und Voraussetzungen sowie Notwendigkeiten haben.
Des Weiteren bin ich davon überzeugt, dass sich die notwendigen Kompetenzen – Vernetzungskompetenz, Lösungskompetenz, Komplexitätskompetenz – so wunderbar trainieren lassen. Haben Sie an dieser Stelle bereits Lust, dies systematisch und strukturiert anzugehen, dann empfehle ich unseren Impulstag/Fachaustausch. Wie dieser aussehen kann, welche Themen und Schwerpunkte dort bearbeitet werden und wie sich das alles vor Ort umsetzen lässt, können Sie hier nachlesen. Gerade wenn Sie Kunden haben, die noch denken „Das betrifft uns ja nicht“, obwohl sie längst Teil einer großen Lieferkette sind, dann erfahren Sie hier auch, wie man beim Kunden heute schon ein Bewusstsein für die Wichtigkeit des Themas ESG schafft.
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