Liebe Leserinnen und Leser, ich wünsche Ihnen allen gleich zu Beginn dieses Artikels ein tolles, erfolg­reiches und gesundes neues Jahr!

2023 wird viele Heraus­for­de­rungen mit sich bringen – doch vor allem wird es ein Jahr der Trans­for­mation, Anpassung und Verän­derung werden. Der Grund dafür ist nicht nur der Themen­komplex ZICKKEL (Zinsan­stieg, Inflation, Corona, Krieg in der Ukraine, Klima­wandel, Energie­krise und Liefer­ket­ten­schwie­rig­keiten), sondern auch der Fachkräf­te­mangel und die nun immer stärker auf den Markt drängende Generation Z (als Konsu­menten wie auch als Arbeits­kräfte). Doch vergessen Sie bei all der externen und internen Zukunfts­ge­wandtheit nicht den Blick auf das Wesent­liche – die aktuellen Ertrags­bringer in Ihrer Firmen­kund­schaft. Denn was dann passieren kann, möchte ich hier anhand des Beispiels eines unserer Mandanten beim Institut Für Unternehmer­Familien (IFUF) darstellen. Der fühlt sich aktuell sowohl als Konsument als auch als Ü50-Unter­nehmer kaum noch beachtet.

Ü50-Kundschaft auf dem Abstellgleis?

Die Tage „zwischen den Jahren“ sind für mich persönlich immer besonders spannend, da Unter­nehmer diese Zeit oft für Betriebs­ferien nutzen. Das heißt: Sie „schließen die Firma ab“ und nutzen die Zeit, um sich Gedanken über das kommende Jahr zu machen. Besonders inter­essant ist dabei, dass diese Zeit, in der der Betrieb ruht, eine hervor­ra­gende Gelegenheit für eine meiner Lieblings­be­schäf­ti­gungen bietet: für Betriebsbesichtigungen!

Wenn Sie dem Versteher-Magazin schon einige Zeit folgen, dann wissen Sie: Betriebs­be­sich­ti­gungen sind eine echte Leiden­schaft von mir! Klar, denn sie sind nicht nur spannend, sondern auch wichtig für ein tiefge­hendes Verständnis des Unter­nehmens. Dabei erfahren Sie mehr über die Firma und machen sich ein Bild von der Arbeit und den Arbeits­be­din­gungen aus erster Hand statt nur über Zahlen in den Geschäftsberichten.

Mehr noch: Sie erfahren etwas über die Geschichte des Unter­nehmens und des Unter­nehmers. Denn Familien­unternehmen sind oft über Genera­tionen hinweg gewachsen. Sie sind voller Erfah­rungs­werte und Tradi­tionen, sie haben Krisen genauso miterlebt wie Boom-Zeiten – und all das schlägt sich darin nieder, wie die Firma heute so ist, wie die Menschen sind, die dort zusam­men­ar­beiten, und in welcher Geschichts­linie sich der Unter­nehmer an der Spitze der Firma verankert sieht.

Ich sage ja immer wieder, dass es gerade für die Zukunft wichtig wird, Unter­nehmen von Grund auf zu verstehen, ihre Wertschöp­fungs­ketten nachzu­voll­ziehen, den Unter­neh­mer­typus zu erkennen etc. In all diese Bereiche kann Ihnen eine Betriebs­be­sich­tigung unschätzbare Einblicke geben, während Sie dem Unter­nehmer gleich­zeitig ein ernst gemeintes Interesse signa­li­sieren. Und was wäre wohl besser, um das Vertrau­ens­ver­hältnis zwischen Ihnen und Ihren Kunden weiter zu stärken?

Zum Ende des Jahres war ich also zur Betriebs­be­sich­tigung bei einem der Mandanten des IFUF. Und während wir so durch die beein­dru­ckenden Produk­ti­ons­hallen gingen, unter­hielten wir uns locker über dies und das – kein Problem während des Betriebs­ur­laubs, da man ja nicht von Maschi­nenlärm gestört wird.

