Liebe Leserinnen und Leser, ich wünsche Ihnen allen gleich zu Beginn dieses Artikels ein tolles, erfolgreiches und gesundes neues Jahr!
2023 wird viele Herausforderungen mit sich bringen – doch vor allem wird es ein Jahr der Transformation, Anpassung und Veränderung werden. Der Grund dafür ist nicht nur der Themenkomplex ZICKKEL (Zinsanstieg, Inflation, Corona, Krieg in der Ukraine, Klimawandel, Energiekrise und Lieferkettenschwierigkeiten), sondern auch der Fachkräftemangel und die nun immer stärker auf den Markt drängende Generation Z (als Konsumenten wie auch als Arbeitskräfte). Doch vergessen Sie bei all der externen und internen Zukunftsgewandtheit nicht den Blick auf das Wesentliche – die aktuellen Ertragsbringer in Ihrer Firmenkundschaft. Denn was dann passieren kann, möchte ich hier anhand des Beispiels eines unserer Mandanten beim Institut Für UnternehmerFamilien (IFUF) darstellen. Der fühlt sich aktuell sowohl als Konsument als auch als Ü50-Unternehmer kaum noch beachtet.
Ü50-Kundschaft auf dem Abstellgleis?
Die Tage „zwischen den Jahren“ sind für mich persönlich immer besonders spannend, da Unternehmer diese Zeit oft für Betriebsferien nutzen. Das heißt: Sie „schließen die Firma ab“ und nutzen die Zeit, um sich Gedanken über das kommende Jahr zu machen. Besonders interessant ist dabei, dass diese Zeit, in der der Betrieb ruht, eine hervorragende Gelegenheit für eine meiner Lieblingsbeschäftigungen bietet: für Betriebsbesichtigungen!
Wenn Sie dem Versteher-Magazin schon einige Zeit folgen, dann wissen Sie: Betriebsbesichtigungen sind eine echte Leidenschaft von mir! Klar, denn sie sind nicht nur spannend, sondern auch wichtig für ein tiefgehendes Verständnis des Unternehmens. Dabei erfahren Sie mehr über die Firma und machen sich ein Bild von der Arbeit und den Arbeitsbedingungen aus erster Hand statt nur über Zahlen in den Geschäftsberichten.
Mehr noch: Sie erfahren etwas über die Geschichte des Unternehmens und des Unternehmers. Denn Familienunternehmen sind oft über Generationen hinweg gewachsen. Sie sind voller Erfahrungswerte und Traditionen, sie haben Krisen genauso miterlebt wie Boom-Zeiten – und all das schlägt sich darin nieder, wie die Firma heute so ist, wie die Menschen sind, die dort zusammenarbeiten, und in welcher Geschichtslinie sich der Unternehmer an der Spitze der Firma verankert sieht.
Ich sage ja immer wieder, dass es gerade für die Zukunft wichtig wird, Unternehmen von Grund auf zu verstehen, ihre Wertschöpfungsketten nachzuvollziehen, den Unternehmertypus zu erkennen etc. In all diese Bereiche kann Ihnen eine Betriebsbesichtigung unschätzbare Einblicke geben, während Sie dem Unternehmer gleichzeitig ein ernst gemeintes Interesse signalisieren. Und was wäre wohl besser, um das Vertrauensverhältnis zwischen Ihnen und Ihren Kunden weiter zu stärken?
Zum Ende des Jahres war ich also zur Betriebsbesichtigung bei einem der Mandanten des IFUF. Und während wir so durch die beeindruckenden Produktionshallen gingen, unterhielten wir uns locker über dies und das – kein Problem während des Betriebsurlaubs, da man ja nicht von Maschinenlärm gestört wird.