Wir kamen natürlich auch auf die nun zurück­lie­gende Weihnachtszeit zu sprechen. Und da erzählte mir der Unter­nehmer etwas Inter­es­santes, was er nur wenige Tage vor dem 24. Dezember erlebt hatte. Er und seine Frau waren in die Stadt gefahren, um sich ein bisschen vom Vorweih­nachts­stress zu erholen. Als Unter­nehmer hat man im Laufe eines Jahres ja eher wenig Zeit zum Einkaufen, also nutzte er die Gelegenheit, um sich im Flagship-Store eines inter­na­tio­nalen Sport­ar­ti­kel­her­stellers einige Sport­anzüge genauer anzuschauen. Für ihn war es gar keine Frage, in genau diesen Store zu gehen, denn er trägt seit 40 Jahren Sport­kleidung dieses Herstellers – er ist quasi Stamm­kunde der Marke. Ob das jedoch so bleiben wird, da bin ich mir aktuell nicht sicher, denn seine Erleb­nisse in dem Flagship-Store schil­derte er mir als maßlose Enttäuschung:

Das Erste, was ihm auffiel, war, dass der Shop seit seinem letzten Besuch komplett umgebaut worden war. Vom Design bis zur Struk­tu­rierung des Ladens war alles auf „modern“ getrimmt. Jetzt muss man wissen: Dieser Unter­nehmer ist keines­falls aus der Zeit gefallen. Er ist Jahrgang 1970, verhei­ratet, zwei Kinder und ein Enkelkind. Aber er ist wirklich technik­affin und kennt sich mit dem modernen digitalen Leben aus – es war ja schließlich seine Generation, die als erste mit Computern aufge­wachsen ist, vom C64 bis zum PC. Er hält sich auch mit regel­mä­ßigem Sport fit, kleidet sich modisch (vielleicht nicht „hip“, aber edles Under­statement). Und er fühlt sich mitnichten alt. Jetzt stand er aber in diesem Laden, aus allen Ecken dröhnte moderne Elektro-Musik, alles bunt, alles hip. Wären da nicht noch Klamotten in den Regalen gehangen, hätte er gedacht, er sei in eine Disco gestolpert.

Das besagte Sortiment war aller­dings ebenfalls auf eine ausschließlich jugend­liche Zielgruppe zugeschnitten. Seine geliebten Trainings- und Sport­anzüge waren im Laden gar nicht mehr ausge­stellt, dafür überall knall­bunte Kleidung mit riesigen Marken­logos, sodass man den Eindruck bekommen musste, man werde als Person und Träger der Anzieh­sachen vom Kunden zum unfrei­wil­ligen Werbe­bot­schafter deklas­siert. Dem Unter­nehmer ist klar, dass der Hersteller auch mit der Zeit gehen muss, aber für Leute wie ihn war da wirklich gar nichts mehr im Angebot. Von dezenter Farbgebung oder edlem Under­statement keine Spur, nicht mal „Standard-Kleidung“ war vorhanden und schon gar nicht die Ensembles, die er über Jahrzehnte immer wieder nachge­kauft hatte – natürlich mit dem einen oder anderen moder­neren Schliff, aber halt „wie immer“. Stellen Sie sich mal vor, wie sich der Unter­nehmer gefühlt hätte, wenn er das nächste Mal im neonfar­benen Kapuzen­pulli auf dem Sport­platz erschienen wäre. Das war garan­tiert keine Option!

Tolle Verkäufer, einge­schränktes Angebot

Der Unter­nehmer tat also etwas, was die Marke mit Sicherheit auch schon als „altmo­disch“ abgestempelt hatte: Er fragte einen Verkäufer, ob er denn noch irgendwo seine Trainings­anzüge bekommen könnte. Der Verkäufer – der übrigens (Zitat) „heraus­ragend“ war und ihn sichtlich gerne, freundlich, kompetent und absolut profes­sionell beraten wollte – konnte ihm aber leider keine guten Neuig­keiten überbringen. Er konnte dem Unter­nehmer nur sagen:

Der Hersteller hat vor einigen Jahren beschlossen, alle Verkaufs­flächen konse­quent auf die Generation Z auszu­richten. Das sind die Käufer, die man unbedingt haben möchte. Deshalb hat man seine Marke­ting­stra­tegie geändert und sponsert nur noch sehr wenig Vereine und fast nur noch Influencer mit vielen Followern. Damit diese Zielgruppe immer ‚frischeʻ Ware hat, ist man auch dazu überge­gangen, das Angebot mehrfach im Jahr zu wechseln und anzupassen. Das führt dann dazu, dass selbst wir als größter statio­närer Laden nur noch eine begrenzte Anzahl an Ware erhalten. Wenn die dann weg ist, ist sie weg. Es kommt ja schon kurz danach wieder neue, andere Ware rein. Wir haben kaum noch Lagerware vorrätig. Die Ensembles, die Sie suchen, werden nur noch über Koope­ra­ti­ons­partner vertrieben. Aber auch nur so lange noch, bis alles verkauft wurde. Es tut mir leid, aber Sie sind nicht mehr Teil der Zielgruppe unseres Unternehmens.“

Verständlich, dass der Unter­nehmer da wie vor den Kopf gestoßen war. Wie gesagt: Der Verkäufer war top und verhielt sich vollkommen respektvoll und wertschätzend. Doch die Marke hatte ihn offenbar im Stich gelassen. Da er nun aber Unter­nehmer war – und als Unter­nehmer fällt es schwer, wirklich mal abzuschalten –, inter­es­sierte er sich doch noch für weitere Details. Zum einen, weil er ja weiterhin seine geliebten Trainings­anzüge finden wollte, und zum anderen auch aus seinem Interesse als Produk­ti­ons­un­ter­nehmer, der ja selbst tagtäglich Entschei­dungen hinsichtlich des Angebots und der Zielkun­den­an­sprache trifft.

Er meinte also zum Verkäufer: „Das verstehe ich jetzt nicht. Ich kaufe seit Jahrzehnten immer wieder Ihre Produkte. Zwar nicht oft, aber wenn, dann direkt mehrere Kombi­na­tionen für einige Hundert Euro. Warum bin ich nicht mehr attraktiv und was habe ich verpasst, dass diese Entwicklung an mir vorüber­ge­gangen ist?“

Verkäufer: „Die Rechnung ist für den Hersteller recht einfach: Sie kaufen zum Beispiel nur alle 3 Jahre für 600 Euro ein. Umgerechnet also pro Jahr für 200 Euro. Wenn aber die Kollek­tionen alle 3 Monate wechseln und auf Instagram, TikTok und Co. von Influencern beworben werden, dann kauft die Zielgruppe zwei- bis viermal im Jahr für etwa 150 Euro bei uns. Also kleinere Beträge, aber deutlich häufiger. Das hebt den Umsatz an.“

Unter­nehmer: „O.k., aber warum habe ich davon nichts konkret erfahren?“

Verkäufer: „Sind Sie denn in Social Media unterwegs? Also auf Twitter, Instagram, TikTok?“

Unter­nehmer: „Nein, aber auf XING und LinkedIn. Und Werbung schaue ich auch kaum bis gar nicht.“

Verkäufer: „Sehen Sie, darum kann der Hersteller Sie nicht mehr ‚finden‘. Und deshalb erkennt er sie auch nicht mehr als Zielkunde. Tut mir leid.“

Vom Stamm­kunden zu „nicht mehr unsere Zielgruppe“

Der Dialog zwischen dem Unter­nehmer und dem Verkäufer ging selbst­ver­ständlich noch eine ganze Weile weiter, aber für unseren Vergleich zur Finanz­be­ratung von Familien­unternehmen und Unternehmer­familien soll uns das zunächst reichen. Denn schon an dieser Stelle können wir sehen, was passiert ist: Ein Stamm­kunde kommt nach einiger Zeit wieder in den Laden (ins Institut) und stellt fest, dass sich alles irgendwie verändert hat. Und er fühlt sich nicht länger wohl, fühlt sich nicht mehr „abgeholt“. Diese Proble­matik habe ich schon öfter im Versteher-Magazin angesprochen.