Wir kamen natürlich auch auf die nun zurückliegende Weihnachtszeit zu sprechen. Und da erzählte mir der Unternehmer etwas Interessantes, was er nur wenige Tage vor dem 24. Dezember erlebt hatte. Er und seine Frau waren in die Stadt gefahren, um sich ein bisschen vom Vorweihnachtsstress zu erholen. Als Unternehmer hat man im Laufe eines Jahres ja eher wenig Zeit zum Einkaufen, also nutzte er die Gelegenheit, um sich im Flagship-Store eines internationalen Sportartikelherstellers einige Sportanzüge genauer anzuschauen. Für ihn war es gar keine Frage, in genau diesen Store zu gehen, denn er trägt seit 40 Jahren Sportkleidung dieses Herstellers – er ist quasi Stammkunde der Marke. Ob das jedoch so bleiben wird, da bin ich mir aktuell nicht sicher, denn seine Erlebnisse in dem Flagship-Store schilderte er mir als maßlose Enttäuschung:
Das Erste, was ihm auffiel, war, dass der Shop seit seinem letzten Besuch komplett umgebaut worden war. Vom Design bis zur Strukturierung des Ladens war alles auf „modern“ getrimmt. Jetzt muss man wissen: Dieser Unternehmer ist keinesfalls aus der Zeit gefallen. Er ist Jahrgang 1970, verheiratet, zwei Kinder und ein Enkelkind. Aber er ist wirklich technikaffin und kennt sich mit dem modernen digitalen Leben aus – es war ja schließlich seine Generation, die als erste mit Computern aufgewachsen ist, vom C64 bis zum PC. Er hält sich auch mit regelmäßigem Sport fit, kleidet sich modisch (vielleicht nicht „hip“, aber edles Understatement). Und er fühlt sich mitnichten alt. Jetzt stand er aber in diesem Laden, aus allen Ecken dröhnte moderne Elektro-Musik, alles bunt, alles hip. Wären da nicht noch Klamotten in den Regalen gehangen, hätte er gedacht, er sei in eine Disco gestolpert.
Das besagte Sortiment war allerdings ebenfalls auf eine ausschließlich jugendliche Zielgruppe zugeschnitten. Seine geliebten Trainings- und Sportanzüge waren im Laden gar nicht mehr ausgestellt, dafür überall knallbunte Kleidung mit riesigen Markenlogos, sodass man den Eindruck bekommen musste, man werde als Person und Träger der Anziehsachen vom Kunden zum unfreiwilligen Werbebotschafter deklassiert. Dem Unternehmer ist klar, dass der Hersteller auch mit der Zeit gehen muss, aber für Leute wie ihn war da wirklich gar nichts mehr im Angebot. Von dezenter Farbgebung oder edlem Understatement keine Spur, nicht mal „Standard-Kleidung“ war vorhanden und schon gar nicht die Ensembles, die er über Jahrzehnte immer wieder nachgekauft hatte – natürlich mit dem einen oder anderen moderneren Schliff, aber halt „wie immer“. Stellen Sie sich mal vor, wie sich der Unternehmer gefühlt hätte, wenn er das nächste Mal im neonfarbenen Kapuzenpulli auf dem Sportplatz erschienen wäre. Das war garantiert keine Option!
Tolle Verkäufer, eingeschränktes Angebot
Der Unternehmer tat also etwas, was die Marke mit Sicherheit auch schon als „altmodisch“ abgestempelt hatte: Er fragte einen Verkäufer, ob er denn noch irgendwo seine Trainingsanzüge bekommen könnte. Der Verkäufer – der übrigens (Zitat) „herausragend“ war und ihn sichtlich gerne, freundlich, kompetent und absolut professionell beraten wollte – konnte ihm aber leider keine guten Neuigkeiten überbringen. Er konnte dem Unternehmer nur sagen:
„Der Hersteller hat vor einigen Jahren beschlossen, alle Verkaufsflächen konsequent auf die Generation Z auszurichten. Das sind die Käufer, die man unbedingt haben möchte. Deshalb hat man seine Marketingstrategie geändert und sponsert nur noch sehr wenig Vereine und fast nur noch Influencer mit vielen Followern. Damit diese Zielgruppe immer ‚frischeʻ Ware hat, ist man auch dazu übergegangen, das Angebot mehrfach im Jahr zu wechseln und anzupassen. Das führt dann dazu, dass selbst wir als größter stationärer Laden nur noch eine begrenzte Anzahl an Ware erhalten. Wenn die dann weg ist, ist sie weg. Es kommt ja schon kurz danach wieder neue, andere Ware rein. Wir haben kaum noch Lagerware vorrätig. Die Ensembles, die Sie suchen, werden nur noch über Kooperationspartner vertrieben. Aber auch nur so lange noch, bis alles verkauft wurde. Es tut mir leid, aber Sie sind nicht mehr Teil der Zielgruppe unseres Unternehmens.“
Verständlich, dass der Unternehmer da wie vor den Kopf gestoßen war. Wie gesagt: Der Verkäufer war top und verhielt sich vollkommen respektvoll und wertschätzend. Doch die Marke hatte ihn offenbar im Stich gelassen. Da er nun aber Unternehmer war – und als Unternehmer fällt es schwer, wirklich mal abzuschalten –, interessierte er sich doch noch für weitere Details. Zum einen, weil er ja weiterhin seine geliebten Trainingsanzüge finden wollte, und zum anderen auch aus seinem Interesse als Produktionsunternehmer, der ja selbst tagtäglich Entscheidungen hinsichtlich des Angebots und der Zielkundenansprache trifft.