Einige weitere Artikel mit Einblicken in die Trans­for­mation der Finanz­branche und die damit einher­ge­henden Heraus­for­de­rungen finden Sie hier:

Struk­tu­rieren, segmen­tieren, umschlüsseln, überleiten: Wie Unter­nehmer darüber denken?

Geben Sie sich mit kleinen Fischen zufrieden? Die Geschichte der zwei Dörfer, die wie Finanz­in­stitute dachten

Neulich beim Kunden: Wenn Premium drauf­steht, muss Premium drin sein – dann zahlt der Kunde auch dafür

Private Banking für Unter­nehmer ist Luxus und nicht Discounter: Was Handta­schen damit zu tun haben, dass Finanz­in­stitute ihre Top-Berater verlieren

Für Menschen wie den Unter­nehmer aus der obigen Geschichte ist das Problem klar: Alles muss (gefühlt) nur noch „hip“ sein – New Work, Agile Work, Digital, ESG, Apps, Platt­formen, neu, neu, neu! Alles wird an die Wand geworfen, um zu schauen, was kleben bleibt. Oder, wie ein ehema­liger CEO einer Großbank mal sagte: „Never stop changing.“ Was ja auch gut und richtig ist, wenn wir von Anpassung sprechen – und nicht von grund­le­genden Verän­de­rungen, wann immer sich die Gelegenheit bietet. Im Falle des besagten CEOs war es meiner Meinung nach deutlich zu viel Change – da verlor man jahrelang komplett die Orien­tierung und taumelte nur so vor sich hin.

Wenn ich in meiner Rolle als Gründer und Geschäfts­führer des IFUF mit Top-Unter­nehmern spreche, dann zeichnen sich dort deutliche Sorgen bezüglich der Verän­de­rungen in der Finanz­branche ab. Da heißt es dann: „Den Jungen gehört die Zukunft, aber wir ‚Alten‘ bezahlen sie“, „Neu ist nicht immer besser und alt ist nicht immer schlecht“ oder „Es wird immer so getan, als wenn die Welt nur aus Unter­nehmern besteht, die nicht führen können und ihre Mitar­beiter aus eigener Profitgier ausbeuten“.

Es ist eigentlich kein Wunder, dass gerade Familien­unternehmen Verän­de­rungen gegenüber nicht so aufge­schlossen sind, sofern diese drastische Einschnitte beispiels­weise an der Kunden­struktur mit sich bringen. Denn Familien­unternehmen werden per defini­tionem von einer Familie gegründet, geführt oder zumindest innerhalb der Familie „weiter­vererbt“, wenn die Kinder des Gründers in seinem Ruhestand die Geschäfts­führung übernehmen. Familien­unternehmen haben oft lange Geschichten mit einer engen Beziehung zur Region, zu den Mitar­beitern – und eben auch zu den Kunden. Sie sind eher auf langfris­tigen Erfolg und Nachhal­tigkeit ausgelegt als auf kurzfris­tigen Gewinn. „Evolution statt Revolution“ lautet in der Regel meist das Motto von den Verän­de­rungs- und Anpassungsprozessen.

Gerade deshalb würde ein Familien­unternehmer nur in der aller­größten Not seinen Kunden­stamm so völlig aufgeben, wie es der Sport­ar­ti­kel­her­steller in unserer Beispiel-Geschichte getan hat. Familien­unternehmer werden es also nicht so leicht verstehen, wenn Sie als Finanz­in­stitut plötzlich Ihre Zielgruppe drastisch verändern. Und auch für Sie wäre das sicher keine gute Idee. Denn natürlich müssen Sie sich auch an zukünf­tigen Genera­tionen orien­tieren. Doch ich bin mir sicher, dass bei Ihnen aktuell noch die Jahrgänge 1955–1975 dieje­nigen sind, die die größten Deckungs­bei­träge für Ihr Institut generieren – ob im Firmen­kun­den­banking oder im Private Banking.

Warum sind Ü50-Unter­nehmer so wichtig für Banken, Sparkassen und Volks­banken sowie alle anderen Finanz­dienst­leister? Und warum erkennen die Institute das oft nicht?

Finanz­in­stitute tun gut daran, Unter­nehmer über 50 wertzu­schätzen. Denn diese bringen typischer­weise Erfahrung und finan­zielle Stabi­lität mit – das ist bei jüngeren Unter­nehmern bezie­hungs­weise jungen Start-ups längst nicht immer gegeben. Manche Ü50-Unter­nehmer haben vielleicht sogar schon ein Unter­nehmen erfolg­reich aufgebaut, verkauft und haben sich auszahlen lassen und setzen gerade den Grund­stein für die nächste Erfolgs­ge­schichte. Sie kennen ihre Liefe­ranten und Kunden, mit denen sie eine funktio­nie­rende Beziehung haben. All diese Faktoren bedeuten, dass Ü50-Unter­nehmer in den meisten Fällen die sichersten und attrak­tivsten Kunden sind.

Durch die zukunfts­ge­richtete Entwicklung der Banken besteht nun aber das Risiko, dass sie das Hier und Jetzt vergessen. Dass sie sich vornehmlich auf Kunden konzen­trieren, die gute Chancen haben, in der Zukunft mal groß rauszu­kommen, anstatt auf Kunden, die bereits heute stark sind. Eventuell will man als Institut auch versuchen, sich mehr als „Techie“, also als Techno­lo­gie­vor­reiter, zu profi­lieren – auch, wenn man sich dabei schnell in einem echten Ratten­rennen um die neueste Technik verzetteln kann. Klar, Anpas­sungen sind richtig und wichtig – aber in welchem Maß? Und wie schnell? Und können Ihre Mitar­beiter da wirklich mithalten?

Das geht schon im Kleinen los: Da werden Updates und Relaunches forciert und man hat den Eindruck, die Layouts und die Nutzer­führung wurden von Jugend­lichen für Jugend­liche erstellt. Das Ergebnis sind dann eine comic­hafte Aufma­chung und Desktop-Varianten von Websites und Tools, die sich einem auf Smart­phones und Tablets ausge­rich­teten Design beugen müssen – weil man ja glaubt, dass die Nutzer alles bequem vom Sofa aus umsetzen möchten. Wer dann als Unter­nehmer (oder kaufmän­ni­scher Mitar­beiter) im Tages­ge­schäft am PC im Büro sitzt und seine Finanzen regeln möchte, muss sich auf Oberflächen bewegen, die eigentlich zum Wischen und Tippen designt wurden.

In diesem Fall werden also digitale Tools entwi­ckelt, die dem Unter­nehmer alles erleichtern sollen – aber der Unter­nehmer empfindet dieses „Du kannst“ sehr leicht als ein „Du musst“, das ihm weitere Arbeit abver­langt, die er gar nicht selbst machen möchte. Bei vielen Neuerungen mit digitalen Angeboten, Dienst­leis­tungen und Produkten gehen die Befür­worter in den Insti­tuten scheinbar immer davon aus, dass alle (Ziel-)Kunden völlig rational infor­miert sind und dann total selbst­ständig Entschei­dungen treffen. Und sie scheinen zu glauben, dass kein Kunde jemals wieder mit Menschen sprechen möchte, also muss alles digital machbar sein, vom Sofa aus. Und natürlich indivi­duell und persönlich zugeschnitten. Und wo wir schon dabei sind, am besten noch KI-gesteuert! Bei einer Uhr auf Amazon für 19,90 Euro funktio­niert das vielleicht, aber wer kauft denn auf dem Handy mal eben ein 500.000-Euro-Einfamilienhaus oder eine Gewer­be­halle für 5 Millionen Euro vom Sofa aus? Also einer­seits völlig rechts­ver­bindlich und anderer­seits komplett ohne vertrau­liche Beratung durch einen Experten, weil man ja alles auf einen Klick selbst machen und können muss.