Er meinte also zum Verkäufer: „Das verstehe ich jetzt nicht. Ich kaufe seit Jahrzehnten immer wieder Ihre Produkte. Zwar nicht oft, aber wenn, dann direkt mehrere Kombinationen für einige Hundert Euro. Warum bin ich nicht mehr attraktiv und was habe ich verpasst, dass diese Entwicklung an mir vorübergegangen ist?“
Verkäufer: „Die Rechnung ist für den Hersteller recht einfach: Sie kaufen zum Beispiel nur alle 3 Jahre für 600 Euro ein. Umgerechnet also pro Jahr für 200 Euro. Wenn aber die Kollektionen alle 3 Monate wechseln und auf Instagram, TikTok und Co. von Influencern beworben werden, dann kauft die Zielgruppe zwei- bis viermal im Jahr für etwa 150 Euro bei uns. Also kleinere Beträge, aber deutlich häufiger. Das hebt den Umsatz an.“
Unternehmer: „O.k., aber warum habe ich davon nichts konkret erfahren?“
Verkäufer: „Sind Sie denn in Social Media unterwegs? Also auf Twitter, Instagram, TikTok?“
Unternehmer: „Nein, aber auf XING und LinkedIn. Und Werbung schaue ich auch kaum bis gar nicht.“
Verkäufer: „Sehen Sie, darum kann der Hersteller Sie nicht mehr ‚finden‘. Und deshalb erkennt er sie auch nicht mehr als Zielkunde. Tut mir leid.“
Vom Stammkunden zu „nicht mehr unsere Zielgruppe“
Der Dialog zwischen dem Unternehmer und dem Verkäufer ging selbstverständlich noch eine ganze Weile weiter, aber für unseren Vergleich zur Finanzberatung von Familienunternehmen und Unternehmerfamilien soll uns das zunächst reichen. Denn schon an dieser Stelle können wir sehen, was passiert ist: Ein Stammkunde kommt nach einiger Zeit wieder in den Laden (ins Institut) und stellt fest, dass sich alles irgendwie verändert hat. Und er fühlt sich nicht länger wohl, fühlt sich nicht mehr „abgeholt“. Diese Problematik habe ich schon öfter im Versteher-Magazin angesprochen.
Einige weitere Artikel mit Einblicken in die Transformation der Finanzbranche und die damit einhergehenden Herausforderungen finden Sie hier:
Strukturieren, segmentieren, umschlüsseln, überleiten: Wie Unternehmer darüber denken?
Für Menschen wie den Unternehmer aus der obigen Geschichte ist das Problem klar: Alles muss (gefühlt) nur noch „hip“ sein – New Work, Agile Work, Digital, ESG, Apps, Plattformen, neu, neu, neu! Alles wird an die Wand geworfen, um zu schauen, was kleben bleibt. Oder, wie ein ehemaliger CEO einer Großbank mal sagte: „Never stop changing.“ Was ja auch gut und richtig ist, wenn wir von Anpassung sprechen – und nicht von grundlegenden Veränderungen, wann immer sich die Gelegenheit bietet. Im Falle des besagten CEOs war es meiner Meinung nach deutlich zu viel Change – da verlor man jahrelang komplett die Orientierung und taumelte nur so vor sich hin.