Der Eindruck vieler Unter­nehmer ist: Die Finanz­branche trans­for­miert sich am derzeit zahlungs­kräf­tigen Unter­nehmer vorbei und verliert die Generation „Baby-Boomer“ und „X“. Gleich­zeitig müssen die Regio­nal­in­stitute aufpassen, dass sie nicht von der „Masse“ (Privat­kunden und Klein­un­ter­nehmen) getrieben und gescheucht werden. Denn wenn man die „Jungen“ fragt, dann muss alles digital sein, alles auf dem Handy, alles automa­tisch und indivi­duell zugeschnitten. Nur bitte keinen persön­lichen Kontakt mehr. Diese Haltung empfinde ich als falsch und fatal in der mittel­fris­tigen Auswirkung.

Mit Augenmaß und einge­schal­tetem Gehirn kommt man weiter

Wer bei den anste­henden Verän­de­rungen der Zukunft ein bisschen mitdenkt (oder einfach auch mal an die älteren Unter­nehmer denkt, die dem Institut die größten Erträge erwirt­schaften), der merkt bald: Ein Top-Unter­nehmer mit 50- bis 60-Stunden-Arbeits­woche ist wohl eher weniger häufig in Social Media unterwegs als ein 16-jähriger Jugend­licher. Und wenn, dann eigentlich eher in Business­netz­werken wie LinkedIn und XING. Aber selbst diese Platt­formen nutzt er eher als Personen-Datenbank bzw. Kontaktbuch, weniger als Infor­ma­ti­ons­quelle. Er postet sein Essen nicht und gibt auch kaum Privates preis – was ihn für die Algorithmen vergleichs­weise schwierig zu greifen macht. Daher bekommt der Unter­nehmer tenden­ziell weniger Angebote und bekommt weniger Verän­de­rungen mit.

Denken Sie auch dran: Natürlich gehört die Zukunft „den Jungen“, aber ist man mit 50 Jahren schon so alt, dass man als Zielkunde gar nicht mehr attraktiv ist? Oft wird dabei vergessen, wie in den Unter­nehmen die Nachfolge geregelt wird: Aktuell ist die „Generation Y“ die Nachfol­ge­ge­neration – nicht „GenZ“! Denn wer übergibt schon einem 25-Jährigen ein Unter­nehmen mit 100 Millionen Euro Umsatz und 250 Mitar­beitern allein in der Geschäfts­führung? Und welcher 25-Jährige hat schon durch eigene Arbeit (also eigene Leistung, nicht durch Erbe oder Geschenke von Mama und Papa) 1 Million Euro liquides Vermögen zur Anlage? Mit anderen Worten: Sich auf die Genera­tionen Y und Z zu stürzen und dabei zu vergessen, wer aktuell den wahren Deckungs­beitrag bringt – das wird nicht gut ausgehen!

Statis­tiken zeigen, dass die Perso­nen­gruppe bis 49 Jahre und die ab 49 Jahren zahlen­mäßig in etwa gleichauf sind, was ihre Kaufkraft angeht. Und aktuell gibt es in Deutschland in etwa 29 Millionen Menschen zwischen 40 und 64 Jahren – das ist eher die Gruppe der aktuellen Unter­nehmer. Gleich­zeitig sind etwa 57 % der Geschäfts­führer 50 Jahre oder älter. Sogar ganze 83 % sind 40 Jahre oder älter. Gerade im Firmen­kun­den­be­reich sind es also eben doch die „älteren“ – o.k, nennen wir sie nicht die „älteren“, sondern die lebens­er­fah­re­neren – Menschen, die für Ihr Institut die größten Erträge mitbringen.