Wenn ich in meiner Rolle als Gründer und Geschäftsführer des IFUF mit Top-Unternehmern spreche, dann zeichnen sich dort deutliche Sorgen bezüglich der Veränderungen in der Finanzbranche ab. Da heißt es dann: „Den Jungen gehört die Zukunft, aber wir ‚Alten‘ bezahlen sie“, „Neu ist nicht immer besser und alt ist nicht immer schlecht“ oder „Es wird immer so getan, als wenn die Welt nur aus Unternehmern besteht, die nicht führen können und ihre Mitarbeiter aus eigener Profitgier ausbeuten“.
Es ist eigentlich kein Wunder, dass gerade Familienunternehmen Veränderungen gegenüber nicht so aufgeschlossen sind, sofern diese drastische Einschnitte beispielsweise an der Kundenstruktur mit sich bringen. Denn Familienunternehmen werden per definitionem von einer Familie gegründet, geführt oder zumindest innerhalb der Familie „weitervererbt“, wenn die Kinder des Gründers in seinem Ruhestand die Geschäftsführung übernehmen. Familienunternehmen haben oft lange Geschichten mit einer engen Beziehung zur Region, zu den Mitarbeitern – und eben auch zu den Kunden. Sie sind eher auf langfristigen Erfolg und Nachhaltigkeit ausgelegt als auf kurzfristigen Gewinn. „Evolution statt Revolution“ lautet in der Regel meist das Motto von den Veränderungs- und Anpassungsprozessen.
Gerade deshalb würde ein Familienunternehmer nur in der allergrößten Not seinen Kundenstamm so völlig aufgeben, wie es der Sportartikelhersteller in unserer Beispiel-Geschichte getan hat. Familienunternehmer werden es also nicht so leicht verstehen, wenn Sie als Finanzinstitut plötzlich Ihre Zielgruppe drastisch verändern. Und auch für Sie wäre das sicher keine gute Idee. Denn natürlich müssen Sie sich auch an zukünftigen Generationen orientieren. Doch ich bin mir sicher, dass bei Ihnen aktuell noch die Jahrgänge 1955–1975 diejenigen sind, die die größten Deckungsbeiträge für Ihr Institut generieren – ob im Firmenkundenbanking oder im Private Banking.
Warum sind Ü50-Unternehmer so wichtig für Banken, Sparkassen und Volksbanken sowie alle anderen Finanzdienstleister? Und warum erkennen die Institute das oft nicht?
Finanzinstitute tun gut daran, Unternehmer über 50 wertzuschätzen. Denn diese bringen typischerweise Erfahrung und finanzielle Stabilität mit – das ist bei jüngeren Unternehmern beziehungsweise jungen Start-ups längst nicht immer gegeben. Manche Ü50-Unternehmer haben vielleicht sogar schon ein Unternehmen erfolgreich aufgebaut, verkauft und haben sich auszahlen lassen und setzen gerade den Grundstein für die nächste Erfolgsgeschichte. Sie kennen ihre Lieferanten und Kunden, mit denen sie eine funktionierende Beziehung haben. All diese Faktoren bedeuten, dass Ü50-Unternehmer in den meisten Fällen die sichersten und attraktivsten Kunden sind.
Durch die zukunftsgerichtete Entwicklung der Banken besteht nun aber das Risiko, dass sie das Hier und Jetzt vergessen. Dass sie sich vornehmlich auf Kunden konzentrieren, die gute Chancen haben, in der Zukunft mal groß rauszukommen, anstatt auf Kunden, die bereits heute stark sind. Eventuell will man als Institut auch versuchen, sich mehr als „Techie“, also als Technologievorreiter, zu profilieren – auch, wenn man sich dabei schnell in einem echten Rattenrennen um die neueste Technik verzetteln kann. Klar, Anpassungen sind richtig und wichtig – aber in welchem Maß? Und wie schnell? Und können Ihre Mitarbeiter da wirklich mithalten?
Das geht schon im Kleinen los: Da werden Updates und Relaunches forciert und man hat den Eindruck, die Layouts und die Nutzerführung wurden von Jugendlichen für Jugendliche erstellt. Das Ergebnis sind dann eine comichafte Aufmachung und Desktop-Varianten von Websites und Tools, die sich einem auf Smartphones und Tablets ausgerichteten Design beugen müssen – weil man ja glaubt, dass die Nutzer alles bequem vom Sofa aus umsetzen möchten. Wer dann als Unternehmer (oder kaufmännischer Mitarbeiter) im Tagesgeschäft am PC im Büro sitzt und seine Finanzen regeln möchte, muss sich auf Oberflächen bewegen, die eigentlich zum Wischen und Tippen designt wurden.
In diesem Fall werden also digitale Tools entwickelt, die dem Unternehmer alles erleichtern sollen – aber der Unternehmer empfindet dieses „Du kannst“ sehr leicht als ein „Du musst“, das ihm weitere Arbeit abverlangt, die er gar nicht selbst machen möchte. Bei vielen Neuerungen mit digitalen Angeboten, Dienstleistungen und Produkten gehen die Befürworter in den Instituten scheinbar immer davon aus, dass alle (Ziel-)Kunden völlig rational informiert sind und dann total selbstständig Entscheidungen treffen. Und sie scheinen zu glauben, dass kein Kunde jemals wieder mit Menschen sprechen möchte, also muss alles digital machbar sein, vom Sofa aus. Und natürlich individuell und persönlich zugeschnitten. Und wo wir schon dabei sind, am besten noch KI-gesteuert! Bei einer Uhr auf Amazon für 19,90 Euro funktioniert das vielleicht, aber wer kauft denn auf dem Handy mal eben ein 500.000-Euro-Einfamilienhaus oder eine Gewerbehalle für 5 Millionen Euro vom Sofa aus? Also einerseits völlig rechtsverbindlich und andererseits komplett ohne vertrauliche Beratung durch einen Experten, weil man ja alles auf einen Klick selbst machen und können muss.
Der Eindruck vieler Unternehmer ist: Die Finanzbranche transformiert sich am derzeit zahlungskräftigen Unternehmer vorbei und verliert die Generation „Baby-Boomer“ und „X“. Gleichzeitig müssen die Regionalinstitute aufpassen, dass sie nicht von der „Masse“ (Privatkunden und Kleinunternehmen) getrieben und gescheucht werden. Denn wenn man die „Jungen“ fragt, dann muss alles digital sein, alles auf dem Handy, alles automatisch und individuell zugeschnitten. Nur bitte keinen persönlichen Kontakt mehr. Diese Haltung empfinde ich als falsch und fatal in der mittelfristigen Auswirkung.
Mit Augenmaß und eingeschaltetem Gehirn kommt man weiter
Wer bei den anstehenden Veränderungen der Zukunft ein bisschen mitdenkt (oder einfach auch mal an die älteren Unternehmer denkt, die dem Institut die größten Erträge erwirtschaften), der merkt bald: Ein Top-Unternehmer mit 50- bis 60-Stunden-Arbeitswoche ist wohl eher weniger häufig in Social Media unterwegs als ein 16-jähriger Jugendlicher. Und wenn, dann eigentlich eher in Businessnetzwerken wie LinkedIn und XING. Aber selbst diese Plattformen nutzt er eher als Personen-Datenbank bzw. Kontaktbuch, weniger als Informationsquelle. Er postet sein Essen nicht und gibt auch kaum Privates preis – was ihn für die Algorithmen vergleichsweise schwierig zu greifen macht. Daher bekommt der Unternehmer tendenziell weniger Angebote und bekommt weniger Veränderungen mit.
Denken Sie auch dran: Natürlich gehört die Zukunft „den Jungen“, aber ist man mit 50 Jahren schon so alt, dass man als Zielkunde gar nicht mehr attraktiv ist? Oft wird dabei vergessen, wie in den Unternehmen die Nachfolge geregelt wird: Aktuell ist die „Generation Y“ die Nachfolgegeneration – nicht „GenZ“! Denn wer übergibt schon einem 25-Jährigen ein Unternehmen mit 100 Millionen Euro Umsatz und 250 Mitarbeitern allein in der Geschäftsführung? Und welcher 25-Jährige hat schon durch eigene Arbeit (also eigene Leistung, nicht durch Erbe oder Geschenke von Mama und Papa) 1 Million Euro liquides Vermögen zur Anlage? Mit anderen Worten: Sich auf die Generationen Y und Z zu stürzen und dabei zu vergessen, wer aktuell den wahren Deckungsbeitrag bringt – das wird nicht gut ausgehen!