Das soll kein Bashing sein, aber auch ein Nachfolger, der heute 30 Jahre alt ist, wird merken, dass das echte Leben dann doch nicht aus perma­nentem Work-Life-Balancing, Homeoffice und 3‑Tage-Woche besteht, wenn er in die Firma der Eltern einsteigt. Klar: Als ich 20 war, habe ich die Welt auch vollkommen anders wahrge­nommen und meine Priori­täten entspre­chend ausge­richtet. Das ist ja auch nicht schlimm – das ist das Privileg der Jungen. Das muss erlaubt sein. Auch teilweise spinnert anmutende Ideen müssen gehört werden, denn es ist die Nachfol­ge­ge­neration, die alles „besser kann, besser weiß und besser macht“. Das wird vermutlich auch so sein. Das ist gut so. Das ist notwendig. Und das ist fördernd. Die Jungen beißen und wollen auf den Thron. Und die Älteren beißen zurück, wehren sich und lassen sich nicht kampflos verdrängen. Schon gar nicht als Unter­nehmer, das Alpha-Tier im Unternehmensrudel.

Das klingt zunächst vielleicht martia­lisch, aber es spornt beide Seiten an: Die Jungen müssen sich ihren Platz durch Fleiß, Ideen­reichtum, Umset­zungs­stärke und Krisen-Resilienz erarbeiten. So war es schon immer – und am Ende entstand durch dieses System immer ein Fortschritt. Diesen Mitein­ander-Konkur­renz­kampf nennt man auch „Coope­tition“ (Mix aus „coope­ration“ und „compe­tition“) oder „regulie­rende Dynamik“.

Worauf legt die Ü50-Unter­nehmer-Generation Wert?

Ich bin weiterhin fest davon überzeugt, dass auch ein Produk­ti­ons­un­ter­nehmer, der mit 35 Jahren Chef seines eigenen Unter­nehmens ist, weiterhin das Mensch zu Mensch (MzM) zu schätzen weiß und es auch einfordert – genau wie sein Vater mit 70. Aus vielen Gesprächen mit Unter­nehmern aller Genera­tionen weiß ich:

  • Die Beschaffung von Infor­ma­tionen wird weiterhin deutlich in Richtung digital gehen. 
  • Unter­nehmer werden infor­mierter denn je sein, wenn sie in Finanz­ge­spräche jeglicher Art gehen. Oder zumindest erwecken sie den Eindruck, sie seien informierter. 
  • Aber Unter­nehmer brauchen (mensch­liche) Ansprech­partner, mit denen sie auch kontrovers disku­tieren können. 
  • Sie benötigen niemanden, der ihnen ein Bild beschreibt (Depot­über­sicht, Bilanzen), sondern jemanden, der es inter­pre­tiert und Lösungen erarbeitet. 
  • Sie brauchen einen Navigator, der sie durch den riesigen Dschungel des Finanz­wesens führt. Denken Sie daran: Der Unter­nehmer hat andere Fähig­keiten entspre­chend seiner Branche (Herstellung von Kleidung, Nahrung, Autos, Garten­zäunen, Garagen­toren, Türen/Fenstern, Kabel­bäumen etc.).
  • Unter­nehmer nutzen immer mehr digitale Tools zur Daten­auf­be­reitung (Online-Mehrbanken-Übersicht, Controlling etc.).
  • Sie werden aber Entschei­dungen in (mehrstel­liger) Millio­nenhöhe (Kredite für Produk­ti­ons­stätten, Depots, Immobilien etc.) nicht dem Computer überlassen. Deshalb sollten Sie als Institut das auch nicht erzwingen. 

Ich wiederhole nicht ohne Grund seit Jahren das Mantra: „Je digitaler die Welt, desto wichtiger das Mensch zu Mensch!“

Handlungs­emp­fehlung: So erkennen Sie die Bedürf­nisse Ihrer Unternehmerkunden

Was tun wir nun also mit einer ganzen Generation an Top-Unter­nehmern, die zwar weiterhin die größten Erträge für Ihr Institut mitbringen, sich aber in allen Lebens­be­reichen immer weiter abgehängt fühlen?