Statistiken zeigen, dass die Personengruppe bis 49 Jahre und die ab 49 Jahren zahlenmäßig in etwa gleichauf sind, was ihre Kaufkraft angeht. Und aktuell gibt es in Deutschland in etwa 29 Millionen Menschen zwischen 40 und 64 Jahren – das ist eher die Gruppe der aktuellen Unternehmer. Gleichzeitig sind etwa 57 % der Geschäftsführer 50 Jahre oder älter. Sogar ganze 83 % sind 40 Jahre oder älter. Gerade im Firmenkundenbereich sind es also eben doch die „älteren“ – o.k, nennen wir sie nicht die „älteren“, sondern die lebenserfahreneren – Menschen, die für Ihr Institut die größten Erträge mitbringen.
Das soll kein Bashing sein, aber auch ein Nachfolger, der heute 30 Jahre alt ist, wird merken, dass das echte Leben dann doch nicht aus permanentem Work-Life-Balancing, Homeoffice und 3‑Tage-Woche besteht, wenn er in die Firma der Eltern einsteigt. Klar: Als ich 20 war, habe ich die Welt auch vollkommen anders wahrgenommen und meine Prioritäten entsprechend ausgerichtet. Das ist ja auch nicht schlimm – das ist das Privileg der Jungen. Das muss erlaubt sein. Auch teilweise spinnert anmutende Ideen müssen gehört werden, denn es ist die Nachfolgegeneration, die alles „besser kann, besser weiß und besser macht“. Das wird vermutlich auch so sein. Das ist gut so. Das ist notwendig. Und das ist fördernd. Die Jungen beißen und wollen auf den Thron. Und die Älteren beißen zurück, wehren sich und lassen sich nicht kampflos verdrängen. Schon gar nicht als Unternehmer, das Alpha-Tier im Unternehmensrudel.
Das klingt zunächst vielleicht martialisch, aber es spornt beide Seiten an: Die Jungen müssen sich ihren Platz durch Fleiß, Ideenreichtum, Umsetzungsstärke und Krisen-Resilienz erarbeiten. So war es schon immer – und am Ende entstand durch dieses System immer ein Fortschritt. Diesen Miteinander-Konkurrenzkampf nennt man auch „Coopetition“ (Mix aus „cooperation“ und „competition“) oder „regulierende Dynamik“.
Worauf legt die Ü50-Unternehmer-Generation Wert?
Ich bin weiterhin fest davon überzeugt, dass auch ein Produktionsunternehmer, der mit 35 Jahren Chef seines eigenen Unternehmens ist, weiterhin das Mensch zu Mensch (MzM) zu schätzen weiß und es auch einfordert – genau wie sein Vater mit 70. Aus vielen Gesprächen mit Unternehmern aller Generationen weiß ich:
- Die Beschaffung von Informationen wird weiterhin deutlich in Richtung digital gehen.
- Unternehmer werden informierter denn je sein, wenn sie in Finanzgespräche jeglicher Art gehen. Oder zumindest erwecken sie den Eindruck, sie seien informierter.
- Aber Unternehmer brauchen (menschliche) Ansprechpartner, mit denen sie auch kontrovers diskutieren können.
- Sie benötigen niemanden, der ihnen ein Bild beschreibt (Depotübersicht, Bilanzen), sondern jemanden, der es interpretiert und Lösungen erarbeitet.
- Sie brauchen einen Navigator, der sie durch den riesigen Dschungel des Finanzwesens führt. Denken Sie daran: Der Unternehmer hat andere Fähigkeiten entsprechend seiner Branche (Herstellung von Kleidung, Nahrung, Autos, Gartenzäunen, Garagentoren, Türen/Fenstern, Kabelbäumen etc.).
- Unternehmer nutzen immer mehr digitale Tools zur Datenaufbereitung (Online-Mehrbanken-Übersicht, Controlling etc.).
- Sie werden aber Entscheidungen in (mehrstelliger) Millionenhöhe (Kredite für Produktionsstätten, Depots, Immobilien etc.) nicht dem Computer überlassen. Deshalb sollten Sie als Institut das auch nicht erzwingen.
Ich wiederhole nicht ohne Grund seit Jahren das Mantra: „Je digitaler die Welt, desto wichtiger das Mensch zu Mensch!“
Handlungsempfehlung: So erkennen Sie die Bedürfnisse Ihrer Unternehmerkunden
Was tun wir nun also mit einer ganzen Generation an Top-Unternehmern, die zwar weiterhin die größten Erträge für Ihr Institut mitbringen, sich aber in allen Lebensbereichen immer weiter abgehängt fühlen?
- Das Jahresgespräch ist zwar ein gesetzlich vorgeschriebenes „Muss“, sollte aber von Ihnen auch als Chance gesehen werden – hier erfahren Sie aus erster Hand, was den Unternehmer wirklich bewegt.
- Gehen Sie gerne mal mit allen Mitarbeitern (auch Marktfolge Aktiv) auf eine Betriebsbesichtigung. Dann aber nicht nur in die Produktion, sondern auch in die Verwaltung, Disposition und Buchhaltung.
- Machen Sie regelmäßig Unternehmer-Round-Tables
- Nutzen Sie die Kraft von Unternehmerbeiräten. Installieren Sie diese Beiräte aber nach Generationen, zum Beispiel 1x Ü50, 1x 30-bis-50 und 1x U30. Diese können sich dann jeweils ein Mal pro Jahr zum gemeinsamen, generationenübergreifenden Austausch treffen. So erfahren Sie von jeder Unternehmergeneration, was sie aktuell wirklich bewegt und welche Anforderungen sie an Ihr Institut stellt – und spezifisch an Sie als Berater.
- Fragen Sie gezielt bei erfahrenen Ü50-Unternehmern nach, was diese von Ihnen als Berater erwarten. Diese Unternehmer stehen oft seit vielen Jahrzehnten im Unternehmerleben und werden Ihnen praxisnah alles berichten, statt nur theoretisch zu fabulieren.
Und achten Sie darauf, dass Sie beim Austausch mit dem Unternehmer selbst ebenfalls konkret sind und nicht nur theoretisch bleiben. Das heißt: Kein Headline-Bingo mit „Klimawandel“, „Digitalisierung“ etc., aber am Ende gibt es dann keine konkreten Handlungsempfehlungen. Das wäre, wie bei einer Schönheitswahl den Weltfrieden zu fordern. Gehen Sie stattdessen die Themen mit Handlungsempfehlungen inklusive Zeitfenster an. Und die Unternehmer sollten auf jeden Fall mitmachen bei der Umsetzung. Sonst wird das Zusammenkommen sinnlos und alle Beteiligten hätten die Zeit besser nutzen können.
Ergreifen Sie das neue Jahr 2023 beim Schopf!
Dieses Jahr wird spannend und herausfordernd zugleich. Denken Sie immer daran: Sie sind wichtig für Ihre Unternehmerkunden und für die Gesellschaft als Ganzes. Lassen Sie uns also 2023 zum Jahr der Kunden, der Familienunternehmen und der Unternehmerfamilien ausrufen. Was halten Sie davon?
Und übrigens, für alle, die sich schon die ganze Zeit fragen, ob der Unternehmer aus unserer Eingangsgeschichte denn nun doch noch ansprechende Trainingsanzüge finden konnte: Der Verkäufer war in diesem Fall nicht nur äußerst freundlich, sondern auch wirklich hilfreich. Zusammen mit dem Unternehmer schaute er am PC, bei wem es denn aktuell noch die Trainingsanzug-Ensembles online zu kaufen gab. Von diesem Verkäufer war der Unternehmer dann so begeistert, dass er sogar noch ein paar Teile des aktuellen Sortiments für das Enkelkind gekauft hat. Ob die Marke den Unternehmer langfristig als Kunden halten kann, das steht noch in den Sternen. Aber zumindest der Verkäufer hat bei ihm einen bleibenden Eindruck hinterlassen.
Kontakt
Dirk Wiebusch
info@ifuf.de