  • Das Jahres­ge­spräch ist zwar ein gesetzlich vorge­schrie­benes „Muss“, sollte aber von Ihnen auch als Chance gesehen werden – hier erfahren Sie aus erster Hand, was den Unter­nehmer wirklich bewegt. 
  • Gehen Sie gerne mal mit allen Mitar­beitern (auch Markt­folge Aktiv) auf eine Betriebs­be­sich­tigung. Dann aber nicht nur in die Produktion, sondern auch in die Verwaltung, Dispo­sition und Buchhaltung. 
  • Machen Sie regel­mäßig Unternehmer-Round-Tables 
  • Nutzen Sie die Kraft von Unter­neh­mer­bei­räten. Instal­lieren Sie diese Beiräte aber nach Genera­tionen, zum Beispiel 1x Ü50, 1x 30-bis-50 und 1x U30. Diese können sich dann jeweils ein Mal pro Jahr zum gemein­samen, genera­tio­nen­über­grei­fenden Austausch treffen. So erfahren Sie von jeder Unter­neh­mer­ge­ne­ration, was sie aktuell wirklich bewegt und welche Anfor­de­rungen sie an Ihr Institut stellt – und spezi­fisch an Sie als Berater. 
  • Fragen Sie gezielt bei erfah­renen Ü50-Unter­nehmern nach, was diese von Ihnen als Berater erwarten. Diese Unter­nehmer stehen oft seit vielen Jahrzehnten im Unter­neh­mer­leben und werden Ihnen praxisnah alles berichten, statt nur theore­tisch zu fabulieren. 

Und achten Sie darauf, dass Sie beim Austausch mit dem Unter­nehmer selbst ebenfalls konkret sind und nicht nur theore­tisch bleiben. Das heißt: Kein Headline-Bingo mit „Klima­wandel“, „Digita­li­sierung“ etc., aber am Ende gibt es dann keine konkreten Handlungs­emp­feh­lungen. Das wäre, wie bei einer Schön­heitswahl den Weltfrieden zu fordern. Gehen Sie statt­dessen die Themen mit Handlungs­emp­feh­lungen inklusive Zeitfenster an. Und die Unter­nehmer sollten auf jeden Fall mitmachen bei der Umsetzung. Sonst wird das Zusam­men­kommen sinnlos und alle Betei­ligten hätten die Zeit besser nutzen können.

Ergreifen Sie das neue Jahr 2023 beim Schopf!

Dieses Jahr wird spannend und heraus­for­dernd zugleich. Denken Sie immer daran: Sie sind wichtig für Ihre Unter­neh­mer­kunden und für die Gesell­schaft als Ganzes. Lassen Sie uns also 2023 zum Jahr der Kunden, der Familien­unternehmen und der Unternehmer­familien ausrufen. Was halten Sie davon?

Und übrigens, für alle, die sich schon die ganze Zeit fragen, ob der Unter­nehmer aus unserer Eingangs­ge­schichte denn nun doch noch anspre­chende Trainings­anzüge finden konnte: Der Verkäufer war in diesem Fall nicht nur äußerst freundlich, sondern auch wirklich hilfreich. Zusammen mit dem Unter­nehmer schaute er am PC, bei wem es denn aktuell noch die Trainings­anzug-Ensembles online zu kaufen gab. Von diesem Verkäufer war der Unter­nehmer dann so begeistert, dass er sogar noch ein paar Teile des aktuellen Sorti­ments für das Enkelkind gekauft hat. Ob die Marke den Unter­nehmer langfristig als Kunden halten kann, das steht noch in den Sternen. Aber zumindest der Verkäufer hat bei ihm einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Kontakt

Dirk Wiebusch
info@ifuf.de

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